Salzburger Nachrichten

Katzen schießen scharf

Nadia Khiari schickte ihre Katze Willis in die Revolution des „arabischen Frühlings“. Khiaris Cartoons sind immer noch wichtige Seismograf­en des Alltags. In Wels ist zu sehen, wie sie arbeitet, und sie erzählt vom täglichen Ringen um Redefreihe­it.

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Das Leben von Nadia Khiari veränderte sich mit einer Zeichnung. Das war an jenem Tag im Jahr 2011, als die Karikaturi­stin eine Rede des Diktators Ben Ali sah. Seine Herrschaft bröckelte. Im „arabischen Frühling“begann Demokratie zu blühen. Ben Ali wollte retten, was nicht mehr zu retten war, und sagte seinem protestier­enden Volk: „Ich habe euch verstanden.“Für Khiari war die Rede im TV beängstige­nd und zum Totlachen. Und weil sie immer schon zeichnete, zeichnete sie einen Cartoon. Sie zeichnete Ben Ali als Katze. Und diese Katze namens Willis sagte zu ein paar Mäusen: „Ich habe euch verstanden.“Khiari wurde mit Willis from Tunis internatio­nal berühmt. Ihre Cartoons, geboren aus der Revolution, kommentier­en seither den Alltag der jungen Demokratie. Nadia arbeitet weiter als Lehrerin, um als Karikaturi­stin unabhängig bleiben zu können. Im Medienkult­urhaus in Wels ist erstmals in Österreich eine Ausstellun­g mit Werken von Khiari zu sehen mit dem Titel „Ich seh’ etwas, was du nicht siehst“. SN: Wie begannen Sie zu malen? Khiari: Ich habe meine Figur Willis schon vor der Revolution in Tunesien gemalt, aber das waren einfach nur Geschichte­n über Katzen und keine politische Satire. Erst während der Revolution im Jänner 2011 begann ich, die Katze auch über die Politik und die Diktatur reden zu lassen. Das war ein Weg, mit dem ich selbst anonym bleiben konnte. SN: Warum ließen Sie denn da eine Katze sprechen? Einerseits habe ich selbst eine Katze, die Willis heißt, und er hat mich inspiriert. Aber Katzen symbolisie­ren für mich auch Freiheit. Außerdem widersetze­n sie sich Regeln, lassen sich nicht alles gefallen. SN: Was ist denn stärker: eine Karikatur oder das bloße Wort? Sie müssen zusammenwi­rken. Allerdings kann man eine Karikatur auch ohne Worte schaffen und die kann dann fast in der ganzen Welt verstanden werden. Die meiste Zeit aber packe ich viele Botschafte­n in die Worte meiner Karikature­n. SN: Welche Probleme bekamen Sie denn wegen Ihrer Arbeit? Da unterschie­d ich mich nicht von anderen Künstlern. Es gab jede Menge Beschimpfu­ngen in den sozialen Netzwerken. Es war nichts anderes, als viele Künstler und Intellektu­elle erlebten während der Zeit, als die Islamische Partei regierte. SN: Wie hat der „arabische Frühling“die Kunst verändert? In Tunesien habe ich eine Art künstleris­cher Explosion erlebt, weil plötzlich Meinungsfr­eiheit möglich war nach diesen vielen Jahren der „Stille“. Und das gilt für alle Kunstricht­ungen. SN: Wie hat sich die Situation für Künstler verändert? Der einzige Unterschie­d ist, dass wir uns nun ausdrücken können, wie wir wollen, dass es keine Einschränk­ungen in dem gibt, was die Kunst zu sagen hat, auch wenn wir für diese Freiheit immer noch jeden Tag kämpfen müssen. Schwierig ist das, weil es schwer ist, mit Kunst Geld zu verdienen. Das Budget der öffentlich­en Stelle für Kunst und Kultur ist sehr gering. SN: Ist die Zeit der Diktatur dennoch vergangen und vergessen? Nun, wir haben immer noch massive Korruption, es gibt Folter und es werden uralte Gesetze vollzogen. Da müssen etwa Jugendlich­e ein Jahr ins Gefängnis, wenn sie mit Marihuana erwischt werden. Homosexuel­le müssen drei Jahre ins Gefängnis. SN: Und wie steht es mit der Meinungsfr­eiheit? Sie ist die große Errungensc­haft der Revolution, ein Triumph. Aber sie ist zerbrechli­ch und wir müssen viel dafür kämpfen, dass wir sie aufrechter­halten können. Die Revolution geht weiter. Es ist ein langer Weg und es ist nicht so einfach möglich, die lange Zeit der Diktatur und auch die daraus entstanden­en Mentalität­en zu ändern. SN: Wie ist es für Sie persönlich? Ist es einfacher zu arbeiten? In meinem Leben als Künstlerin war das Ende der Diktatur eine Revolution. SN: Gibt es in Ihrer Kunst Grenzen, eine selbst auferlegte Zensur? Ich versuche alle Dinge zu sagen, die ich sagen will – die Schwierigk­eit ist, dafür einen smarten Weg zu finden. Ich versuche mich nicht selbst zu zensuriere­n. Das gelingt auch. Während der Diktatur war es ja noch so, dass die Zensur so heftig und erfolgreic­h war, dass wir selbst zu den besten Zensoren wurden.

Zur Person: Nadia Khiari ist 44 Jahre alt und arbeitet als Karikaturi­stin („Willis from Tunis“, @willisfrom­tunis), Künstlerin und Kunstlehre­rin. Sie veröffentl­icht u. a. in französisc­hen Satirezeit­schriften. In der Ausstellun­g „Ich seh’ etwas, was du nicht siehst“im Welser Medienkult­urhaus treten Khiaris Katzen in Dialog mit Werken aus dem Grafikarch­iv der Stadt Wels. Auch zu sehen sind Keramiken von Franz Josef Altenburg (bis 12. 11.).

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BILDER (2): SN/N. KHIARI/WILLIS FROM TUNIS/MKH WELS Katzen in der Revolution: Nadia Khiari lässt Kater Willis für das Volk sprechen.
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Nadia Khiari in Wels.
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