Unsichtbar gemacht haben Frauen mehr Chancen
Das Schubladendenken ist stärker, als die meisten glauben möchten. Das behindert Frauen im Beruf. Also verschleiern wir doch!
Frauen können sich nur falsch verhalten. Treten sie selbstbewusst auf, beanspruchen sie Führungsrollen für sich oder sagen sie gar offen, was Sache ist, misstraut man ihnen. Vorwürfe, die Frau agiere aggressiv oder sie sei ja ärger als jeder Mann, was stets sehr selbstentlarvend ist, werden lustvoll gepflegt.
Unlängst meinte ein erfahrener und hochrangiger Mann der Wirtschaft durchaus wohlwollend: „Agiere doch endlich männlich!“Dies meinte er im Sinne: Nimm keine Rücksicht auf die anderen. Mein Konter: „Ich agiere weder männlich noch weiblich, sondern menschlich.“Der Ratgeber lächelte mitleidig. In gewisser Weise hat er natürlich recht. Denn das kategorische Denken hat eine große Macht. Wir Menschen stecken alles in Schubladen. Dass dabei viele falsche Stereotype entstehen, fällt den meisten gar nicht auf. Und so werden bestimmt agierende Männer bewundert, Frauen mit dem gleichen Verhalten aber als aggressiv abgestempelt. Man hat die Klischees so oft gehört, dass objektiv Falsches zur Wahrheit wird.
Das Dumme für Frauen dabei ist, dass diese falschen Stereotype im Berufsleben ihre Chancen unterwandern. Das schadet auch Unternehmen, die damit auf Talente verzichten. All die Fördermaßnahmen für Frauen helfen herzlich wenig, die Klischees zu beseitigen.
Die Schweizer Verhaltensökonomin Iris Bohnet, die Dekanin an der Kennedy School of Government der US-Elite-Universität Harvard war, fordert daher eine Anonymisierung des Bewerbungsprozesses. Es sollten nur mehr Leistungen zählen und nicht Geschlecht oder Aussehen. In den USA haben Sinfonieorchester bereits in den 1970er-Jahren begonnen, Musiker hinter Vorhängen vorspielen zu lassen. Das hat die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau angestellt worden ist, um 50 Prozent erhöht. Heute spielen in amerikanischen Orchestern 40 Prozent Frauen. Wie jemand ausschaut, hat allenfalls etwas mit Sympathie zu tun, aber nichts mit seiner oder ihrer Leistung. Sympathie empfinden wir vor allem für jene, die uns ähnlich sind, das fördert keinesfalls Diversität. Auch freie Gespräche statt strukturierter führen dazu, dass Bewerberinnen und Bewerber aufgrund unbewusster Vorurteile ausgesiebt werden. Eine IT-Firma hat daher ihre Aufnahmetests derart anonymisiert, dass sie nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Studienabschlüsse rausgenommen hat. Siehe da: Die Firma bekam bessere Mitarbeiter und mehr Frauen. Sicher, die Vorstellung, sich als Frau unsichtbar machen zu müssen, ist auf den ersten Blick frustrierend und erinnert an Autorinnen früherer Jahrhunderte, die nur unter männlichen Pseudonymen schreiben konnten. Auf den zweiten Blick ist die Anonymisierung aber eine gute Chance für Frauen.