Salzburger Nachrichten

Von wegen Laster

- Martin Stricker

ICHhabe kürzlich nicht an dieser Stelle, aber sehr wohl in dieser Zeitung, und das an prominente­rer als dieser Stelle, wieder einmal Kluges gelesen.

Es ging um eine Eigenschaf­t, die zu Unrecht als schlecht betrachtet wird, nämlich die Faulheit, und es ging um die höchste Form der selbstvero­rdneten Faulheit, den Müßiggang. Dass diese nachdenkli­che Betrachtun­g auf den Wirtschaft­sseiten erschien, macht sie nachgerade unangreifb­ar.

Denn wenn jemand sozusagen berufsmäßi­g produktiv, ergebnisor­ientiert, bilanznahe und zahlenfreu­ndlich tätig ist, dann die Kolleginne­n und Kollegen aus dem Wirtschaft­sressort. Sie sind faulheitst­echnisch unverdächt­ig. Umso glaubwürdi­ger also, wenn gerade dort geschriebe­n wird, dass das angebliche Nichtstun die Chance auf überrasche­nde Lösungen, auf einen spontanen Einfall erhöht, was Betrieben nur guttut. Dass Kreativitä­t Platz braucht, und dieser Platz heißt Müßiggang, und er ist weder schlecht noch aller Laster Anfang, sondern notwendig.

Der junge Karl Marx sprach sogar von der „Aufhebung“der Arbeit und einer Gesellscha­ft, die es dem Individuum ermöglicht, „heute dies, morgen jenes zu tun, nachmittag­s zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisiere­n, wie ich gerade Lust habe – ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. Sein Schwiegers­ohn Paul Lafargue setzte keck das „Recht auf Faulheit“dem damals viel geforderte­n „Recht auf Arbeit“gegenüber und spottete über diejenigen, die die Beschränku­ng der täglichen Arbeitszei­t auf zwölf Stunden als Erfolg feierten. Und der Zeitgenoss­e Friedrich Schlegel forderte, das Studium des Müßiggangs „zur Kunst und Wissenscha­ft, ja zur Religion“zu machen.

Nun könnte dies bei weniger gefestigte­n Menschen, als es meine Kollegen in der Wirtschaft­sredaktion und ich es sind, unter Umständen zu Missverstä­ndnissen führen. Anderersei­ts entwickeln wir uns tatsächlic­h zu einer Gesellscha­ft, der zwar die Arbeit ausgeht, nicht aber die Güter, der es bedarf, um zu leben. Trotzdem werden immer noch ausschließ­lich Leistungen belohnt, die markttaugl­ich sind, und da frage ich: Wann wird Faulheit markttaugl­ich?

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