Kim lässt das Volk im Ausland schuften
Nordkorea entsendet Arbeitskräfte, um Devisen für die Aufrüstung zu beschaffen. Auch dagegen sollen die UNO-Sanktionen greifen.
Die meisten nordkoreanischen Arbeiter gehen unfreiwillig
HUAXI, PEKING. Das Mädchen wendet beschämt den Kopf ab. „Bitte nicht fotografieren, das ist nicht erlaubt“, sagt ihre Kollegin, die gerade Rindfleisch für den Tischgrill serviert. Im Restaurant des Huangjing-Hotels im ostchinesischen Dorf Huaxi arbeiten zwei Dutzend Kellnerinnen aus Nordkorea. Sie sind an ihren blauen Röcken und weißen Blusen mit koreanischen Mustern zu erkennen. Ein Manager des Hotels gibt Auskunft über die ungewöhnlichen Kolleginnen. „Auf Anweisung des Vorsitzenden Kim Jong Un informieren sich die Mädchen hier über die Entwicklung der Landwirtschaft.“Tatsächlich sehen die Gäste die Frauen jedoch nur bei der Arbeit im Restaurant. Ihre Anwesenheit ist offenbar gut fürs Geschäft. „Nordkoreanerinnen sind so hübsch, ich komme extra wegen ihnen her“, schmachtet ein chinesischer Geschäftsmann.
So wie im Huangjing-Hotel arbeiten in ganz China Tausende von Arbeitskräfte aus Nordkorea. Die meisten schuften in der Gastronomie – und bekommen allenfalls ein Taschengeld. Der Löwenanteil des Gehalts fließe in ihr Heimatland, kritisieren internationale Beobachter.
Auch in Russland, arabischen Ländern und Südostasien sind in den vergangenen Jahren immer mehr Arbeiter aus Nordkorea aufgetaucht. Die Vereinten Nationen schätzen ihre Gesamtzahl weltweit auf bis zu 100.000. Sie überweisen pro Jahr über eine Milliarde Dollar, nach Schätzungen vielleicht sogar zwei Milliarden, in ihr Vaterland. Die Praxis ist nicht neu, sie existiert seit den 1980er-Jahren. Doch unter Kim Jong Un sei die Zahl der meist unfreiwilligen Arbeitsmigranten steil gestiegen, berichtet die Organisation NK Watch mit Sitz in Seoul, die die Lage der Menschenrechte in Nordkorea beobachtet.
Der UNO-Sicherheitsrat hat nun auf diesen Zustand reagiert. Denn der Geldfluss nach Nordkorea unterläuft die Sanktionen, die das Land von seinem Rüstungsprogramm abbringen sollen. Eine Deckelung der Zahl der entsandten Arbeiter gehört zu dem Paket von Wirtschaftssanktionen, das der UNO-Sicherheitsrat Montagabend in New York beschlossen hat.
Die Einnahmen der nordkoreanischen Arbeiter seien von entscheidender Bedeutung für die Staatsfinanzen, berichtet das North Korea Strategy Centre in Seoul. „Die Praxis ähnelt der Sklaverei“, sagt die Organisation, die von geflohenen Nordkoreanern betrieben wird. Die Arbeiter schuften für den Luxus, in dem Kim Jong Un lebt. Und auch für die Entwicklung seiner Bombe.
In China gelten die nordkoreanischen Frauen derweil als große Attraktion. Im Pekinger Maizidian-Viertel gibt es seit vielen Jahren das nordkoreanische Restaurant „Datongjiang“. Die Kellne- rinnen unterhalten die Gäste mit Volksliedern und folkloristischen Darbietungen. „Hier gibt es schöne Frauen und schönes Essen!“, lautet eine Bewertung im Internet, die chinesische Klischees über Koreaner auf den Punkt bringt.
