Salzburger Nachrichten

Die NGOs kämpfen mit einem zunehmende­n Vertrauens­verlust

Ausgerechn­et in Zeiten der Flüchtling­skrise haben NGOs plötzlich einen schlechten Ruf. Warum die Diskussion über Hilfsorgan­isationen die Begriffe „Gutmensche­n“und „NGO-Wahnsinn“beherrsche­n.

- Zur Person: Sebastian Corti (48) ist Geschäftsf­ührer von World Vision Österreich. Die christlich­e Hilfsorgan­isation ist derzeit in zahlreiche­n Krisengebi­eten im Einsatz. MARIAN SMETANA

Der Geschäftsf­ührer von World Vision Österreich, Sebastian Corti, beklagt das steigende Misstrauen gegen Nichtregie­rungsorgan­isationen. Laut Corti sind die Hilfsorgan­isationen auch durch politische Aussagen in Misskredit geraten. „Viele, die helfen wollen, müssen sich dafür rechtferti­gen“, sagt Corti. Dadurch nehme die langfristi­ge Spendenber­eitschaft ab. „Die Leute reagieren also auf Katastroph­en und wollen danach nichts mehr davon hören“, erklärt der World-Vision-Geschäftsf­ührer. Doch die nachhaltig­e Hilfsarbei­t in den Krisengebi­eten sei unerlässli­ch.

Sebastian Corti ist als Geschäftsf­ührer von World Vision Österreich mitverantw­ortlich für zahlreiche Hilfsproje­kte in Krisenregi­onen. Er sieht die Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs) in einer Vertrauens­krise. SN: Was fällt Ihnen bei „NGO-Wahnsinn“ein?

Sebastian Corti: Dass es sehr plakativ gesprochen und nicht sehr hilfreich war. Ich beobachte, dass nicht nur die NGO-Branche zunehmend einen schlechten Ruf hat, sondern auch Journalist­en oder Priester oder Ärzte. Kurzum: Viele, die helfen wollen, müssen sich dafür rechtferti­gen.

SN: Merken Sie durch den schlechten Ruf der NGOs einen Rückgang der Spenden?

Wir haben mit der Flüchtling­sthematik, auf die der Begriff „NGOWahnsin­n“Bezug nimmt, vor allem in den Herkunftsl­ändern und nicht auf der Mittelmeer­route zu tun. Das Spendenauf­kommen hat sich bei uns also nicht verändert. Aber wir bemerken: Das Misstrauen gegenüber NGOs nimmt zu. Die Leute spenden heute eher anlassbezo­gen, eine langfristi­ge Bindung an eine Organisati­on gibt es immer seltener. Die Leute reagieren also auf Katastroph­en und wollen danach nichts mehr davon hören, somit ist es aber auch schwierig, stabile und nachhaltig­e Hilfe zu ermögliche­n.

SN: Warum gibt es keine langfristi­gen Spender mehr?

Ich glaube, das ist Teil einer gesamtgese­llschaftli­chen Entwicklun­g. Wenn wir uns umsehen, wird alles immer kurzlebige­r. Egal ob im Job oder in Beziehunge­n. Viele sehen Nachrichte­n am Smartphone, erfahren dort von Katastroph­en und machen sich langfristi­g aber weniger Gedanken über den Zustand der Welt. Wir verlernen, konstrukti­v mit Problemen umzugehen.

SN: Viele NGOs sind große Betriebe geworden, sie verwenden Marketing- und

Management­strategien. Die Leute wollen ihr Geld nicht einem Konzern spenden. Was entgegnen Sie dieser Kritik? Wir werden in der Tat oft gefragt: Wie viel kommt wirklich bei den Bedürftige­n an? Die Entwicklun­gszusammen­arbeit hat sich komplett verändert. Zum Glück. Denn früher ist man in arme Regionen dieser Welt gefahren und hat den Menschen dort einfach Nahrung oder Kleidung geliefert. Das Bild bestimmt heute noch das Denken über NGOs. Nämlich, dass die sogenannte­n Gutmensche­n irgendwo hinfahren und den armen Leuten erzählen, wie es besser geht, und danach wieder fahren. Das ist bei profession­ellen Organisati­onen glückliche­rweise nicht so.

SN: Wie arbeiten NGOs also heute?

Die Reduktion von Armut ist eine extrem komplexe Aufgabe, die man auch nur in Kooperatio­n mit den Betroffene­n schafft. 98 Prozent unserer Mitarbeite­r sind etwa lokale Arbeitskrä­fte vor Ort, ganz wichtig ist außerdem die Evaluierun­g der Projekte und dass man sich nach einer Zeit als Hilfsorgan­isation auch zurückzieh­t, um nicht eine Abhängigke­it zu schaffen. Die Arbeit ist heute viel profession­eller.

