Als der Kalte Krieg auf das Eis ging
Vor 45 Jahren hielt eine Eishockey-Serie die Welt in Atem: Erstmals traf Kanada auf die UdSSR. Herausgekommen ist „das Tor, das die Welt hörte“.
SALZBURG. September 1972: Der Kalte Krieg war auf dem Höhepunkt, Kubakrise und Prager Frühling noch nicht zu lange her. Der Sport war da nur eine – aber nicht die unbedeutendste – Bühne im Kampf der Systeme, Weltanschauungen und Kulturen. Genau da kam es zum großen Duell: Kanada forderte die UdSSR im Eishockey.
Zur Vorgeschichte: Die UdSSR betrat mit ihren Staatsamateuren erst 1953 die Eishockey-Bühne und gewann fortan fast alles – auch weil der Weltverband es nicht zugelassen hat, dass Sportler aus Amerikas Eishockey-Profiliga NHL an der WM teilnehmen durften. So zog sich Kanada beleidigt von WM und Olympia zurück. Doch die Frage blieb: Wer ist die Nummer eins?
Bis im Sommer 1971 das kanadische Fernsehen und der kanadische Verband eine Anfrage stellten. Zur Überraschung kam die Antwort postwendend: Staatschef Leonid Breschnew persönlich befürwortete so eine Serie. In vier Hinspielen in Kanada und vier Rückspielen in Moskau sollte der Sieger ermittelt werden – der Kalte Krieg wechselte endgültig auf das Eis.
Die Kanadier hatten für die „Sputniks“anfangs nur Häme über. „Wo sind eure Fallschirme?“, höhnte Verteidiger Yvan Cournoyer nach einem Besuch im gegnerischen Training, und das größte Problem vor Spiel eins war, wo Kanadas Ministerpräsident Pierre Trudeau sitzen sollte: Um die Macht der TV-Bilder wissend, bestand er auf einem Platz hinter Kanadas Spielerbank.
Am 2. September 1972 stieg Spiel eins in Montreal: Nach 30 Sekunden scorte Kanadas Superstar Phil Esposito zum 1:0. In dem Bestseller „Die Tage, an denen Kanada stillstand“erinnert sich Stürmer Rod Gilbert: „Es stand schon 2:0, bevor ich das erste Mal auf das Eis kam. Ich schrie: Lasst mich endlich rein, ich will auch meine Tore schießen.“
Das sollte sich bitter rächen. Nach zehn Minuten sahen die Kanadier keine Scheibe mehr, retteten sich mit einem 2:2 in die Pause. Bill White, damals überzähliger Verteidiger, ging in die Kabine. „Es war totenstill. Unsere Verteidiger waren völlig fertig, die sind noch nie so ein Tempo gegangen. Alle wussten: Das Schlimmste kommt noch.“So war es: Die UdSSR zertrümmerte Kanada 7:3. Ein Schock für das Land.
Mit zwei Siegen, einem Remis und einer Niederlage aus Sicht der UdSSR ging es zu den Rückspielen nach Moskau. Tausende Fans wollten „Team Canada“begleiten, genau 2650 bekamen Visum und Quartiere – dachten sie: Denn plötzlich hatte der Oberste Sowjet eine Dringlichkeitssitzung anberaumt und der hatte immer Vorrang für die Verteilung der Hotelbetten in Moskau. So mussten die kanadischen Gäste teils in Gewerkschaftsquartiere auf das Land ausweichen.
Spiel fünf ging mit 5:4 wieder an die Russen. Die Kanadier bekamen Stürmerstar Waleri Charlamow (im oberen Bild rechts) nicht in den Griff. Bis in Spiel sechs Bobby Clarke Charlamows Knöchel attackiert und gebrochen hat. Die Serie wurde gehässig. Doch das schmutzige Hockey half Kanada: Man gewann die Partien sechs (4:3) und sieben (5:4), in dem Charlamow fehlte.
So kam es am 28. September 1972 zum Showdown. Plötzlich gab es zu wenig Karten für Kanadas Fans, die kurzfristig Charterflüge nach Kopenhagen organisiert hatten, um das Ereignis dort im TV zu verfolgen. Kanada musste gewinnen, ein Remis hätte der UdSSR zum Gesamtsieg gereicht. Nach 40 Minuten stand es 5:3 für die UdSSR. „In der letzten Pause hat niemand etwas gesagt“, erinnerte sich Paul Henderson, „jeder wusste: Es lagen die wichtigsten Minuten in unserem Leben vor uns.“Esposito und Cournoyer stellten auf 5:5, doch Kanada lief die Zeit davon. Die allerletzte Chance bekam Henderson: „Ich schieße, Tretjak wehrt ab, das Ding kommt zurück und ich schiebe es unter seinem Schoner durch.“34 Sekunden vor dem Ende dreht Kanada die Serie. „Dieses Tor hat Kanada mehr geeint als alles andere“, sagte Henderson Jahre später.
In Kanada sagt man bis heute: „Das Tor, das die Welt gehört hat“– so laut sei der Jubel gewesen.