Die schönen Mädchen dürfen das Lokal jedoch nicht verlassen. Ihre Wohnräume liegen direkt über der Gaststube. Gespräche mit Chinesen jenseits der Bestellung sind nicht erlaubt. Die Nachbarn glauben zu wissen, dass die Mädchen kein Gehalt ausgezahlt bekommen. Das Rindfleisch kommt der Speisekarte zufolge aus ihrem ansonsten so dicht abgeriegelten Herkunftsland.
Viele Arbeitskräfte aus Nordkorea gibt es mittlerweile auch in Russland. Dort sind allerdings eher nordkoreanische Männer anzutreffen, und zwar auf Baustellen. Diese Arbeitskräfte wurden schon beim Aufbau der Stadien für die Olympischen Spiele in Sotschi eingesetzt, wie in Peking zu hören ist. Das Trauerspiel wiederholt sich nun offenbar: Auf den Baustellen für die FußballWeltmeisterschaft 2018 finden sich zahlreichen Berichten zufolge ebenfalls nordkoreanische Arbeiter.
Etwa 190 von ihnen waren verschiedenen Medien zufolge beim Bau des neuen Gazprom-Stadions in Sankt Petersburg beschäftigt. Der zuständige Sonderberichterstatter für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Marzuki Darusman aus Indonesien, kritisiert diese Praxis. Die Baufirmen seien „Komplizen in einem inakzeptablen System von Zwangsarbeit“. Beobachter in Russland beschreiben die arbeitenden Männer als „ausgemergelt und niedergeschlagen“. Der Fußballverband FIFA versprach kürzlich lapidar, „den Vorwürfen nachzugehen“. Das Stadion ist allerdings inzwischen fertig.
In Russland arbeiten Schätzungen zufolge insgesamt 30.000 Nordkoreaner – und ihre Zahl könnte sogar noch steigen. Die Regierung in Moskau hat erst kürzlich mit Pjöngjang die Ausweitung der Zusammenarbeit vereinbart. Die Frage ist, wie das mit den aktuellen Sanktionen gegen Nordkorea zusammenpasst.
Egal wo die Nordkoreaner eingesetzt sind – sie stehen dort unter lückenloser Kontrolle der Parteizentrale in Pjöngjang. In Peking dürfen sie kein chinesisches Fernsehen und keine Zeitungen zu Gesicht bekommen. Unter ihnen sind Spitzel und Politkommissare, die laufend an den nordkoreanischen Geheimdienst berichten. Die Familien der Arbeiter warten zu Hause auf deren Rückkehr. Sie sind aus Sicht der nordkoreanischen Regierung Geiseln für den Fall, dass ihre Angehörigen im Ausland fliehen und um Asyl ansuchen.
Im vergangenen Jahr waren 13 nordkoreanische Kellnerinnen in China abtrünnig geworden und nach Südkorea abgehauen – und hatten damit einen Eklat ausgelöst. Sie hatten zuvor in einem Restaurant in der Stadt Ningbo gearbeitet. Ihre ehemaligen Kolleginnen traten in Pjöngjang im Staatsfernsehen auf und berichteten unter Tränen, die Frauen seien erst mit falschen Versprechungen irregeführt und dann entführt worden. In Seoul drohe ihnen ein Leben im Elend.
Eine der linientreuen Kellnerinnen richtete ihre Worte direkt an die Ausreißerinnen. „Der Genosse Kim Jong Un sehnt sich nach eurer Rückkehr“, wollte sie die Frauen zur Rückkehr bewegen. Sie sei überzeugt, dass die Kolleginnen sich nichts mehr wünschten, als endlich wieder in die Heimat zurückzukehren.
Der Darstellung der südkoreanischen Behörden zufolge sind die Kellnerinnen allerdings freiwillig übergelaufen und stehen in Seoul unter dem Schutz des Staates. Südkorea hatte den Frauen sofort Pässe ausgestellt. Die chinesischen Behörden haben sie ausreisen lassen. „Die betreffenden Personen verfügten über gültige Ausweisdokumente“, teilte Peking knapp mit.
Die Flucht hat also geklappt. Doch die Familien der geflüchteten Kellnerinnen leiden nun vermutlich unter dem Zorn des Regimes.