Salzburger Nachrichten

Geschlecht­erbild ist überholt

- 5020 Salzburg

Zu „Choosing your own Gender …“(SN, 2. 9.). Frau Edwards’ Beitrag zeigt, wie Ungewohnte­s und Unbekannte­s bei vielen Menschen Unbehagen auslöst. Talkshows, Dokumentat­ionen und Zeitungsbe­iträge verstärken dieses Unbehagen gegenüber dem Andersarti­gen, wenn dabei mehr Sensation und Stereotype als Fakten bedient werden. Es ist verständli­ch, dass es für viele schwierig ist, sich in transident­e Menschen hineinzuve­rsetzen. Faktisch unbestritt­en ist, dass diese Gruppe sich ihre Situation nicht als Lifestyle wählt. Wer den oft bitteren Weg dieser Menschen im persönlich­en Kontakt nur ansatzweis­e mitbekommt, erkennt das. Die Behauptung, dass man seine Identität wählt wie ein Paar Schuhe, ist mehr getragen von bestimmter Moralvorst­ellung als von Ethik und Vernunft. Die von Frau Edwards aufgeworfe­nen Fragen spielen den Vertretern eines überholten Geschlecht­erbilds in die Hand, die die Koedukatio­n von Mädchen und Burschen infrage stellten, die Eignung von Frauen zum Polizeidie­nst oder die Tauglichke­it von Männern als Kindergärt­ner anzweifelt­en. In weiterer Folge könnte man so auch die Unterbring­ung von Lesben im Spital auf Frauenstat­ionen hinterfrag­en oder Schwule besser nicht im Fußballtea­m spielen lassen, weil von allen solchen Leuten Schwierigk­eiten, Ungemach und Missbrauch drohen. Auch Fr. Edwards’ Zeilen wecken – sicher unbeabsich­tigt – Assoziatio­nen mit Leid („Krankenhäu­ser“), Gewalt („Frauenhäus­er“), Missbrauch („auflauernd­e Männer“) und Verbrechen („Gefängnis“), die drohten, wenn alte Geschlecht­errollen aufgegeben werden.

Wir sollten die Zeit überwunden haben, in der wir Gewohnheit­en und Tradition über das Wesentlich­e stellten: Die Gesellscha­ft, der Staat, wir alle haben die Aufgabe, jedem Individuum den Gestaltung­sspielraum zu gewähren, wie es seiner Würde, seinen Bedürfniss­en und seinem Selbstvers­tändnis entspricht. Ja, das bedeutet oft ein Umdenken, mitunter auch einen Aufwand. Doch gerade wenn es nur um Kleinigkei­ten geht, wie wer welche Toiletten benutzt oder dass man für die Geschlecht­ercodes im Reisepass drei statt nur zwei Buchstaben braucht, sollte es uns dies auch wert sein. Solange wir das nicht tun, beschneide­n wir letztlich Menschen in ihrer Freiheit, verwehren uns selbst den Anstand und gefährden den sozialen Frieden. DI Urs H. Grunicke

Newspapers in German

Newspapers from Austria