Europa strebt im Tourismus nach mehr
Tourismus ist neben Migration und Terror die dritte wichtige Thematik, die das Europäische Parlament in Angriff zu nehmen gedenkt. EU-Milliarden sollen fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen lassen.
BRÜSSEL. Am jüngsten Welttag des Tourismus lud der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, zur „High-Level-Conference“ins Hemicycle Brüssel, den Sitzungssaal des Parlaments. Den versammelten Abgeordneten, den internationalen Vertretern von Branchenverbänden, den Lobbyisten und einigen Medienleuten sollte damit eine klare Botschaft vermittelt werden: Tourismus ist uns wichtig. Schon jetzt seien zehn Prozent der EU-Wirtschaftsleistung diesem Sektor zu verdanken. „Bis 2025 werden in dieser Branche fünf Millionen neue Jobs geschaffen“, beschwor Tajani, wie auch andere der insgesamt knapp 50 (!) Referenten mehrfach. Jeder fünfte dieser Arbeitsplätze könnte Jugendliche aus der Arbeitslosigkeit holen, speziell in den südeuropäischen Staaten. Dabei erwartet die EU, dass für den Tourismus-Boom vor allem eine neue, wohlhabende Schicht aus Asien sorgen wird. Dafür wurde 2018 gleich zum „EU-Tourismusjahr China“und zum „Europäischen Jahr des Kulturerbes“ausgerufen.
Susanne Kraus-Winkler, die als Präsidentin der internationalen Hotelvereinigung Hotrec zu Wort kam, sieht die gewonnenen Arbeitsplätze weniger als Selbstläufer. Sie betonte, es brauche ein abgestimmtes Arbeitsrecht. „Temporäre Arbeitsplätze, die rund um die Uhr zu besetzen sind, erfordern flexible Lösungen und nicht neue bürokratische Hürden. Es könnten schon jetzt viel mehr Arbeitsplätze sein, doch es fehlen qualifizierte Kräfte“, erklärte Kraus-Winkler. Deshalb sollten Schul- und Lehrbereiche von der EU vermehrt gefördert werden.
Als Vertreter der Welttourismusorganisation (UNWTO) fügte Márcio Favilla an, dass nicht Wachstum das Problem sei, sondern dieses nachhaltig zu managen. Wer wollte, konnte hier ansatzweise die aktuelle Diskussion zum stärker werdenden Aufstand der Bereisten und Einheimischen – wie zuletzt in Venedig, Barcelona und auf Mallorca – entdecken. Dass sich Grenzsicherheit und Reiseströme in die Quere geraten, thematisierte der Präsident der European Travel Commission (ETC), Peter De Wilde. „Die Visaliberalisierung könnte für Europa 84 Millionen mehr Reisende und damit 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze bewirken“, berichtete er aus einer Studie. Und auch das World Travel Trade Council sprach sich für „pragmatische Lösungen in der Migrationsfrage“aus.
Pure Euphorie brachte dagegen die chinesische EU-Botschafterin Yanyi Yang ein. „Tourismus ist eine enorme Kraft des Guten in der Welt und ein grüner Pfeiler der chinesischen Industrie“, betonte sie. Vor allem die Reisefreude der Chinesen will die EU werblich verstärken. Mit 25 Millionen Euro extra plant Tajani Europa als Ganzes neu zu bewerben. Woraufhin De Wilde kurz der Schrecken in die Glieder fuhr. „Dafür gibt es schon uns, mit 32 Mitgliedsstaaten und www.visiteurope.com“, erinnerte er, wohl auch, um mögliche doppelte Strukturen zu verhindern.
Wobei sich diese 25 Millionen Euro verglichen mit anderen Fördergeldern als Klacks ausnehmen. Während sich die beiden Sozialdemokraten István Ujhelyi aus Ungarn („Tourismus ist unterfinanziert“) und Claudia Ţapardel aus Rumänien („Wir brauchen konkrete Aktionen abseits der schönen Reden“) kritisch äußerten, flogen ansonst Milliardenbeträge durch den Raum. 2,4 Mrd. Euro Venture Capital für Tourismus seien im COSMEProgramm enthalten, „das könnte man zumindest verdoppeln,“sagte Parlamentspräsident Tajani.
Diese Gelder kommen in der überwiegend klein strukturierten Hotellerie allerdings nicht an. Sie werden meist für Investitionen von 50 Millionen Euro aufwärts, etwa für Flughäfen, verbraucht. Doch die EU listet zahlreiche weitere Fördermittel auf. Der Tourismus könne sich an folgenden Fonds bedienen: dem Strukturfonds ESI, dem Regionalentwicklungsfonds EFRE, Kohäsionsfonds, dem LIFE-Programm für Umweltschutz und anderen.
Österreich sei durch die Tourismusbank ÖHT, Organisationen wie ecoplus in Niederösterreich und zahlreiche EU-Interreg-Projekte beim Nutzen dieser Möglichkeiten vergleichsweise gut organisiert, erklärte Lobbyistin Susanne KrausWinkler. Aber sie wünscht sich von Seiten des EU-Parlaments Initiativen zu mehr Gerechtigkeit bei Steu- ern und Gesetzen. In manchen Ländern der EU sei die Mehrwertsteuer schlicht zu hoch, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Rechtlich sollte vor allem bei den Onlinereiseplattformen (OTA), die heute unter anderen Voraussetzungen agierten als noch bei deren Gründung, sowie der Sharing Economy endlich etwas weitergehen. „Transparenz und Steuerwahrheit sind hier nicht gegeben“, betonte Kraus-Winkler. Hotrec erstellt gerade einen Katalog von unfairen Praktiken der Plattformen. Die Digitalisierung habe Parallelwelten entstehen lassen, die von der EU reguliert werden müssten.
Es sei aber nicht damit zu rechnen, dass die Europäische Kommission einheitliche gesetzliche Regelungen für die gesamte EU schaffe. Sondern jeder Staat solle für sich die Lösung erklagen. Wie schon bei der in manchen Ländern Europas noch immer bestehenden „Ratenparität“, die es den Hotels verunmöglicht, die Plattformen zu unterbieten. Wobei Airbnb und andere Sharing-Plattformen inzwischen zusätzlich zur Privatzimmervermittlung ein weiteres Betätigungsfeld gefunden haben: Für elektronische Tischreservierungen wird nun die Gastronomie zur Ader gelassen.
„Brauchen beim Personal Flexibilität.“S. Kraus-Winkler, Präsidentin Hotrec