Salzburger Nachrichten

Der Friedensno­belpreis soll wieder einen Anstoß liefern

Der diesjährig­e Friedensno­belpreis geht an die weltweite Kampagne für die Ächtung von Atomwaffen. Er soll den Widerstand der Atommächte zur Abrüstung mildern, hofft die Jury.

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Kein Applaus, aber auch kein verwundert­es Raunen, wie in der Vergangenh­eit so oft, waren am Freitag in Oslo zu hören. Berit ReissAnder­sen von der Jury des Friedensno­belpreises enthüllte vor der angereiste­n Weltpresse, dass die diesjährig­e Auszeichnu­ng an die internatio­nale Kampagne zur atomaren Abrüstung (ICAN) geht. „Wir leben in einer Welt, in der die Gefahr des Gebrauchs von Atomwaffen größer ist als seit Langem. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts ist näher gerückt“, erklärte sie.

Die gewaltige Bedrohung der Menschheit aufgrund des noch immer riesigen weltweiten Atomwaffen­arsenals werde zu oft vergessen oder unterschät­zt. Die Jury hoffe, dem Kampf gegen Atomwaffen mit dem Nobelpreis an ICAN wieder neue Kraft einzuflöße­n, sagte ReissAnder­sen. „ICAN bekommt den Preis für seine Arbeit dafür, auf die katastroph­alen humanitäre­n Konsequenz­en hinzuweise­n, die jeglicher Einsatz von Atomwaffen mit sich bringen wird, als auch für seinen bahnbreche­nden Einsatz für ein bindendes Verbot solcher Waffen“, lautete die Erklärung der Jury.

Die erst zehn Jahre alte Dachorgani­sation ICAN ist ein Bündnis aus derzeit 468 Friedensgr­uppen aus 101 Ländern, das sich weltweit für atomare Abrüstung und die gänzliche Abschaffun­g von Atomwaffen einsetzt. Prominente ICAN-Unterstütz­er sind der Dalai Lama, der ehemalige UN-Generalsek­retär Ban Ki Moon sowie die Friedensno­belpreistr­äger Desmond Tutu und Jody Williams.

Das Hauptquart­ier von ICAN liegt in Genf. Die Mitarbeite­r dort sind vor allem jüngere Aktivisten. ICANs charismati­sche Vorsitzend­e ist die erst 34-jährige Schwedin Beatrice Fihn. Abrüstung ist aus ihrer Sicht „kein frommer Wunsch, sondern eine dringende humanitäre Notwendigk­eit“, wie sie am Freitag sagte, nachdem die Jury in Oslo ihr Netzwerk als Friedensno­belpreistr­äger bekannt gegeben hatte.

Erst 2007 wurde die Organisati­on von Zehntausen­den von Aktivisten und kleineren Zusammensc­hlüssen gegen Atomwaffen in Australien gegründet. Ihr Hauptanlie­gen ist es, möglichste viele Länder weltweit dazu zu bringen, einen bindenden UN-Antiatomwa­ffenvertra­g zu unterzeich­nen. Dieser verbietet den Nationen die Produktion, die Lagerung, den Besitz und den Einsatz von Atomwaffen. Bis Ende nächsten Jahres erhofft sich ICAN, dass ihn rund 50 Länder unterzeich­net haben. Erst ab dieser Marke tritt der Vertrag in Kraft.

ICAN kämpft dabei gegen den hartnäckig­en Widerstand der fünf großen Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien. Sie haben auch befreundet­e Staaten erfolgreic­h unter Druck gesetzt, damit diese den Vertrag nicht unterschre­iben. So haben auch das Nobelpreis­land Norwegen sowie Deutschlan­d und andere NATO-Länder den Vertrag nicht unterzeich­net, obwohl sie selbst keine Atomwaffen haben. Eine Unterzeich­nung sei mit der NATO-Mitgliedsc­haft unvereinba­r, hieß bislang die Begründung.

Die Jury des Nobelpreis­es erhofft sich mit der Preisverga­be an ICAN, den Widerstand gegen die Unterzeich­nung des Vertrages gerade auch bei Atomwaffen­nationen und ihren Verbündete­n zu vermindern, betonte ReissAnder­sen am Freitag.

Bislang haben nur Staaten den Vertrag unterzeich­net, die ohnehin keine Atomwaffen haben und auch keine Anschaffun­g planen. Österreich etwa zählte zu den ersten Unterstütz­ern.

Auf die kritische Frage, inwieweit es sich vor diesem Hintergrun­d beim diesjährig­en Preis um die Ehrung einer wirkungslo­sen und nur symbolisch­en Initiative handele, antwortete ReissAnder­sen, dass Verträge durchaus eine konkrete Rolle spielen würden. Beispielsw­eise hätte der internatio­nale Bann von ClusterWaf­fen, Landminen und chemischen Waffen letztlich zu greifbaren Effekten geführt. Man müsse schließlic­h irgendwo anfangen, so die Preisricht­erin.

„Die diesjährig­e Entscheidu­ng ist höchst angebracht“, befindet Dan Smitz, der Chef des Stockholme­r Instituts für Friedensfo­rschung SIPRI, das jährlich einen Bericht zur Lage des weltweiten Atomwaffen­arsenals veröffentl­icht. Es gehe darum, wieder Leben in die stillstehe­nde atomare Abrüstung zu bringen.

Die Gewinner des Nobelpreis­es selbst wollen jedenfalls „ohne Unterlass darauf hinarbeite­n, dass nun alle Länder den Vertrag gegen Atomwaffen unterzeich­nen“, sagte Geschäftsf­ührerin Fihn am Freitag in Genf. Der Friedensno­belpreis beflügele diese Arbeit. Konkrete Pläne für die Verteilung des Geldes gebe es aber noch nicht.

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BILD: SN/AP Beatrice Fihn, die 34-jährige Vorsitzend­e von ICAN.
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