Die NGOs kämpfen mit einem zunehmenden Vertrauensverlust
Ausgerechnet in Zeiten der Flüchtlingskrise haben NGOs plötzlich einen schlechten Ruf. Warum die Diskussion über Hilfsorganisationen die Begriffe „Gutmenschen“und „NGO-Wahnsinn“beherrschen.
Der Geschäftsführer von World Vision Österreich, Sebastian Corti, beklagt das steigende Misstrauen gegen Nichtregierungsorganisationen. Laut Corti sind die Hilfsorganisationen auch durch politische Aussagen in Misskredit geraten. „Viele, die helfen wollen, müssen sich dafür rechtfertigen“, sagt Corti. Dadurch nehme die langfristige Spendenbereitschaft ab. „Die Leute reagieren also auf Katastrophen und wollen danach nichts mehr davon hören“, erklärt der World-Vision-Geschäftsführer. Doch die nachhaltige Hilfsarbeit in den Krisengebieten sei unerlässlich.
Sebastian Corti ist als Geschäftsführer von World Vision Österreich mitverantwortlich für zahlreiche Hilfsprojekte in Krisenregionen. Er sieht die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in einer Vertrauenskrise. SN: Was fällt Ihnen bei „NGO-Wahnsinn“ein?
Sebastian Corti: Dass es sehr plakativ gesprochen und nicht sehr hilfreich war. Ich beobachte, dass nicht nur die NGO-Branche zunehmend einen schlechten Ruf hat, sondern auch Journalisten oder Priester oder Ärzte. Kurzum: Viele, die helfen wollen, müssen sich dafür rechtfertigen.
SN: Merken Sie durch den schlechten Ruf der NGOs einen Rückgang der Spenden?
Wir haben mit der Flüchtlingsthematik, auf die der Begriff „NGOWahnsinn“Bezug nimmt, vor allem in den Herkunftsländern und nicht auf der Mittelmeerroute zu tun. Das Spendenaufkommen hat sich bei uns also nicht verändert. Aber wir bemerken: Das Misstrauen gegenüber NGOs nimmt zu. Die Leute spenden heute eher anlassbezogen, eine langfristige Bindung an eine Organisation gibt es immer seltener. Die Leute reagieren also auf Katastrophen und wollen danach nichts mehr davon hören, somit ist es aber auch schwierig, stabile und nachhaltige Hilfe zu ermöglichen.
SN: Warum gibt es keine langfristigen Spender mehr?
Ich glaube, das ist Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Wenn wir uns umsehen, wird alles immer kurzlebiger. Egal ob im Job oder in Beziehungen. Viele sehen Nachrichten am Smartphone, erfahren dort von Katastrophen und machen sich langfristig aber weniger Gedanken über den Zustand der Welt. Wir verlernen, konstruktiv mit Problemen umzugehen.
SN: Viele NGOs sind große Betriebe geworden, sie verwenden Marketing- und
Managementstrategien. Die Leute wollen ihr Geld nicht einem Konzern spenden. Was entgegnen Sie dieser Kritik? Wir werden in der Tat oft gefragt: Wie viel kommt wirklich bei den Bedürftigen an? Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich komplett verändert. Zum Glück. Denn früher ist man in arme Regionen dieser Welt gefahren und hat den Menschen dort einfach Nahrung oder Kleidung geliefert. Das Bild bestimmt heute noch das Denken über NGOs. Nämlich, dass die sogenannten Gutmenschen irgendwo hinfahren und den armen Leuten erzählen, wie es besser geht, und danach wieder fahren. Das ist bei professionellen Organisationen glücklicherweise nicht so.
SN: Wie arbeiten NGOs also heute?
Die Reduktion von Armut ist eine extrem komplexe Aufgabe, die man auch nur in Kooperation mit den Betroffenen schafft. 98 Prozent unserer Mitarbeiter sind etwa lokale Arbeitskräfte vor Ort, ganz wichtig ist außerdem die Evaluierung der Projekte und dass man sich nach einer Zeit als Hilfsorganisation auch zurückzieht, um nicht eine Abhängigkeit zu schaffen. Die Arbeit ist heute viel professioneller.
