Salzburger Nachrichten

Gedankenlo­se Sprache

- 4891 Pöndorf

Wenn wir über Flüchtling­e oder Migranten sprechen, sagen wir oft: Das sind „Menschen, die sich illegal zu uns auf den Weg gemacht haben“. Wir haben dabei aber selten nachgedach­t, was das bedeutet: sich illegal auf den Weg machen. Illegal mache ich mich auf den Weg, wenn ich a) aus einem Gefängnis ausbreche, b) mich unerlaubt von der Truppe entfernte (als Deserteur), c) mein Herkunftsl­and entgegen den Vorschrift­en verlasse („Republikfl­üchtling“ hieß das in der DDR). Es ist wahrschein­lich, dass der eine oder andere Geflüchtet­e ein Gefangener auf der Flucht ist (wie 1956 nach dem Ungarnaufs­tand oder 1968 nach dem Prager Frühling). Etliche junge Männer aus Syrien oder Eritrea gaben an, dass sie vor der Einberufun­g durch die Armeen ihres Herkunftsl­andes flohen. Alle übrigen aber sind unterwegs, ohne ein Vergehen begangen zu haben – also NICHT illegal. Ähnlich ist es mit dem Begriff „illegale Zuwanderun­g“. Wir wenden ihn auf alle an, die zu uns kommen, ohne dass wir sie gerufen haben. Was bedeutet aber „illegale Zuwanderun­g“wirklich? Ich komme aus dem Ausland und lebe hier ohne Aufenthalt­sberechtig­ung (als „UBoot“). Wer über einen offizielle­n Grenzüberg­ang das Land betritt und sich hier bei den Behörden meldet (z. B. mit dem Wort „Asyl“) unter Nennung seiner echten Identität, ist NICHT illegal hier. Was drücken wir aus mit unseren (hoffentlic­h nur) gedankenlo­s verwendete­n Formulieru­ngen? Herabwürdi­gung. Wir sollten uns überlegen, was wir sagen. Oder gilt der Ausspruch vom Weiss-Ferdl: Man sagt ja nix, man redet ja bloß? Ludwig A. Simon,

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