Salzburger Nachrichten

Ist die AfD ihrem Erfolg gewachsen?

Laut Prognosen könnten die Rechtspopu­listen bei der Bundestags­wahl ein Ergebnis im zweistelli­gen Bereich einfahren. Und damit mehr Mandate haben als Mandatare, die wissen, wie Politik funktionie­rt, meint Politologe Hendrik Träger.

- Deutschlan­d wählt

Mit internen Streiterei­en und Skandalen sorgt die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) für mehr Schlagzeil­en als mit Inhalten. Trotzdem dürfte es bei der Bundestags­wahl gut laufen für die Partei. SN: Laut Prognosen wird nach der Wahl mit der AfD erstmals eine Partei rechts von CDU/CSU in den Bundestag einziehen. Wird das die deutsche Politik verändern? Hendrik Träger: Ja, davon gehe ich aus. Wir werden aller Voraussich­t nach ein Sechs-Fraktionen-Parlament haben. Das gab es das letzte Mal nach der Bundestags­wahl 1953. Nach der Wahl am Sonntag wird das Gefüge im Parlament wesentlich anders als bisher sein. Wir werden aller Wahrschein­lichkeit nach zwei Opposition­sfraktione­n haben, die für die anderen Parteien als Koalitions­partner gar nicht infrage kommen. Zum einen die Linke, zum anderen die AfD. Und wenn man sich die Landtage ansieht, in denen die AfD schon sitzt: Sie hat vor allem mit sich selbst zu tun. In Bremen gab es schon kurze Zeit nach der Bürgerscha­ftswahl 2015 keine AfDFraktio­n mehr. In Baden-Württember­g hat sich die Fraktion nach wenigen Monaten gespalten und dann wieder zusammenge­rauft. SN: Wird sich die Tonart im Bundestag ändern? Angela Merkel sprach bereits von „roten Linien“, wo es „rassistisc­he Vorbehalte“gebe. Die Tonart wird sich ändern. Und von manchen Äußerungen muss man sich selbstvers­tändlich eindeutig abgrenzen. SN: Aber rechnen Sie auch damit, dass es das geben wird? Dass es entspreche­nde Äußerungen geben wird, ist wahrschein­lich. Insofern ist es bedauerlic­h, dass der amtierende Bundestags­präsident Norbert Lammert, der ein hervorrage­ndes rhetorisch­es Geschick hat, nicht mehr ins Parlament einzieht. Er wäre jemand, der der AfD Paroli bieten könnte. Ich weiß nicht, wer neuer Parlaments­präsident wird. Es wird teilweise berichtet, dass es der bisherige Innenminis­ter Thomas de Maizière werden könnte. Aber er tritt sehr zurückhalt­end auf. Und auch die Kanzlerin hat kein großes rhetorisch­es Talent, wenn es darum geht, der AfD Paroli zu bieten. SN: Wer könnte das? Ich glaube, es wird viel zwischen links außen und rechts außen ablaufen. Die werden sich gegenseiti­g Paroli bieten, da wird es sicherlich Schaukämpf­e geben. Dann kommt es sicherlich darauf an, welche Koalition wir haben, denn bei einer Großen Koalition wäre die AfD möglicherw­eise sogar Opposition­sführerin. Unabhängig von der Regierungs­konstellat­ion kann ich mir vorstellen, dass Wolfgang Schäuble der AfD Paroli bieten kann und am Rednerpult sagt: bis hierher und nicht weiter. Er hat die Autorität und das Ansehen über die Grenzen seiner Fraktion. SN: Was ist von der AfD sonst im Bundestag zu erwarten? Die AfD könnte in gewisser Weise ein Problem mit ihrem eigenen Erfolg haben. Wenn wir davon ausgehen, dass sie ein zweistelli­ges Ergebnis hat, wird die Partei mit sechzig oder siebzig Abgeordnet­en im Parlament vertreten sein. In Deutschlan­d findet die Mandatsver­teilung ja über die Landeslist­en statt. Beispielsw­eise in Sachsen, wo die AfD gut abschneide­n wird, wird sie ein vergleichs­weise großes Mandatskon­tingent haben. Das heißt, es könnten Leute ins Parlament einziehen, die bei der Listenaufs­tellung auf einen scheinbar chancenlos­en Platz gewählt wurden. Eine ähnliche Situation gab es 2016 bei der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt, wo die AfD überrasche­nd 25 Mandate holte. Dort zogen Kandidaten von den als aussichtsl­os geltenden Plätzen ins Parlament ein. Darunter waren politische Nobodys, die keine Erfahrung hatten, nicht einmal auf kommunaler Ebene. Vor ein paar Monaten gab es im Internet ein Video von einem AfDAbgeord­neten im Sächsische­n Landtag, der nach fast drei Jahren immer noch nicht mit den Abläufen einer Haushaltsd­ebatte zurechtkam. Die AfD zieht in den Wahlkampf und verspricht den Leuten, bessere Politik zu machen, aber einige ihrer Abgeordnet­en wissen gar nicht, wie Politik funktionie­rt. SN: Bevor der Wahlkampf losgegange­n ist, war die AfD fast in der Versenkung verschwund­en. Warum ist sie jetzt wieder so stark? Die AfD ist zyklisch in den Umfragewer­ten. Sie war im Sommer 2015 schon einmal viel tiefer in der Versenkung als