SN: Das bedeutet auch, dass Spenden in die Verwaltung Ihrer Organisation gehen.
Ungefähr vier Prozent unseres Spendenaufkommens von 9,3 Mill. Euro gehen in die Verwaltung. Das sind Gehälter, Miete für das Büro und so weiter. Das alles brauchen wir, um arbeiten zu können.
SN: Was passiert mit dem Rest der Spenden?
Der fließt in die Projektarbeit, sprich Löhne und Ressourcen für die Arbeit und die Mitarbeiter in den Projekten vor Ort. Ein Teil des Geldes fließt auch in die Werbung, dafür gibt es am wenigsten Verständnis. Aber wenn niemand unsere Arbeit kennt, spendet auch niemand dafür und Entwicklungszusammenarbeit kann nur langfristig gut funktionieren.
SN: Ist es schwer, den Leuten zu erklären, dass eine Wagenladung an Teddybären in einem armen Land vielleicht Kinder zum Lächeln bringt, aber langfristig nichts nützt?
Das ist natürlich schwer zu erklären, viele wollen auch auf Tipps oder auf die Bedürfnisse nicht eingehen, weil sie wissen es eh schon besser. Aber einen Teddybären können sie fassen. Die Spende an eine so große Organisation wie unsere bleibt abstrakt. Man muss sich darauf verlassen, dass das Geld bei uns gut aufgehoben ist. Wir besitzen das Spendengütesiegel, das uns bescheinigt, dass Verwaltungs- und Werbekosten im Rahmen sind. Wir bieten auch an, dass die Spender die Projekte besuchen können. Oft machen sich die Spender keine Vorstellung von den tatsächlichen Lebensbedingungen vor Ort. Ein Sack Reis kann da oft wichtiger sein als ein Teddybär. Nur bei uns ist der Sack Reis nichts wert.
SN: Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ist doch immer ein Kampf gegen Windmühlen. Milliarden an Geldern fließen etwa nach Afrika, gleichzeitig gibt es dort korrupte Politik. Europa, die USA und China betreiben Raubbau, Klimakatastrophen und Kriege verschärfen die Situation. Wie ernst kann man diesbezüglich die Arbeit von NGOs noch nehmen?
Natürlich gibt es immer wieder Rückschritte, aber wenn ich mir die Gesamtheit unserer Maßnahmen ansehe und sie in 80 bis 90 Prozent der Fälle funktionieren, dann haben diese Maßnahmen natürlich Sinn. Aber es stimmt, dass Probleme wie Armut oder fehlende Bildung politisch gelöst werden müssen. Wir können als EZA-Community nicht nach Kenia gehen und sagen: Wir richten das Land neu her.
SN: Inwieweit ist die Entwicklungszusammenarbeit heutzutage ein Geschäft?
Es gibt den Vorwurf, dass die NGOs vor allem daran interessiert sind, die Abhängigkeit von armen Ländern aufrechtzuerhalten. Ich kann nicht für alle sprechen, aber in unserer Organisation macht uns nichts glücklicher, als wenn wir uns etwa nach 15 Jahren aus einem Projekt zurückziehen. Unser Erfolg ist, dass wir eine Region nachhaltig verändert verlassen. Wir erwirtschaften ja auch keine Gewinne, sondern mit etwaigen Überschüssen werden Rücklagen gebildet, die letztlich auch den Begünstigten zugutekommen. Viele unserer Mitarbeiter könnten außerdem wohl in anderen Firmen um mehr Gehalt arbeiten. Wir arbeiten also mit Leidenschaft, aber hochprofessionell. Schwarze Schafe gibt es aber natürlich auch in unserer Branche.
SN: Auch Ihre Vorgängerorganisation wurde von einem Veruntreuungsskandal erschüttert.
Das stimmt, vor fast 20 Jahren. Die Tat wurde aber auch aus der Organisation angezeigt und wir haben mit der damaligen Organisation nichts mehr zu tun. Heute sind übrigens die Kontrollmechanismen sehr viel strenger. Transparenz gegenüber unseren Spendern hat für uns oberste Priorität.