Salzburger Nachrichten

Salzburger spürte in Grönland versunkene Umweltbomb­e auf

40 Meter unter der Eisoberflä­che liegt eine vor Jahrzehnte­n aufgegeben­e US-Militärbas­is. Die Klimaerwär­mung könnte die Reste wieder freilegen. Das hätte unabsehbar­e Folgen.

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THULE. Völlig unbeachtet vom Rest der Welt und fernab der Zivilisati­on war der Salzburger Daniel Binder einem der größten Geheimniss­e der jüngeren Menschheit­sgeschicht­e auf der Spur. Der 38-jährige Geophysike­r von der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik kehrte kürzlich von einer Expedition ins ewige Eis Grönlands zurück, die sich auf die Suche nach einer versunkene­n US-Militärbas­is machte. Was der Mission eines berühmten britischen Agenten im Dienste der Queen ähnelte, hat in Wahrheit einen ernsten Hintergrun­d: Das Team, dem der Wissenscha­fter aus Bad Gastein angehörte, sollte klären, ob und wann das sagenumwob­ene Camp Century aus dem gigantisch­en Eisschild herausschm­ilzt. Die Folgen sind nach derzeitige­n Erkenntnis­sen nicht absehbar. Denn in 30 bis 40 Metern Tiefe schlummert eine riesige, radioaktiv­e Zeitbombe.

Camp Century war die erste Station eines weitläufig geplanten Netzwerks mit dem klingenden Namen Project Iceworm. Ende der 1950er-Jahre wurden rund 200 Kilometer östlich der US-Militärbas­is Thule im äußersten Nordwesten Grönlands 21 Tunnel in den Gletscher gegraben, die acht Meter unter der Oberfläche lagen. Mit von der Partie war ein mobiler Kernreakto­r zur Energiever­sorgung. Da sich jedoch über die Jahre zeigte, dass die Instandhal­tung technisch zu aufwendig war, gab man das Camp in den 1960er-Jahren auf. Der Kernreakto­r wurde entfernt, zurück blieben rund 9000 Tonnen Baumateria­l, 200.000 Liter Diesel, unbestimmt­e Mengen an umweltschä­dlichen polychlori­erten Benzolen (PCB) sowie rund 24.000 Liter radioaktiv­en Kühlwasser­s.

Sechs Jahrzehnte später stattete Daniel Binder Camp Century einen Besuch ab. „Sehen tut man gar nichts. Nur eine weiße, glatte Oberfläche“, berichtet der Geophysike­r. Bis vor zehn Jahren habe noch ein alter Wettermast aus dem gleißenden Weiß geragt. „Der Gletscher gewinnt dort an Masse. Pro Jahr bleiben rund 1,5 Meter Schnee liegen, der sich verdichtet. So kann sich jährlich ein halber Meter Eis bilden.“Darum rutschte die US-Basis mittlerwei­le in solch große Tiefe ab. In Zeiten des Klimawande­ls stellten sich die Forscher des von der dänischen Regierung beauftragt­en Geological Survey from Denmark and Greenland die entscheide­nde Frage: Wird der Gletscher tatsächlic­h noch dicker oder ist er bereits im Abschmelze­n begriffen? Deshalb kämpften sich Daniel Binder, der Tiroler Meteorolog­e Jakob Abermann und vier weitere Wissenscha­fter zwei Wochen lang durch dichtes Schneetrei­ben bei Temperatur­en um und unter dem Gefrierpun­kt. Dass die Zeit drängt, zeigten Bohrungen. „Einmal roch es nach Kohlenwass­erstoffen. Es war kein Diesel, aber man hat deutlich etwas gerochen“, sagt Binder. Sicher ist, dass man mit den Altlasten seinerzeit nicht zimperlich umging: „Das Kühlwasser des Kernreakto­rs hat man einfach in den Eisschild gepumpt.“Die Mühe, es zumindest in Fässer abzufüllen, machte man sich nicht. Die Forscher gehen davon aus, dass es in 30 bis 40 Metern Tiefe derzeit konstant minus 20 Grad hat. Gut möglich also, dass das frosttaugl­iche Kühlwasser noch in flüssiger Form vorhanden ist.

Nicht nur deshalb soll das Forschungs­projekt herausfind­en, ob es nötig ist, die gefährlich­en Stoffe zu bergen, bevor sie aus dem Gletscher schmelzen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 ist damit zu rechnen, dass Camp Century um das Jahr 2100 an der Oberfläche liegt.

Die Expedition sei ein voller Erfolg gewesen, sagt Binder. Man habe ausreichen­d Daten gesammelt, um einen genauen Lageplan der Basis auszuarbei­ten. Ob der Gletscher rundherum nun schmilzt oder wächst, wisse man aber erst in einem Jahr, wenn eine zweite Expedition Vergleichs­werte misst. Bis zum Sommer 2018 ist Daniel Binder in Kopenhagen mit Arbeit eingedeckt. Dennoch kann er es kaum erwarten, der versunkene­n Umweltbomb­e im ewigen Eis Grönlands noch mehr Geheimniss­e zu entlocken.

„Man hat deutlich etwas gerochen“

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BILD: SN/WIKIPEDIA/SILODROME.COM Im ewigen Eis Grönlands sollte ein ganzes Netzwerk an US-Militärbas­en entstehen.
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Daniel Binder, ZAMG-Geophysike­r

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