Von wegen Laster
ICHhabe kürzlich nicht an dieser Stelle, aber sehr wohl in dieser Zeitung, und das an prominenterer als dieser Stelle, wieder einmal Kluges gelesen.
Es ging um eine Eigenschaft, die zu Unrecht als schlecht betrachtet wird, nämlich die Faulheit, und es ging um die höchste Form der selbstverordneten Faulheit, den Müßiggang. Dass diese nachdenkliche Betrachtung auf den Wirtschaftsseiten erschien, macht sie nachgerade unangreifbar.
Denn wenn jemand sozusagen berufsmäßig produktiv, ergebnisorientiert, bilanznahe und zahlenfreundlich tätig ist, dann die Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsressort. Sie sind faulheitstechnisch unverdächtig. Umso glaubwürdiger also, wenn gerade dort geschrieben wird, dass das angebliche Nichtstun die Chance auf überraschende Lösungen, auf einen spontanen Einfall erhöht, was Betrieben nur guttut. Dass Kreativität Platz braucht, und dieser Platz heißt Müßiggang, und er ist weder schlecht noch aller Laster Anfang, sondern notwendig.
Der junge Karl Marx sprach sogar von der „Aufhebung“der Arbeit und einer Gesellschaft, die es dem Individuum ermöglicht, „heute dies, morgen jenes zu tun, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe – ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. Sein Schwiegersohn Paul Lafargue setzte keck das „Recht auf Faulheit“dem damals viel geforderten „Recht auf Arbeit“gegenüber und spottete über diejenigen, die die Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden als Erfolg feierten. Und der Zeitgenosse Friedrich Schlegel forderte, das Studium des Müßiggangs „zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion“zu machen.
Nun könnte dies bei weniger gefestigten Menschen, als es meine Kollegen in der Wirtschaftsredaktion und ich es sind, unter Umständen zu Missverständnissen führen. Andererseits entwickeln wir uns tatsächlich zu einer Gesellschaft, der zwar die Arbeit ausgeht, nicht aber die Güter, der es bedarf, um zu leben. Trotzdem werden immer noch ausschließlich Leistungen belohnt, die markttauglich sind, und da frage ich: Wann wird Faulheit markttauglich?