Das bessere Österreich lässt die Alpenrepublik alt aussehen
Österreich ist nicht mehr das bessere Deutschland. Deutschland ist heute das bessere Österreich. Warum? Die Antwort ist ernüchternd.
Vor zwölf Jahren überraschte das deutsche Magazin „Stern“mit dem Titel „Österreich – das bessere Deutschland“. Tatsächlich waren damals die österreichischen Wirtschaftsdaten deutlich besser als die vergleichbaren Werte in Deutschland. Heute ist es genau umgekehrt: In Deutschland herrscht Vollbeschäftigung und Österreich kämpft mit einer hartnäckigen Arbeitslosigkeit.
Nun muss man leider einräumen, dass das österreichische Arbeitsmarktwunder auch in der Vergangenheit einen Schönheitsfehler hatte: Durch das extrem frühe Pensionsantrittsalter wurde ein beachtlicher Teil der Arbeitslosigkeit versteckt. Nun hat sich an der geringen Erwerbstätigkeit der Älteren wenig geändert: Nur knapp 20 Prozent der 60- bis 64-jährigen Österreicher üben einen Beruf aus. Und trotzdem ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen.
Somit beschämt der Blick nach Deutschland, wo die Arbeitslosigkeit 3,7 Prozent beträgt, gegenüber 5,4 Prozent in Österreich. Im nördlichen Nachbarland sind 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Damit nicht genug: Außerdem haben sogar elf Prozent der 65- bis 74-Jährigen ein Arbeitseinkommen. Und trotzdem herrscht Vollbeschäftigung. Die These, dass arbeitende Alte den Jungen die Jobs wegnehmen, hat sich als falsch erwiesen.
Vermutlich werden die österreichischen Leser nun den Kopf schütteln angesichts dieser Arbeitswut. Die geradezu höhnischen Kommentare über den germanischen Mangel an Gemütlichkeit und Lebensart ergeben sich fast zwangsweise. Allerdings spucken auch nördlich der Grenze die Älteren nicht aus freiem, innerem Antrieb begeistert in die Hände und erhöhen das Sozialprodukt.
Das Geheimnis liegt zum großen Teil in den Pensionsreformen begründet, die zu Beginn des Jahrtausends durchgeführt wurden: Die in Deutschland gezahlten Renten sind deutlich niedriger als in Österreich, der Abstand zum Aktiveinkommen ist groß. Viele haben keine Betriebspension und auch keine anderen nennenswerten Zusatzeinkommen. Also bemüht man sich weit über das 60. Lebensjahr hinaus um einen Arbeitsplatz.
Und die Praxis korrigiert verschiedene Stehsätze. Stehsatz Nummer eins: Es gibt keine Arbeitsplätze für Ältere. Es gibt sie doch. Stehsatz Nummer zwei: Ältere, die arbeiten, schaden den Jungen. Tatsächlich gilt eine andere Wahrheit: Jeder und jede, die arbeiten, lösen Arbeit für andere aus.
Kleiner Hinweis: Die österreichischen Pensionsreformen waren zwar weniger brutal als die deutschen, weisen aber in die gleiche Richtung. Schön langsam wird es auch in der Alpenrepublik ungemütlicher. Aber doch nicht morgen, auch nicht übermorgen.