Wenn Gedanken Musik schreiben
Komponieren ist Schwerarbeit. Es gilt als hohe Kunst, die Musik, die man im Kopf hört, auf Papier zu bringen. Grazer Forscher erfanden jetzt eine Methode, bei der man sich jede weiteren Notenkenntnisse sparen kann.
Komponieren ist Schwerarbeit. Es gilt als hohe Kunst, die Musik, die man in seinem Kopf hört, auch auf Papier zu bringen. Grazer Forscher erfanden jetzt eine Methode, bei der man sich jede weitere Notenkenntnis sparen kann.
Gehirn-Computer-Schnittstellen, man nennt sie auch kurz BCIs, ersetzen heute so manche körperliche Funktionen: Vor allem körperlich beeinträchtigte Menschen profitieren davon, da sie damit in vielen Dingen des Alltags unabhängig werden. Denn sie können dank BCI-Technologie spezielle Prothesen über ihre Gedanken steuern, im Internet surfen oder auch selbstständig und ohne fremde Hilfe E-Mails schreiben oder ihre Bankgeschäfte erledigen.
Unter dem Titel „Brain Composer“zeigt eine Gruppe um den BCIExperten Gernot Müller-Putz vom Institut für Neurotechnologie der Technischen Universität Graz, dass auch Töne auf der Klaviatur der Brain-Computer-Interfaces erklingen können. Aus der schon seit Längerem etablierten BCI-Methode, die hauptsächlich zum Buchstabieren, also Schreiben, mittels BCI dient, hat das Team jetzt eine neue Anwendung entwickelt, mit der sich Musik rein durch Gedankenkraft komponieren und auf ein Notenblatt übertragen lässt. Alles, was es dazu braucht, ist eine spezielle Haube, die die Gehirnströme misst, das adaptierte BCI, eine Kompositionssoftware und freilich ein bisschen musikalisches Vorwissen. Jedenfalls so viel Musikalität, dass einem Musik einfällt.
Das Grundprinzip der verwendeten BCI-Methode namens P300 ist rasch beschrieben: Verschiedene Optionen, etwa Buchstaben oder in dem Fall Noten, Pausen, Akkorde und Ähnliches blitzen rasch nacheinander in einer Tabelle auf. Wer trainiert ist und auf die gewünschte Option fokussiert, während diese aufleuchtet, verursacht damit eine minimale Änderung der Gehirnströme. Das BCI erkennt diese Änderung und zieht daraus Rückschlüsse auf die gewählte Option.
Melodien auf ein Notenblatt „denken“durften 18 Testpersonen, die Gernot Müller-Putz, Andreas Pinegger und Selina C. Wriessnegger vom TU-Graz-Institut für Neurotechnologie sowie Hannah Hiebel, mittlerweile Institut für Allgemeine Psychologie der Karl-Franzens-Universität Graz, für ihre Studie ausgewählt hatten. Alle Testpersonen waren in der Studienphase körperlich gesund und hatten ein gewisses musikalisches und kompositorisches Grundwissen, da sie etwa selbst Instrumente spielen. Unter den Testpersonen war auch der 2016 verstorbene Grazer Komponist und Klarinettist Franz Cibulka. „Die Ergebnisse der BCI-Kompositionen können sich wirklich hören lassen. Und was noch wichtiger ist: Die Testpersonen hatten daran Freude. Schon nach einem kurzen Training konnten alle draufloskomponieren, ihre Melodien auf dem Notenblatt sehen und dann auch selbst spielen. Die sehr positiven Studienresultate mit körperlich gesunden Testpersonen sind der erste Schritt zur möglichen Erweiterung der BCI-Komposition für Patientinnen und Patienten“, betont MüllerPutz.
Diese Spielerei zeigt, in welche Richtungen es noch gehen könnte. Es gibt mittlerweile erste Ansätze von BCI-Systemen auf dem Smartphone. Damit ließen sich BCI-Anwendungen leichter unter die Leute bringen, denn das Smartphone wird als leistungsfähiger Computer selbst Teil des BCI-Systems.
Denkbar sind etwa BCI-Apps, die Hirnsignale für unterschiedlichste Anwendungen analysieren können. „Vor 20 Jahren war die Vision, mit Gedankenkraft ein Musikstück zu komponieren, unvorstellbar. Jetzt sind wir so weit, und haben gleichzeitig etliche neue Visionen, die aber noch weit entfernt von der Realität sind. Es dauert noch, bis das reif für Alltagsanwendungen sein wird. Die BCI-Community arbeitet in vielen Richtungen mit Hochdruck“, sagt der Forscher.