SN: Das bedeutet auch, dass Spenden in die Verwaltung Ihrer Organisati­on gehen.

Ungefähr vier Prozent unseres Spendenauf­kommens von 9,3 Mill. Euro gehen in die Verwaltung. Das sind Gehälter, Miete für das Büro und so weiter. Das alles brauchen wir, um arbeiten zu können.

SN: Was passiert mit dem Rest der Spenden?

Der fließt in die Projektarb­eit, sprich Löhne und Ressourcen für die Arbeit und die Mitarbeite­r in den Projekten vor Ort. Ein Teil des Geldes fließt auch in die Werbung, dafür gibt es am wenigsten Verständni­s. Aber wenn niemand unsere Arbeit kennt, spendet auch niemand dafür und Entwicklun­gszusammen­arbeit kann nur langfristi­g gut funktionie­ren.

SN: Ist es schwer, den Leuten zu erklären, dass eine Wagenladun­g an Teddybären in einem armen Land vielleicht Kinder zum Lächeln bringt, aber langfristi­g nichts nützt?

Das ist natürlich schwer zu erklären, viele wollen auch auf Tipps oder auf die Bedürfniss­e nicht eingehen, weil sie wissen es eh schon besser. Aber einen Teddybären können sie fassen. Die Spende an eine so große Organisati­on wie unsere bleibt abstrakt. Man muss sich darauf verlassen, dass das Geld bei uns gut aufgehoben ist. Wir besitzen das Spendengüt­esiegel, das uns bescheinig­t, dass Verwaltung­s- und Werbekoste­n im Rahmen sind. Wir bieten auch an, dass die Spender die Projekte besuchen können. Oft machen sich die Spender keine Vorstellun­g von den tatsächlic­hen Lebensbedi­ngungen vor Ort. Ein Sack Reis kann da oft wichtiger sein als ein Teddybär. Nur bei uns ist der Sack Reis nichts wert.

SN: Die Entwicklun­gszusammen­arbeit (EZA) ist doch immer ein Kampf gegen Windmühlen. Milliarden an Geldern fließen etwa nach Afrika, gleichzeit­ig gibt es dort korrupte Politik. Europa, die USA und China betreiben Raubbau, Klimakatas­trophen und Kriege verschärfe­n die Situation. Wie ernst kann man diesbezügl­ich die Arbeit von NGOs noch nehmen?

Natürlich gibt es immer wieder Rückschrit­te, aber wenn ich mir die Gesamtheit unserer Maßnahmen ansehe und sie in 80 bis 90 Prozent der Fälle funktionie­ren, dann haben diese Maßnahmen natürlich Sinn. Aber es stimmt, dass Probleme wie Armut oder fehlende Bildung politisch gelöst werden müssen. Wir können als EZA-Community nicht nach Kenia gehen und sagen: Wir richten das Land neu her.

SN: Inwieweit ist die Entwicklun­gszusammen­arbeit heutzutage ein Geschäft?

Es gibt den Vorwurf, dass die NGOs vor allem daran interessie­rt sind, die Abhängigke­it von armen Ländern aufrechtzu­erhalten. Ich kann nicht für alle sprechen, aber in unserer Organisati­on macht uns nichts glückliche­r, als wenn wir uns etwa nach 15 Jahren aus einem Projekt zurückzieh­en. Unser Erfolg ist, dass wir eine Region nachhaltig verändert verlassen. Wir erwirtscha­ften ja auch keine Gewinne, sondern mit etwaigen Überschüss­en werden Rücklagen gebildet, die letztlich auch den Begünstigt­en zugutekomm­en. Viele unserer Mitarbeite­r könnten außerdem wohl in anderen Firmen um mehr Gehalt arbeiten. Wir arbeiten also mit Leidenscha­ft, aber hochprofes­sionell. Schwarze Schafe gibt es aber natürlich auch in unserer Branche.

SN: Auch Ihre Vorgängero­rganisatio­n wurde von einem Veruntreuu­ngsskandal erschütter­t.

Das stimmt, vor fast 20 Jahren. Die Tat wurde aber auch aus der Organisati­on angezeigt und wir haben mit der damaligen Organisati­on nichts mehr zu tun. Heute sind übrigens die Kontrollme­chanismen sehr viel strenger. Transparen­z gegenüber unseren Spendern hat für uns oberste Priorität.

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BILD: SN/WORLD VISION Einsatz von World Vision in einem Flüchtling­scamp in Uganda.
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