Die Erbschaftsteuer sei keine Wunderwaffe, sagt ein Ökonom: Dennoch könnte man damit mehr Gerechtigkeit schaffen.
Vermögen umzuverteilen sei schwierig, sagt Ökonom Giacomo Corneo. Im SN-Interview erklärt er, warum er eine Erbschaftsteuer dennoch für richtig hält und wie man mit den Einnahmen mehr Gerechtigkeit schaffen könnte.
SN: Deutschland beging diese Woche den Tag der Einheit. Aber nach der Wahl scheint ein Riss durchs Land zu gehen. Viele nennen die wachsende Ungleichheit als einen Grund, obwohl es wirtschaftlich sehr gut läuft. Wie sehen Sie es? Giacomo Corneo: Zunächst ist es erstaunlich, dass eine Regierung, die auf dem Arbeitsmarkt, in der Haushaltspolitik und auf dem internationalen Parkett solche Resultate erzielt, von den Wählern so bestraft wird. Man sollte auch die Erfolge der AfD nicht übertreiben, die große Mehrheit der Bevölkerung teilt diesen Frust und Groll nicht. Sicher spielen bei vielen AfD-Wählern Ressentiments und Ungerechtigkeitsgefühle eine Rolle. Ungleichheit ist sicher ein Stimmungsfaktor, aber es ist ähnlich wie bei den Trump-Wählern eher die Angst vor jenen, die noch etwas weniger haben als man selbst, nicht der Neid gegenüber jenen, die mehr haben. SN: Sie beschäftigen sich als Ökonom mit Ungleichheit. Wo macht man sie fest? Wir beobachten, dass es beim unteren Viertel der Einkommensverteilung über die letzten 20 Jahre praktisch keine reale Verbesserung gegeben hat – trotz Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Aber Deutschland ist ein reiches Land, sodass auch diese Menschen ein durchaus komfortables Leben führen. Aber wenn sich die Lage der anderen rund um einen verbessert, sind Selbstwertgefühl und Stellung in der Gesellschaft gefährdet. Die Qualität der Jobs in diesem Bereich hat sich verschlechtert, die Chance, eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu finden, ist gesunken, unbefristete Verträge sind selten geworden. Es geht neben materieller Ungleichheit aber auch um die Teilhabe, das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, in der man sich integriert fühlt. SN: Es gibt ja die These, ein gewisses Maß an Ungleichheit sei in einer Marktwirtschaft nötig, weil es den Wettbewerb fördert. Gibt es einen Punkt, ab dem Ungleichheit gefährlich für eine Gesellschaft wird? Es existiert sicherlich ein solcher Punkt, aber es ist schwer, ihn präzise ausfindig zu machen. Mein Eindruck ist, dass die Europäer keine Entwicklung wie in den USA wollen und dafür sind, zu viel Ungleichheit rechtzeitig zu korrigieren. SN: Das geschieht ja, beim Einkommen durch Sozialleistungen und Transfers, diese Umverteilung funktioniert. Aber der Fokus richtet sich auf die Vermögen, die deutlich ungleicher verteilt sind. Muss man Vermögen umverteilen? Vermögen umzuverteilen ist vergleichsweise schwierig. Es gibt steuerliche Instrumente, die eine gewisse Wirkung haben. In der optimalen Steuertheorie wird in der Regel eine Erbschaftsteuer vorgeschlagen. Die ist kohärent mit unserem Verständnis von Verdienst und unseren meritokratischen Wertvorstellungen. Die Steuer wird von einer Person entrichtet, die das Vermögen nicht selbst akkumuliert hat. In gewisser Weise ist eine Erbschaftsteuer nicht nur der Gerechtigkeit förderlich, sondern auch der Effizienz. Man sollte sich aber im Klaren sein, dass eine Erbschaftsteuer keine Wunderwaffe ist. Denn man kann damit schwer große Summen generieren. SN: Und wie beurteilen Sie eine Vermögensteuer? Es gibt ja die Besteuerung von Kapitaleinkommen. Dass die sinnvoll ist, ist unbestritten. Es wird nur diskutiert, ob eine Abgeltungssteuer mit einem niedrigen Steuersatz besser ist als eine synthetische Einkommensteuer (bei der alle Arten von Einkommen einheitlich besteuert werden, Anm.), das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit zwischen Einkommen aus Arbeit und Kapital. Die meisten Ökonomen sind der Meinung, dass man keine Vermögensteuer braucht, wenn man die Kapitaleinkommen besteuert. SN: Das sehen Sie auch so? Ja. Eine Vermögensteuer ist ein sehr ungenaues Instrument, weil Vermögen aus Erbschaften und Schenkungen resultiert, aber auch aus eigenen Ersparnissen. Es gibt a priori keinen Grund, warum wir Bürger stärker belasten sollen, die sparen statt zu konsumieren. Aber es besteht Konsens darüber, dass man Chancengerechtigkeit fördern soll, und es kein Verdienst ist, in eine reiche Familie geboren zu sein. Und dass man daher einen Teil dieses Geschenks (der Erbschaft, Anm.) dem Gemeinwesen zuführen soll. SN: Der heuer verstorbene Ökonom Tony Atkinson, der sich intensiv mit Verteilungsfragen beschäftigte, schlug vor, alle jungen Menschen sollten erben. Und man sollte einen Staatsfonds einrichten. Sie haben ähnliche Vorschläge. Wir beobachten seit einigen Jahrzehnten einen Rückgang der Lohnquote, die Kapitaleinkommen werden wichtiger. In der Zukunft wird die Roboterisierung die Spreizung der Einkommen weiter fördern. Um zu verhindern, dass die Einkommensverteilung extrem ungleich wird, sollten daher alle Menschen ein Kapitaleinkommen haben. SN: Wie soll das funktionieren? Es gibt zwei Szenarien. Das erste ist, dass jeder Haushalt einen Roboter besitzt und damit Kapitaleinkommen hat. Im zweiten Szenario gibt es ein kollektives Eigentum, indem ein Staatsfonds in den Weltaktienmarkt investiert und die Kapitalerträge an die Bevölkerung in Form einer Sozialdividende weitergibt. Der Staatsfonds wäre der kollektive Portfoliomanager für die Bürger. Denn die Kleinsparer sind nicht in der Lage, diversifiziert und effizient am Kapitalmarkt teilzunehmen. Die Sparer verdienen seit Jahren null. Aber Vermögende erzielen Renditen von 5 bis 10 Prozent pro Jahr. SN: Wo kommt das Kapital für den Staatsfonds her, wenn es nicht wie in Norwegen Einnahmen aus dem Öl gibt. Soll sich ein Staat für die Beteiligungen verschulden? Ich schlage eine zweigleisige Finanzierung vor. Drei Viertel sollten aus Staatsverschuldung kommen. Deutschland oder Österreich haben zwar kein Öl, aber eine hohe Reputation auf den internationalen Kapitalmärkten, die ihnen erlaubt, sich zu Nullzinsen zu verschulden. Und ein Viertel soll aus Einnahmen einer Erbschaftsteuer kommen. SN: Wie verhindert man bei Staatsfonds politischen Einfluss? Es ist sehr wichtig, dass er politisch unabhängig agiert. Er soll von einer Institution verwaltet werden, die über ausreichenden Schutz vor politischen Eingriffen verfügt. In Norwegen ist es die Zentralbank. In Deutschland verwaltet die Bundesbank bereits zwei solche Fonds – für die Pensionsrücklagen von Bayern und Baden-Württemberg und erzielt 6 bis 7 Prozent Rendite. SN: Man macht also die Bürger zwangsweise zu Aktionären. Verträgt sich das mit der Idee einer freien Marktwirtschaft? Eine der erfolgreichsten Institutionen der sozialen Marktwirtschaft ist die gesetzliche Rentenversicherung, die das Problem der Altersarmut beseitigt hat. Die wurde eingeführt als Zwangssparen, weil man feststellte, dass ein Großteil der Haushalte nicht in der Lage ist, private Altersvorsorge zu treiben. SN: Was passiert mit den Erträgen aus dem Staatsfonds. Sind die für Investitionen bestimmt oder werden sie ausgeschüttet? Ich glaube, es wäre demokratietheoretisch das Beste, aus den Erträgen eine soziale Dividende zu finanzieren. Das wäre eine einheitliche universelle Transferleistung, die vierteljährlich ausbezahlt und Geringverdienern überproportional helfen würde. Möglich wäre auch, Altersvorsorgekonten einzuführen, die man damit speist, dass Bürger die Dividende steuerfrei in den Staatsfonds reinvestieren. Das ergäbe am Ende eine Zusatzrente. SN: Europa wird vielfach um seine soziale Marktwirtschaft beneidet. Ludwig Erhard stellte sie unter das Motto: Wohlstand für alle. Kann die soziale Marktwirtschaft dieses Versprechen nicht mehr einlösen? Die Gefahr besteht, weil die Institutionen, die uns nach 1945 einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz ermöglicht haben, nicht mehr so stark sind, das betrifft die Rolle der Gewerkschaften in der Lohnbildung sowie das Steuer- und Transfersystem. Wir haben es mit langsamen strukturellen Veränderungen zu tun. Aber irgendwann kommt eine Kreuzung, wo es abrupt in die eine oder andere Richtung geht – zur Brave New World oder zum skandinavischen Weg einer relativ egalitären Gesellschaft mit sozialer Inklusion. Die soziale Marktwirtschaft ist großartig, weil sie die Dynamik von Märkten und unternehmerischer Initiative mit Gleichheit und der Abfederung von Risiken koppelt. Aber sie muss sich erneuern, um die Globalisierung und Digitalisierung bewältigen zu können. SN: Wem fällt diese Aufgabe zu – der Politik? Uns allen als Bürger. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass eine Vertiefung der Demokratie stattfindet. Giacomo Corneo (* 1963): Der gebürtige Italiener studierte in Mailand, Paris und Rom Politische Ökonomie und Ökonometrie. Ab 1994 lehrte er an verschiedenen deutschen Universitäten. Seit 2004 ist er Professor für öffentliche Finanzen an der FU Berlin. Er publiziert regelmäßig zu Fragen der Verteilung. Corneo war auf Einladung des Club Research und der AK in Wien.