Alle verrückt geworden? Die Waffen nieder!
Vor 25 Jahren hoffte die Welt auf die Friedensdividende. Daraus wurde nichts. Im Gegenteil: Ein gewaltiges Aufrüsten ist in Gang geraten.
Es regiert eine Armada der Ängstlichen
Ein eiserner Vorhang trennte Europa. Er trennte Ost von West, Kommunismus von Demokratie. Mehr als 45 Jahre lang hielt diese Grenze, dann brach sie ein. 1991 war mit dem Einsturz der UdSSR der Kalte Krieg zu Ende. Ein Aufatmen ging durch die Menschheit. Die Gefahr einer Apokalypse schien gebannt. Die gewaltigen Rüstungsausgaben, so die Hoffnung, könnten endlich abgebaut werden. Das frei gewordene Geld, die Friedensdividende, sollte in Sinnvolleres fließen als in Raketen und Panzer und nationale Größe.
Die Zukunft schien rosig. Sie wurde dornig. Weltweit feiert der Militarismus sein Comeback. Es wird aufgerüstet, was die Fabriken hergeben. In Europa hat Wladimir Putin, ein Ex-Oberst des sowjetischen Geheimdienstes, der Präsident wurde, die Büchse der Pandora geöffnet. 2014 marschierten seine Truppen hinter einer Nebelwand aus Fake News und Propaganda in die Ukraine ein, wo Moskau seitdem einen kleinen schmutzigen Krieg in Gang hält. In Syrien hielt Putin mit einer Militärintervention ein bluttriefendes Regime im Sattel – und fasste Fuß im Nahen Osten. Hunderttausende Menschen starben oder wurden vertrieben, egal. Russland ist wieder wer. Die Lehre: Gewalt lohnt sich wieder.
Die osteuropäischen Nachbarn flüchteten daraufhin mehr denn je unter den Schutzschirm der NATO. Das westliche Verteidigungsbündnis bekam wieder Sinn, die Militärausgaben steigen, Truppen wurden an die Ostgrenze verlegt. Dort lässt der Kreml soeben Manöver abhal- ten, um das Ergebnis der seit Jahren laufenden Aufrüstung zu testen.
Im Fernen Osten wiederum greift China über seine Grenzen hinaus. China, im Gegensatz zu Russland eine Weltmacht, will sich das Meer vor seinen Küsten sichern – wenn es sein muss, mit Gewalt. Die begleitenden Rieseninvestitionen in die Volksarmee haben die Region aufgeschreckt. Australien zieht nach, auch Neuseeland, Indonesien, Malaysia, Singapur, Indien.
Gleichzeitig ist China unfähig, seinen kleinen Nachbarn Nordkorea im Zaum zu halten. Erst am Freitag schickte die Junta in Pjöngjang erneut eine Testrakete über Japan hinweg. Wenig erstaunlich, wenn nun auch Tokio aufrüsten will und an seiner seit dem Zweiten Weltkrieg herrschenden pazifistischen Grundeinstellung zweifelt.
Bleibt Amerika, die mit Abstand größte Militärmacht der Welt, bis vor Kurzem Führungsnation der Demokratien. In Washington wenigstens sollte man Gelassenheit und ruhige Diplomatie erwarten. Doch Fehlanzeige auch dort. Der Präsident sendet wüste Drohungen über Twitter, fantasiert von einer nie da gewesenen Aufrüstung und hat ansonsten nicht die geringste Ahnung, was er tun oder lassen soll.
Wir haben es mit einer Armada der Ängstlichen zu tun. Der SowjetWiedergänger im Kreml fürchtet die wirtschaftliche und militärische Übermacht des Westens. Der Altherrenriege in Peking wird wie ihren Kollegen in Moskau und Pjöngjang angst und bange angesichts der Vorstellung, Ideen von Freiheit und Mitbestimmung könnten eindringen. Donald Trump wiederum hat grundsätzlich vor allem Angst, was nicht amerikanisch ist, oder besser: so wie er. Europa aber fürchtet um seine Identität.
Die große Unsicherheit breitet sich aus und Militarisierung ist das Heilsversprechen. Terror wird vom Kriminalfall zum Krieg aufgewertet, Polizisten marschieren wie Spezialeinheiten, und selbst der Verteidigungsminister des kleinen Österreich will Panzer auf den Brenner schicken – gegen muslimische Flüchtlinge.
Bei der Waffenbranche knallen die Korken. Die Geschäfte laufen prächtig, jeder verkauft jedem, wie man einander noch besser töten, verstümmeln, vernichten kann. Niemand will verzichten, Deutschland nicht, auch Österreich nicht.
Fragt sich: Wieso sehen alle zu? Sind wir so träge geworden? Warum sind in Peking, Moskau, Brüssel, Berlin, Wien, Paris, Washington nicht immer wieder Hunderttausende auf den Straßen und fordern eine Ende dieses Wahnsinns? Fordern einfach die Einhaltung des Friedens? Schließlich sind es die ganz normalen Menschen, die die Rechnung bezahlen. Trotz aller Angst: Generäle, Präsidenten und Waffenhersteller ziehen selten selbst in den Krieg. Sie pflegen auch nicht ihr Vermögen zu verlieren, ihre Familien und ihre Zukunft.
Sie haben Macht. Aber nur, solange wir sie ihnen leihen. MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM