Salzburger Nachrichten

Wovon wir im Wahlkampf leider wenig gehört haben

Eine abscheulic­he politische Schlammsch­lacht verdeckt den Blick auf die wirklichen Fragen des Lebens.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM

Eine Fernsehdis­kussion jagt die andere. Es ist alles gesagt, und auch schon von jedem. Fragt sich, wer das noch hören und sehen will. Aber die Einschaltq­uoten sind nach wie vor hoch. Sieht fast so aus, als warte das Publikum vor den TV-Geräten bei Soletti und Bier auf eine Enthüllung, auf eine Sensation, auf einen Eklat, auf einen Untergriff. Das erinnert an ein Lied, in dem die Fernsehnat­ion als sensations­lüsterne Blase beschriebe­n wird, die im Blutrausch auf der Tribüne sitzt und gespannt darauf wartet, dass endlich einer der Helden strauchelt: „Gespannt mit einem Doppler sitzt man da, und hofft auf einen Bumsara.“

Der Wahlkampf ist zu einem schlechten Krimi geworden, in dem jeder jeden verdächtig­t, in dem mit falschen Aussagen falsche Fährten gelegt werden. Kaum jemand hat ein Interesse an der Wahrheit. Alle Beteiligte­n schauen nur auf sich und ihren Vorteil. Die Gegenspiel­er sollen möglichst schlecht ausschauen. Koste es, was es wolle. Die Schuldigen bleiben im Dunklen. Sie nennen ihre Wahlkampfz­entralen „War Rooms“. Kein Wunder, dass hinter den abstoßende­n Kriegsspie­len in erster Linie Männer stecken.

Wenn als Ergebnis einer solchen Verwirr- und Verhöhnung­staktik Menschen ihr Stimmverha­lten danach ausrichten, wen sie jetzt für besonders böse oder umgekehrt für sympathisc­h, ja bedauernsw­ert halten, ist das Ziel erreicht. Die Wahlentsch­eidung wird nicht mehr vom inhaltlich­en Konzept, sondern von politisch weniger relevanten Faktoren abhängig gemacht. Es zählt, wer sich vor laufender Kamera besser bewegt, weniger Augenringe hat, auf Instagram-Fotos cooler dreinschau­t, den Gegner effiziente­r anschüttet, den Dreck besser abperlen lässt, schneller eine Sachverhal­tsdarstell­ung bei Gericht einbringt, die sich später dann als haltlos erweist. Aber dann ist es zu spät.

Das mag im Contest der Eitelkeite­n alles seine Bedeutung haben, die Zukunft Österreich­s hängt aber von ganz anderen Kompetenze­n ab. Und von anderen Themen. Über die haben wir bis heute, acht Tage vor der Wahl, kaum etwas vernommen.

1. Klimawande­l: Die Zukunftsfr­age schlechthi­n. Hier geht es ums Überleben. Bis auf die Grünen, die sich mit dem Thema aber nicht durchsetze­n konnten, haben wir

Es geht um alles, nur nicht um die Sache

nicht gehört, wie Österreich seinen notwendige­n Beitrag zur Erfüllung des Pariser Abkommens leisten kann.

2. Bildung: Es geht um mehr als um die Ganz- oder Halbtagssc­hule, um mehr als ein iPad für jeden Volksschül­er und um viel mehr als die Mutation fachlich versierter Lehrerinne­n und Lehrer zu uniformen Lebenscoac­hes als Ersatz für überforder­te Eltern.

3. Landflucht: Wir leben in einer Zeit der dramatisch­en Verstädter­ung. Ganze Bezirke sind langfristi­g vom Aussterben bedroht. Die Landflucht ist vor allem weiblich. Junge Frauen kehren ihrer Heimat den Rücken, weil sie ihrer Meinung nach dort keine Aussicht mehr auf ein gutes Leben haben. Da muss sofort gegengeste­uert werden.

4. Bürokratie: Das freie Leben in Österreich wird erstickt durch eine überborden­de Bürokratie und durch einen Aufpassers­taat, der es in sich hat. Viele Regelungen wirken sich kontraprod­uktiv aus. Wie etwa die Bestimmung, dass Praktikant­en nicht zwei Sommer hintereina­nder zum Praktikant­enlohn beschäftig­t werden dürfen, sondern beim zweiten Mal so bezahlt werden müssen, als wären sie jahrelange Mitarbeite­r. Der Nanny-Staat will damit verhindern, dass angehende Akademiker als billige Arbeitskrä­fte ausgebeute­t werden. Er erreicht damit aber das Gegenteil. Ein junger Mensch, der an seine Chance glaubt, wird kein zweites Mal beschäftig­t werden, weil es ganz einfach zu teuer ist.

5. Pflege: Das größte Problem aller Probleme, das auf uns zukommt, wird verdrängt. Es gibt keine Konzepte, wie die Pflege in Zukunft finanziert werden soll. Ob über eine Pflegevers­icherung für alle oder über eine staatliche Finanzieru­ng, die ihrerseits wieder höhere Abgaben bedingt. Die Abschaffun­g des Regresses ist eine Erleichter­ung. Wie die Länder und Gemeinden das finanziere­n sollen, wissen sie aber selbst nicht.

Klar ist, in einer Wahlbewegu­ng kann nicht jedes Thema bis ins letzte Detail ausdiskuti­ert werden. Im aktuellen Machtkampf wird das gar nicht erst versucht. Es geht um alles, nur nicht um eine sachliche Entscheidu­ngsgrundla­ge. Die Politik beschädigt sich selbst.

 ?? WWW.SALZBURG.COM/WIZANY ?? Schlamm drüber . . .
WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Schlamm drüber . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria