„Rollatoren“singen mit jugendlichem Elan
Jeden Dienstag wird im Seniorenheim Hellbrunn geprobt. In ihren Liedern springen die Senioren über Bäche, erklimmen Berge und flirten auf Teufel komm raus.
SALZBURG-STADT. Kurz vor zehn Uhr kommt Leben in den Festsaal im Seniorenwohnhaus Hellbrunn in Salzburg. Die wöchentliche Chorprobe ist für 20 der rund 200 Bewohnerinnen und Bewohner ein Fixpunkt. Jeden Dienstag erheben „Die Rollatoren“die Stimme und singen gemeinsam aus ihrem Repertoire an Schlagern und Volksliedern. Ihr Markenzeichen: ein Schal in kraftvollem Türkis.
Die 84-jährige Margit Kocur hat bereits an einem der Tische Platz genommen, vor ihr liegen „Die schönsten Lieder Österreichs“, eingehüllt in einen flauschigen Bucheinband aus Wolle. „Den habe ich gestrickt, heute könnte ich das nicht mehr“, sagt die Seniorin. Das Liederbuch ist längst vergriffen, enthält aber viele Lieder, die zu den Topfavoriten der Chormitglieder gehören.
Neben Kocur lässt sich jetzt Hannes Hofer nieder. Der ehemalige kaufmännische Leiter einer Textilfirma ist mit 76 Jahren einer der Jüngsten in der Runde und übernimmt bei einigen Liedern den Solopart des Zwischenrufers. „Ich liebe alte Lieder.“Früher habe er nur in der Schule gesungen, seit er im Heim lebe, habe er das Singen in der Gemeinschaft kennenund schätzen gelernt.
Chorleiter Peter Christian Ebner heißt jeden Einzelnen willkommen, begleitet die Sängerinnen und Sänger zu ihren Plätzen, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden, verteilt Komplimente, hilft beim Parken der Rollatoren und Gehstöcke und sorgt dafür,
dass alle ein Glas Wasser vor sich stehen haben. „Trinken nicht vergessen, die Gurgel braucht das Wasser“, ruft er in die Runde.
Nach einem kräftigen Schluck und einigen Stimmübungen legen „Die Rollatoren“mit „Im Frühtau zu Berge“los. Einige wiegen sich im Takt oder dirigieren mit. Dann stimmen sie „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“an und wecken mit dem Lied „Das Wandern ist des Müllers Lust“die Erinnerung an bewegtere Zeiten in ihrem Leben. Im Gesang rennen sie über grüne Wiesen, erklimmen Berge und liebäugeln mit dem anderen Geschlecht.
„Jeder darf bei uns im Chor mitsingen, es geht nicht um die beste Stimme, sondern um die Gemeinschaft“, sagt Ebner. Der Theologe und Religionspädagoge ist in Teilzeit als Seelsorger im Seniorenwohnhaus tätig und hat 2013 die Leitung des Chors übernommen. „Das ist eine wunderschöne Aufgabe, es entstehen viele magische Momente.“Das Singen tue der Seele der alten Menschen gut und helfe ihnen, ihre Gefühle auszudrücken. „Ich verstehe die Arbeit mit dem Chor als Seelsorge im tiefsten Sinne.“
Ebner ist selbst begeisterter Sänger. In jungen Jahren sang er im Chor der Domkapellknaben. Mit seiner Frau Angelika BamerEbner ist er auch in der Theaterarbeit aktiv. Den Namen „Die Rollatoren“haben die Sänger gemeinsam mit Ebner ersonnen. „Bei uns sind Witz und Selbstironie mit im Spiel“, sagt er. Das zeigt sich auch beim Lied „Der Weg zu mein Diandl is stoanig“. Die Senioren haben eine Strophe dazugedichtet und singen beherzt: „Der Weg zu mein Diandl is barrierefrei, drum foahr i mit’n Roller, so dass i mi g’frei.“
Das Lied ist einer der Hits bei den Auftritten des Chors. Zwei bis drei Mal pro Jahr rücken sie aus und greifen tief in die Schlagerkiste. „Rote Lippen soll man Küssen“kommt immer gut an. Zuletzt sang der Chor beim Fest der Vielfalt in der TriBühne Lehen. Im Wohnheim umrahmen die Sänger musikalisch viele Feiern und kirchliche Feste. Ein Muttertag ohne Chor ist undenkbar.
Mit „In die Berg bin i gern“würdigt die Runde Heimbewohner Fritz Wintersteller, dem mit einer Gruppe von Bergsteigern 1957 die Erstbesteigung des Broad Peak (8051 Meter) geglückt ist.
Jetzt legt Ebner eine CD mit der Oper „Rigoletto“von Giuseppe Verdi ein und schon schmettert der Herzog von Mantua die weltbekannte Melodie „La donna è mobile“. Die Chormitglieder sind begeistert. „Genau so müssen wir alle jetzt auch singen“, scherzt Ebner. Alle lachen und stimmen „Die Gedanken sind frei“an. Das Lied ist das Ständchen zu Ehren von Chormitglied Elfriede Dworzak, die ihren 95. Geburtstag gefeiert hat. Den Abschluss macht ein Tiroler Lied. „Schön kraftvoll“, sagt Ebner und gibt den Einsatz. Plötzlich piept es. Einer der Sänger wird daran erinnert, seine Tabletten einzunehmen. Auch dafür ist Zeit im Chor. Nach der Probe sind die singenden Rollatoren bester Laune. Beim Weg zurück ins Zimmer kommen wieder die fahrenden Rollatoren als Gehbehelf zu Ehren.