Trachtig ins Moderne schlüpfen
Sabine Breitwieser fühlt Erklärungsbedarf. „Folklore“steht da in dicken Lettern. Dabei ist sie doch Direktorin für das Moderne.
SALZBURG. Zunächst würde man das nicht erwarten, erklärt Sabine Breitwieser. Aber nun steht tatsächlich „Folklore“in dicken Lettern auf einer Wand im Museum auf dem Mönchsberg. „Folklore“habe nichts zu tun mit der Moderne, sagt Breitwieser. Und für die ist sie als Direktorin des Museums der Moderne zuständig. Wie geht das zusammen, der Auftrag für die Moderne und die Aufarbeitung von Folklore?
Die Idee erweist sich für das Museum auf dem Berg über dem folkloristisch überladenen Salzburg als ideal. Denn Folklore – „als Sammelbegiff für kulturelle Phänomene, die durch Tradition und Überlieferung gekennzeichnet sind“– hat auch eine lokale Verortung. Sie stiftet Identität, ja gibt womöglich Halt in einer globalisierten Welt. Gleichzeitig hat vieles, das vorschnell mit Folklore in Verbindung gebracht wird, einen ranzigen Geschmack.
Antonia Lotz, Kuratorin der Sammlung Generali Foundation, sagt, der Begriff habe einen vergangenheitsbezogenen, häufig altbackenen oder kitschigen Beigeschmack. „Dabei ist die Folklore als traditionelles Wissen und Handeln bis heute Ausdruck menschlichen Verhaltens.“Sie kann Ausgangsort für zeitgenössische Kunst sein.
Da verbindet etwa die aus St. Johann im Pongau stammende Kathi Hofer ihre Kunst mit dem identitätsstiftenden Hintergrund eines Walkjankers und fragt so nach Herkunft oder Originalität. Norbert Brunner und Michael Schuster machten sich für eine opulente Foto-Audio-Installation auf eine Reise vom Südtiroler Fersental nach Garmisch-Partenkirchen. Sie schauten nicht nur auf Veränderungen im Ortsbild, sondern nahmen auf ihren Stationen auch Dialektversionen des „Vater unser“auf. Da wird klar, wie vielschichtig Heimat sein kann, wie sehr sich noch so traditionelle Dinge auch auf engstem Raum unterscheiden können. Dazu
Keine Verklärung, sondern Spurensuche
kommen auch Werke bekannter Namen, die mit Folklore auf den ersten Blick tatsächlich wenig gemeinsam haben, wie Jean Dubuffet, Erwin Wurm und Valie Export. Doch auch bei ihnen erschließt sich der Zusammenhang schnell.
Keines der ausgestellten Werke wirft einen verklärenden Blick in die Vergangenheit, Folklore, die hier auftaucht, dient Künstlern als Bestimmung der eigenen Herkunft, anderen als fragwürdiges Konstrukt, das erschüttert werden kann. Zu sehen ist ein frischer, anregender Umgang mit dem, was landläufig als Folklore bezeichnet wird – von Grimms Märchen bis zu Sissi-Filmen, immer geht es um Schnittstellen, an denen moderne Kunst sich aus Traditionen speist. Im Untertitel der Schau steht deshalb auch „Eine Kontroverse“.
Die beste Kontroverse ergibt sich auf Wunsch des Künstlers Dan Graham. Von ihm ist der Videoessay „Rock My Religion“zu sehen. Darin untersucht er die Beziehung aus Ritualen in Religionen und Rockmusik. Als Gegenpol zu seiner Arbeit wünschte er sich, dass der Film „Sound of Music“laufen solle. Da totale Verkitschung eines lokalen Mythos, dort die hintergründige Befragung von ritualisiertem Verhalten. Deutlicher lässt sich der dramatisch komplizierte Umgang, die vielschichtigen Möglichkeiten in der Bearbeitung des Begriffs „Folklore“gar nicht studieren. Bei der Intensität, mit der diese Schau solche Ambivalenzen auslotet, wird der anfängliche Erklärungsbedarf von Sabine Breitwieser rasch obsolet.
Mit Kuratorin Lotz wurde sie auf der Spurensuche, wie sich die Moderne die Folklore umhängt, in der eigenen Sammlung, in der Sammlung Generali Foundation und der Fotosammlung des Bundes fündig. Gut 50 Werke von 25 Künstlern sind zu sehen. Folklore in der Moderne – geht das also zusammen? Und wie das zusammengeht, oben auf dem Berg über der folkloristisch durchtränkten Stadt.