Mozart kann mondsüchtig machen
Torsten Fischer und René Jacobs zeigen eine Fassung von Mozarts „Zauberflöte“, die mit allerhand Utopien angereichert ist.
WIEN. Soso, „Die Zauberflöte“war einmal ein niederschwelliges Werk, das auf Anhieb jeder ins Herz schloss – und verstehen konnte? Schon, aber dann schuf Gott die Dramaturgen. Als 1791 im Wiener Freihaustheater die Oper von Mozart und Schikaneder herauskam, wurde sie vom „Volk“gestürmt wie heutzutage ein Fendrich-Musical, man konnte die Melodien pfeifen und staunte über die technischen Wunder. Mozart starb alsbald, Schikaneder konnte sich später ein eigenes Haus bauen, das Theater an der Wien. Ebendort hatte am Sonntag Mozarts „Zauberflöte“Premiere. Das Interview mit dem Regisseur Torsten Fischer im Programmheft über seine Interpretation ließ Bedenken aufkommen. Man sagt gern, an einer „Zauberflöte“kann ein Regisseur nur scheitern, es gibt (zu) viele Wege zum Werk. Aber so sehr, wie sich Fischer an der Hand seines Dramaturgen und Ausstatters Herbert Schäfer verstieg, gelingt das selten jemandem.
Die Oper gilt ja als „Einstiegsdroge“für den Publikumsnachwuchs, unzählige Operngänger erzählen, dass sie einst als Kind von ihren Eltern zur „Zauberflöte“mitgenommen worden waren. Auf Verständlichkeit für alle Generationen legt Fischer wenig Wert, und auch nach vielen Produktionen und im Glauben, das Werk gut zu kennen, steht man vor Rätseln, was denn diese Dramaturgie an Mehrwert bereithalten könnte. Ein hoher Prozentsatz der zugegeben verwirrend vielschichtigen Geschichte ist umgedeutet. Selbst René Jacobs als musikalischer Leiter ließ sich dazu herab, bereits die bebilderte Ouvertüre zu unterbrechen, um „Theater“ zuzulassen, und schob überdies eine Kantate ein, die Mozart für Tenor auf einem Text von Franz Heinrich Ziegenhagen komponiert hat: „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“. Aha, Currentzis und Sellars mit dem Salzburger Baukasten-„Titus“machen Schule.
Bei der Ouvertüre wird ein ungekanntes Geheimnis gelüftet: Tamino und Pamina kennen sich bereits und starren händchenhaltend ins Licht, das durch Fernand Khnopffs symbolistisches Bild „Liebkosung“scheint. Es ist die Sonne, die zuletzt wieder aufgeht und zuschaut, wie ihr Sarastro und die Königin der Nacht Hand in Hand entgegenschreiten. Dazwischen taucht allerdings den Abend über ein Vollmond die Bühne in diffuses Licht.
Dort ereignet sich allerhand an Ungereimtheiten. Tamino wird von einem Rudel Frauen in die Ohnmacht gehetzt, sie gehören zu Papageno, der ein Zuhälter ist und wie ein Praterstrizzi spricht. Die Drei Damen werden handgreiflich am schönen Prinzen, der wiederum nutzt seine erste Begegnung mit der Königin der Nacht in Unterwäsche, um ihr an dieselbe zu gehen. In Sarastros Reich gehen Gitter herunter, auch ein Riesenspiegel kommt zum Einsatz. Der „Tattoo“-Monostatos verzweifelt an der Uneinnehmbarkeit der Pamina und will sich selbst verbrennen – das ist aber schon die „Feuerprobe“. Zur „Wasserprobe“liegen Rettungswesten à la Ai Weiwei samt „Flüchtlingen“auf der Bühne. Fast schikanederisch ist es, wie Papageno seine Papagena kriegt. Das erklärt der „texttreue“Regisseur im Programm so: Das volkstümliche Paar habe Witz und mache die Oper überhaupt spielbar. „Sie wäre sonst zu triefig und zu pseudotief.“Ein schönes Wort. Die größte Sünde des Duos Fischer/Schäfer ist eben die Langeweile, die solche aufgeschwellten Gedankengänge mit sich bringen.
René Jacobs legt mit der Akademie für Alte Musik Berlin auch manchmal Gedankenpausen ein und reißt wenig mit, was man auch auf der Bühne spürt, wo gut, aber kaum außerordentlich gesungen wird. Sebastian Kohlhepp ist ein angeschärfter Tamino, Sophie Karthäuser als reife Pamina enttäuscht, Daniel Schmutzhardt als Papageno ist ein charmanter Rotzlöffel, Katharina Ruckgaber als (stets präsente) Papagena ist entzückend, ebenso die Drei (St. Florianer) Knaben, die zwischendurch für ein interreligiöses Gipfeltreffen vor einer Klagemauer jüdisch-arabisch-christlich eingekleidet werden. Bestechend ist Nina Minasyan als Königin der Nacht, salbungsvoll Dimitry Ivashchenko als Sarastro, eher durchschnittlich der Rest. Buhschreier waren im lauten Applaus keine auszumachen, was doch erstaunte. Oper: „Die Zauberflöte“von W. A. Mozart. Theater an der Wien, noch am 19., 21., 23., 26. und 28.September.
Und dann schuf Gott die Dramaturgen