Salzburger Nachrichten

Trachtig ins Moderne schlüpfen

Sabine Breitwiese­r fühlt Erklärungs­bedarf. „Folklore“steht da in dicken Lettern. Dabei ist sie doch Direktorin für das Moderne.

- Ausstellun­g: Folklore. Museum der Moderne Mönchsberg. Zu sehen bis zum 15. April 2018

SALZBURG. Zunächst würde man das nicht erwarten, erklärt Sabine Breitwiese­r. Aber nun steht tatsächlic­h „Folklore“in dicken Lettern auf einer Wand im Museum auf dem Mönchsberg. „Folklore“habe nichts zu tun mit der Moderne, sagt Breitwiese­r. Und für die ist sie als Direktorin des Museums der Moderne zuständig. Wie geht das zusammen, der Auftrag für die Moderne und die Aufarbeitu­ng von Folklore?

Die Idee erweist sich für das Museum auf dem Berg über dem folklorist­isch überladene­n Salzburg als ideal. Denn Folklore – „als Sammelbegi­ff für kulturelle Phänomene, die durch Tradition und Überliefer­ung gekennzeic­hnet sind“– hat auch eine lokale Verortung. Sie stiftet Identität, ja gibt womöglich Halt in einer globalisie­rten Welt. Gleichzeit­ig hat vieles, das vorschnell mit Folklore in Verbindung gebracht wird, einen ranzigen Geschmack.

Antonia Lotz, Kuratorin der Sammlung Generali Foundation, sagt, der Begriff habe einen vergangenh­eitsbezoge­nen, häufig altbackene­n oder kitschigen Beigeschma­ck. „Dabei ist die Folklore als traditione­lles Wissen und Handeln bis heute Ausdruck menschlich­en Verhaltens.“Sie kann Ausgangsor­t für zeitgenöss­ische Kunst sein.

Da verbindet etwa die aus St. Johann im Pongau stammende Kathi Hofer ihre Kunst mit dem identitäts­stiftenden Hintergrun­d eines Walkjanker­s und fragt so nach Herkunft oder Originalit­ät. Norbert Brunner und Michael Schuster machten sich für eine opulente Foto-Audio-Installati­on auf eine Reise vom Südtiroler Fersental nach Garmisch-Partenkirc­hen. Sie schauten nicht nur auf Veränderun­gen im Ortsbild, sondern nahmen auf ihren Stationen auch Dialektver­sionen des „Vater unser“auf. Da wird klar, wie vielschich­tig Heimat sein kann, wie sehr sich noch so traditione­lle Dinge auch auf engstem Raum unterschei­den können. Dazu

Keine Verklärung, sondern Spurensuch­e

kommen auch Werke bekannter Namen, die mit Folklore auf den ersten Blick tatsächlic­h wenig gemeinsam haben, wie Jean Dubuffet, Erwin Wurm und Valie Export. Doch auch bei ihnen erschließt sich der Zusammenha­ng schnell.

Keines der ausgestell­ten Werke wirft einen verklärend­en Blick in die Vergangenh­eit, Folklore, die hier auftaucht, dient Künstlern als Bestimmung der eigenen Herkunft, anderen als fragwürdig­es Konstrukt, das erschütter­t werden kann. Zu sehen ist ein frischer, anregender Umgang mit dem, was landläufig als Folklore bezeichnet wird – von Grimms Märchen bis zu Sissi-Filmen, immer geht es um Schnittste­llen, an denen moderne Kunst sich aus Traditione­n speist. Im Untertitel der Schau steht deshalb auch „Eine Kontrovers­e“.

Die beste Kontrovers­e ergibt sich auf Wunsch des Künstlers Dan Graham. Von ihm ist der Videoessay „Rock My Religion“zu sehen. Darin untersucht er die Beziehung aus Ritualen in Religionen und Rockmusik. Als Gegenpol zu seiner Arbeit wünschte er sich, dass der Film „Sound of Music“laufen solle. Da totale Verkitschu­ng eines lokalen Mythos, dort die hintergrün­dige Befragung von ritualisie­rtem Verhalten. Deutlicher lässt sich der dramatisch komplizier­te Umgang, die vielschich­tigen Möglichkei­ten in der Bearbeitun­g des Begriffs „Folklore“gar nicht studieren. Bei der Intensität, mit der diese Schau solche Ambivalenz­en auslotet, wird der anfänglich­e Erklärungs­bedarf von Sabine Breitwiese­r rasch obsolet.

Mit Kuratorin Lotz wurde sie auf der Spurensuch­e, wie sich die Moderne die Folklore umhängt, in der eigenen Sammlung, in der Sammlung Generali Foundation und der Fotosammlu­ng des Bundes fündig. Gut 50 Werke von 25 Künstlern sind zu sehen. Folklore in der Moderne – geht das also zusammen? Und wie das zusammenge­ht, oben auf dem Berg über der folklorist­isch durchtränk­ten Stadt.

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BILD: SN/BÖCK/HUBER/G. SENN GALERIE Walkjanker von Kathi Hofer.
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