Dschihadismus bleibt ein großes Problem
Der IS ist nur militärisch am Rückzug, die Ideologie lebt weiter. Der Terrorexperte Peter Neumann zieht in der Präventionsarbeit Bilanz.
WIEN. Geheimdienste und Sicherheitsexperten sind sich einig: der sogenannte „Islamische Staat“(IS) büßt in Syrien und im Irak zunehmend an Macht ein. Unklar ist, welche Auswirkungen das auf die Terrorgefahr in Europa haben wird.
Einerseits verliert der IS mit dem Territorium im Nahen Osten auch Ressourcen und Infrastruktur, die er für die Durchführung großer Anschläge benötigt. Andererseits könnten sich Dschihadisten in die Enge getrieben fühlen und deswegen versuchen, mit Terrorattacken ihre Stärke zu demonstrieren.
Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College ist sich einer Sache allerdings sicher: Der Dschihadismus wird uns noch in den kommenden Jahren beschäftigen. Das sagte er zu Beginn eines Vernetzungstreffens von Terrorismusexperten, Verfassungsschützern und Sicherheitsexperten im österreichischen Innenministerium am Freitag.
„Im Dschihadismus sehe ich im Moment die größte Bedrohung“, erklärt Neumann. Die Politik müsse allerdings aufpassen, dass andere Bedrohungen etwa von Seiten des Rechts- oder Linksextremismus dadurch nicht ignoriert würden. Auch Innenminister Wolfgang Sobotka bekräftigte, dass Radikalisierung nicht auf eine Religion zu beschränken sei. In allen Gesellschaften habe es bisher radikale Tendenzen gegeben, wichtig sei, dass nicht nur die Polizei, sondern die gesamte Gesellschaft etwas dagegen unternehme. Egal ob in Jugendzentren, Gefängnissen oder in der Schule.
Der Terrorexperte Neumann sieht die Rückkehrer aus den Kriegsgebieten als größte Gefahr für die zukünftige Sicherheitslage in Europa. Sie seien militärisch ausgebildet und hätten Kriegserfahrung. Trotzdem müsse man sich jeden Fall einzeln ansehen. Es gebe viele IS-Anhänger, die dem TerrorKalifat abgeschworen hätten. Doch auch hier sei Vorsicht geboten. „Es gibt Rückkehrer, die zwar vom IS nichts mehr halten, aber trotzdem keine Vorzeigedemokraten sind.“Der Salafismus als radikale Form des Islam habe etwa feine Schattierungen. Darauf müsse auch die Polizei geschult werden. „Was nützt es uns, wenn sie den IS ablehnen, aber zur Al Kaida gehen?“, fragt der Terrorexperte.
Auch die Flüchtlingskrise habe Auswirkungen auf die Terrorlage in Europa. Immer wieder gab es in der jüngsten Vergangenheit Asylsuchende, die von Dschihadisten angeworben wurden. „Flüchtlinge sind für Extremisten so ansprechbar, weil sie oft orientierungslos und leichtgläubig im Asylland sind.“Die Ablehnung des Islams in der Mehrheitsgesellschaft spiele dabei eine wichtige Rolle. „Die Rekrutierer kommen dann und sagen: ,Schau, die wollen uns Muslime gar nicht‘.“Die gute Nachricht: „In vielen bekannten Fällen waren es eben Asylbewerber, die eine Radikalisierung von Flüchtlingen gemeldet haben“, sagt Neumann.
Neben der Gefahr von Radikalisierungen in Flüchtlingsheimen und den Kriegsheimkehrern weist Neumann auf eine weitere Front im Kampf gegen den Dschihadismus hin: das Internet. „Dort haben wir noch keine wirksame Strategie gegen die riesige Propagandamaschine gefunden.“