„Die Figur kann ich spielen, bis ich tot bin“
„Babylon Berlin“ist die teuerste deutsche TV-Serie der Geschichte. Einer der beiden Hauptdarsteller ist Österreicher. Doch nicht einmal seine Filmpartnerin wusste davon.
Berlin in den 20ern, den Jahren der Weimarer Republik. Die Emanzipation nimmt Fahrt auf, für Kunst und Kultur sind es goldene Zeiten. Doch es sind auch Jahre der Armut, des Verbrechens – und des puren Exzesses: Pornografie und Prostitution blühen auf. „Babylon Berlin“versucht „das deutsche Chicago“einzufangen. Am Freitag (13. Oktober, 20.15 Uhr) startet die Serie auf Sky 1, ein Jahr später wird die Koproduktion in der ARD ausgestrahlt. Die US-Rechte für die zwei Mal acht Folgen der ersten beiden Staffeln sicherte sich Netflix. Im SN-Interview sprechen die Hauptdarsteller Volker Bruch (Kommissar Gereon Rath) und Liv Lisa Fries (Stenografin Charlotte Ritter) über die Buchvorlage des deutschen Starautors Volker Kutscher, die angebliche Verschwendung von Rundfunkgebühren – und den starken Österreich-Bezug von Volker Bruch. SN: Hauptdarsteller in der wohl teuersten nicht englischsprachigen Serie … Hand aufs Herz: Freut man sich da auf die TV-Premiere? Oder zittert man vor den Kritiken? Bruch: Als wir die Serie zum ersten Mal geschaut haben – das war vor drei Monaten in einem Kino in der Produktionsstätte –, da hatte ich schon ein flaues Gefühl – weil man so viel Herzblut in das Projekt gesteckt hat und man ja nie weiß, ob es einem wirklich gefällt. Aber wir waren begeistert, wir wurden richtig in die Geschichte reingesogen. Seitdem bin ich tiefenentspannt. SN: Wurden auch Sie „so richtig reingesogen“? Fries: Total. Ich habe zum Teil vergessen, welche Szene als nächste kommt. Da waren in der Produktion wirklich Künstler am Werk. Ich habe noch nie so kreativ mit allen Departments zusammengearbeitet. SN: Das heißt, man merkt als Schauspieler, dass die Produktion ein hohes Budget hatte? Bruch: Man spürt die Möglichkeiten – und auch die Zeit. Wir haben sieben Monate gedreht. Die Vorbereitungen liefen auch drei Monate. SN: Aber haben Sie je daran gedacht, die Rollen nicht anzunehmen? Die Erwartungshaltung ist doch hoch. Bruch: Nein, das wäre feige, das hätten wir uns nicht erlauben können. Oder hast du mal überlegt? Fries: Ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich so lange ein Projekt machen möchte – und ob ich die Figur der Charlotte Ritter spielen will. Aber die Figur ist so tief, dass ich sie spielen kann, bis ich tot bin. Dazu kam die Möglichkeit, mit drei der tollsten deutschen Regisseure (unter anderem Tom Tykwer, Anm.) zu drehen. Die Menschen und das Projekt an sich waren immer wieder die Antwort auf alle Zweifel. SN: Wieder Hand aufs Herz: Wann hatten Sie das erste Mal ein Volker-Kutscher-Buch in der Hand? Bevor oder nachdem Sie das Rollenangebot hatten? Bruch: Ich habe das erste Buch gelesen, nachdem ich die Castinganfrage bekommen habe. Und mittlerweile habe ich alle Bücher gelesen. Fries: Ich habe das Buch auch zum ersten Mal in die Hand gekriegt, als ich zum Casting gegangen bin. Ich habe dann aber nur reingelesen und meine Figur gesucht. Und das Erste, was über Charlotte Ritter fällt, ist, dass sie lange Beine hat. Da war mir klar, dass das wenig mit mir zu tun hat – ich habe offenkundig keine langen Beine. Ich wusste also, dass ich eine eigene Charlotte finden muss. Und die Charlotte im Roman ähnelt unserer auch eher nicht. SN: Und wie viel von Kommissar Gereon Rath aus dem Buch steckt in Ihrem Kommissar? Bruch: Ich habe irgendwo gelesen, dass sie sehr unterschiedlich sind. Aber ich empfinde das nicht so. Natürlich ist immer eine gewisse Transformation da. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es ein komplett anderer Charakter ist. SN: Was ist die Serie überhaupt? Ein Krimi, ein Politthriller, ein Historiendrama – oder von allem ein bisschen? Bruch: Es ist von allem ein bisschen. Man kann es nicht etikettieren. SN: Und wenn ich Sie sanft dazu zwingen würde? Bruch: Dann bin ich auf die Mittel gespannt (lacht). Nein, ernsthaft: Es ist ein Mosaik von Geschichten. Deswegen finde ich den Begriff „Sittengemälde“passend. SN: Die Serie wird zuerst auf Sky und erst ein Jahr später in der ARD ausgestrahlt. Und dennoch werden Millionen an Rundfunkgebühren ausgegeben … Bruch: Ich kann mit der Kritik nicht viel anfangen. Der Minutenpreis ist nicht höher als bei einem „Tatort“. Und jeder mitfinanzierte Kinofilm läuft auch erst einmal nur im Kino. Man sollte vielmehr stolz sein, dass man so etwas auf die Beine gestellt hat. Und hoffen, dass weitere Produktionen einen ähnlichen Weg gehen. Das Modell der Kooperation muss Schule machen, denn es setzt ganz neue Maßstäbe. Fries: Vielleicht sollte man auch die GEZ-Gebühren (deutsche Rundfunkgebühren, Anm.) grundsätzlich überdenken. Aber das ist nur meine Meinung. SN: Die ARD-Firma Degeto hat bereits durchblicken lassen, dass es auch eine dritte sowie eine vierte Staffel geben soll. Werden Sie wieder dabei sein? Fries: Ich sage es mal so: Wenn weitergedreht wird, wäre ich gern dabei. Und ich glaube auch, dass man will, dass wir wieder dabei sind. SN: Herr Bruch, in einem anderen Interview haben Sie gesagt, dass Berlin „auch eine Drecksstadt“ist. Wie viele böse Fanpost haben Sie seitdem bekommen? Bruch: Keine. Ich habe aber auch keinen Briefkasten für böse Fanpost (lacht). SN: Aber wieso lebt man freiwillig in einer Drecksstadt? Bruch: Das steht auch in dem Interview: Ich liebe Berlin – und die Vielfältigkeit der Stadt. Aber Berlin hat eben Ecken und Kanten. SN: Sie haben auch in Wien gelebt … Fries: … und Volker, findest du jetzt, dass Wien ebenso eine Drecksstadt ist? Am Ende touren wir durch die Welt und du bezeichnest alle Städte als Drecksstädte (lacht). Bruch: Nein, tatsächlich liebe ich Wien. Aber nach vier Jahren hatte ich auch mal wieder genug. Was sicher mit der Studienzeit am MaxReinhardt-Seminar zu tun hatte – das war eine wilde Zeit. Wien lässt mich jedoch nicht los. Ich bin sicher vier Mal im Jahr hier. Und ich bin ja Österreicher … Fries: … du bist Österreicher? Das wusste ich nicht. Bruch: Ja, ich habe auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Ich bin gebürtiger Münchner, aber meine Mutter kommt aus Linz. In Linz beginnt’s halt (grinst). SN: Zum Abschluss: Wie geht es für Sie beide nach „Babylon Berlin“weiter? Fries: Ich habe eine Serie mit J. K. Simmons (Oscarpreisträger, Anm.) gedreht – „Counterpart“, produziert vom US-Privatsender Starz. Die Serie kommt 2018 raus und ist dann meines Wissens zuerst einmal nur in Amerika zu sehen. Zudem habe ich einen Kinofilm gedreht, „Prélude“, in dem ich eine Gesangsstudentin spiele. Er wird kommendes Jahr zu sehen sein. SN: Und bei Ihnen, Herr Bruch? Bruch: Ich habe seit „Babylon Berlin“gar nichts gemacht – seit dem Ende der Dreharbeiten bin ich auf Reha (lacht). Aber nun ist die Lust wieder da. Und derweil macht es auch wahnsinnig Spaß, auf Premierentour zu sein und Werbung für etwas zu machen, was einem selbst unglaublich gut gefällt.