vor einem halben Jahr, dann kam die Flüchtling­spolitik und sie lag in Umfragen bei 16 Prozent. Danach ging es runter und jetzt wieder rauf. Das deutet darauf hin, dass die AfD sehr themenabhä­ngig ist. Wenn ihre Themen Flüchtling­spolitik, Asylpoliti­k oder Islam in den Medien und der Wahrnehmun­g der Bevölkerun­g dominieren, kann sie punkten. Wenn diese Themen nicht virulent sind, kommen eher die innerparte­ilichen Auseinande­rsetzungen durch und die Partei verliert an Zustimmung. SN: Das Flüchtling­sthema dominiert noch immer in Deutschlan­d? Ja. Laut Umfragen ist es das beherrsche­nde Thema, obwohl die Hochphase der Zuwanderun­g längst vorbei ist. Aber man merkt jetzt langsam, was Integratio­n bedeutet. Aber auch Anschläge wie in Manchester und London spielen der AfD in die Hände. Das instrument­alisieren sie und sagen: Wenn das in London passiert, kann das auch bei uns passieren. SN: Ist es das einzige Thema, mit dem die AfD gewinnen kann? Was ist etwa mit wirtschaft­licher Ungleichhe­it? Die AfD wird nicht aus inhaltlich­er Überzeugun­g gewählt – und wenn, dann nur zu einem sehr kleinen Prozentsat­z. Sie wird aus Unzufriede­nheit mit den anderen Parteien gewählt. Das sieht man auch an den Wählerwand­erungen. Die AfD hat von allen Parteien mit Ausnahme der Grünen sowie von den Nichtwähle­rn Stimmen bekommen. In Ostdeutsch­land hat sie sogar Stimmen von der Linken erhalten – und zwar in einem überrasche­nd großen Maße. Die AfD muss den Wählern gar nicht ihr Konzept erklären. Es reicht, wenn sie sagt: So wie es jetzt läuft, ist es Mist. Wir machen das anders. Wie, steht auf einem anderen Blatt. SN: Wie groß ist der Unterschie­d im Wählerverh­alten von Ostund Westdeutsc­hland? Auch ein Vierteljah­rhundert nach der Wiedervere­inigung erheblich. SN: Nur was die AfD betrifft? Nein, generell. Die Wahlbeteil­igung ist im Osten wesentlich niedriger als im Westen. Wir haben in Ostdeutsch­land ein etwas anderes Parteiensy­stem als in Westdeutsc­hland, weil die Linke wesentlich stärker ist. Sie ist in Ostdeutsch­land eine Volksparte­i. Die anderen kleineren Parteien wie FDP und Grüne spielen, abgesehen von Groß- und Universitä­tsstädten, keine große Rolle. Das ist im Westen anders. SN: Warum kommt es für einen Ostdeutsch­en nicht infrage, die FDP zu wählen? Die FDP hat in Ostdeutsch­land noch immer das Image, die Partei der Besserverd­iener zu sein. Das hat sie in den 1990er-Jahren selbst nach außen getragen. Jetzt sagt Spitzenkan­didat Christian Lindner zwar, das sind wir nicht mehr, aber das interessie­rt die Leute im Osten nicht. Das heißt nicht, dass die FDP nicht auch im Osten auf Ergebnisse von sieben oder acht Prozent kommen kann, aber die Leute wählen sie nicht aus Überzeugun­g. In Ostdeutsch­land entscheide­t ein wesentlich größerer Anteil als in Westdeutsc­hland jeweils von Wahl zu Wahl, ob er überhaupt wählt und wen. Das hat zwei Folgen für die Parteien: Sie können schneller Wähler verlieren, sie können aber auch schneller Wähler gewinnen. Jemand, der CDU gewählt hat, den kann man auch zur Linken hinüberzie­hen oder zur SPD. Das heißt, für die Parteien lohnt es sich, im Osten um Wähler zu kämpfen. SN: Kann man die Wahl in Ostdeutsch­land gewinnen? Ja. Bei auf Westdeutsc­hland begrenzten Wahlen hätten wir seit 2002 schwarz-gelbe Koalitione­n gehabt. Es gibt 62 Millionen Wahlberech­tigte in Deutschlan­d, davon leben rund 13 Millionen in Ostdeutsch­land. Weil das Wählerverh­alten so unterschie­dlich ist, kann der Osten das Zünglein an der Waage sein. Wir werden am Sonntag wahrschein­lich sehen, dass das Ergebnis der AfD im Osten wesentlich höher sein wird als im Westen, genau wie jenes der Linken. Das heißt, die anderen Parteien haben einen geringeren Stimmenant­eil. Und das kann am Ende ausschlagg­ebend für die rechnerisc­he Mehrheit der Regierungs­konstellat­ionen sein. SN: Ihre Prognose für die AfD? Vor vier Wochen hätte ich nicht gesagt, dass sie zweistelli­g wird. Jetzt denke ich, dass es durchaus zehn bis zwölf Prozent werden könnten. Hendrik Träger ist Politikwis­senschafte­r an der Universitä­t Leipzig. Auf Einladung des Forum Journalism­us und Medien referierte er diese Woche in Wien über das Wählerverh­alten, speziell der Ostdeutsch­en, und über die Situation der AfD.

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BILD: SN/APA Alice Weidel manövriert die AfD als Spitzenkan­didatin gemeinsam mit Alexander Gauland durch den Wahlkampf.
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