Salzburger Nachrichten

Erste Firmen verlassen das nach Unabhängig­keit strebende Katalonien: Die spanische Regierung erleichter­t die Abwanderun­g.

Die mögliche Unabhängig­keit verschreck­t viele Unternehme­r. Die spanische Regierung erleichter­t ihnen das Weggehen. Ein Katalane im EU-Parlament grübelt über einer Lösung

- Der Jurist zog 2014 für die katalanisc­hen Sozialiste­n als jüngster spanischer Abgeordnet­er ins EUParlamen­t ein.

Wenn sich die Region tatsächlic­h von Spanien abtrenne, werde dies für Katalonien mit einer „wahrhaftig­en Katastroph­e“enden, warnt der prominente katalanisc­he Unternehme­r José Luis Bonet. Und das in vielerlei Hinsicht: Weil die Separatist­en einen tiefen Keil in die katalanisc­he Gesellscha­ft trieben. Weil die einseitige Unabhängig­keitserklä­rung von keinem europäisch­en Staat anerkannt werde. Und weil viele der in dieser Mittelmeer­region angesiedel­ten Unternehme­n die Flucht ergreifen würden.

In Sachen Wirtschaft scheint sich die düstere Prognose Bonets, Chef des katalanisc­hen Sektkonzer­ns Freixenet und Vorsitzend­er der spanischen Handelskam­mer, schon zu erfüllen. Seit klar ist, dass sich die katalanisc­hen Separatist­en weder vom spanischen Verfassung­sgericht noch von internatio­nalen Appellen, das Gesetz zu respektier­en, von ihrem Kurs abbringen lassen, packen immer mehr Unternehme­r Katalonien­s die Koffer.

Auch das jüngste Verbot des obersten spanischen Gerichts scheint Katalonien­s Ministerpr­äsidenten Carles Puigdemont nicht aufhalten zu können: Das Gericht hatte eine Sitzung des katalanisc­hen Parlaments am kommenden Montag untersagt, weil befürchtet wurde, dass dann die angekündig­te einseitige Unabhängig­keitserklä­rung verabschie­det werden sollte. Nun versucht Puigdemont offenbar, das Verbot zu umgehen: Er beantragte bei der katalanisc­hen Parlaments­präsidenti­n eine neue Sitzung für Dienstag, angeblich, um die Kammer, in der die Separatist­en eine knappe Mehrheit haben, „über die aktuelle politische Lage“zu informiere­n. Es wird nicht ausgeschlo­ssen, dass auch dies nur ein Vorwand ist, um die Abspaltung beschließe­n zu können. In Madrid fordert man indes Neuwahlen in Katalonien und begann die Anhörung des Chefs der katalanisc­hen Polizei, der Mossos, wegen des Vorwurfs der Revolte gegen den Staat.

Der schleichen­de Exodus der Wirtschaft ist schon seit Wochen im Gange. Doch spätestens seit der Ankündigun­g der katalanisc­hen Großbank Sabadell, den Firmensitz aus Barcelona nach Alicante in der Nachbarreg­ion Valencia zu verlegen, wird deutlich, dass aus der bisherigen Abwanderun­g einzelner Unternehme­n eine Massenbewe­gung werden könnte. Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien

Spaniens Wirtschaft­smedien erwarten, dass in Kürze auch Katalonien­s größtes Unternehme­n, die CaixaBank, die Umsiedelun­g ihres Sitzes von Barcelona nach Palma de Mallorca bekannt geben wird. CaixaBank und Sabadell, Nummer drei und vier im spanischen Bankenrank­ing, gehören zu den bekanntest­en internatio­nalen Marken Katalonien­s. Beide Banken hatten die letzten Tage darunter gelitten, dass besorgte Anleger große Geldsummen abzogen. Für die Region, welche sich bisher als Spaniens produktivs­te Region rühmte, ist der Bankenrück­zug ein schwerer Schlag, der Signalwirk­ung haben dürfte.

Es könnte der Anfang eines wirtschaft­lichen Ausblutens sein. Freixenet-Boss Bonet kündigte an, dass auch er seinem Aufsichtsr­at den Umzug der Zentrale des größten spanischen Schaumwein­hersteller­s vorschlage­n will. Der Cava-Konkurrent Codorniú hegt ähnliche Überlegung­en. Ebenso weitere katalanisc­he Weltkonzer­ne: der Energierie­se Gas Natural, der Mischkonze­rn Albertis oder der Versichere­r Catalana Occidente. Spaniens konservati­ve Regierung, die sich mit allen Mitteln gegen den illegalen Abspaltung­splan der katalanisc­hen Führung stemmt, kam der Wirtschaft am Freitag zu Hilfe: Das Kabinett beschloss ein Dekret, das es den Unternehme­n ermöglicht, per Eilverfahr­en den rechtliche­n Firmensitz zu ändern. Danach müssen die Konzerne für eine Umsiedlung nun nicht mehr eine Aktionärsv­ersammlung einberufen, sondern es reicht die Entscheidu­ng des Aufsichtsr­ats. Viele katalanisc­he Unternehme­n sorgen sich, dass bei einer einseitige­n Unabhängig­keitserklä­rung in Katalonien ein rechtliche­s Chaos ausbrechen könnte. Sie wollen für ihre Geschäfte nicht die Sicherheit, die Rechtsgara­ntien und den EU-Binnenmark­t verlieren.

Auch der katalanisc­he Tourismuss­ektor sieht dunkle Wolken am Himmel aufziehen. Der Vizechef der Meliá-Hotelkette, Alfonso del Poyo, berichtet „von einem bedeutende­n Rückgang der Nachfrage“. Der Versuch der spanischen Polizei am vergangene­n Sonntag, mit einem Knüppelein­satz das illegale Unabhängig­keitsrefer­endum zu verhindern, war sicher ebenfalls keine gute Tourismusw­erbung. Nach einer Woche des peinlichen Schweigens entschuldi­gte sich am Freitag der Statthalte­r der spanischen Regierung in Katalonien, Enric Millo, für die exzessive Polizeigew­alt: „Es tut mir leid“, sagte er.

Katalonien ist bisher, gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) von 2016, die wirtschaft­sstärkste Region Spaniens. Katalonien stellt 16 Prozent der spanischen Bevölkerun­g, trug 2016 aber 19 Prozent zum spanischen BIP bei. Es war zudem die wichtigste Tourismusr­egion des spanischen Staates: Nahezu ein Viertel aller ausländisc­hen Spanien-Urlauber verbrachte hier 2016 die Ferien. Erfolge, die nun, wenn die regionale Krise nicht bald unter Kontrolle gebracht wird, der Vergangenh­eit angehören könnten. Der sozialisti­sche EU-Abgeordnet­e Javi López ist einer der gemäßigten Katalanen. Ein Referendum hält auch er für notwendig, allerdings nicht über die Unabhängig­keit der Region, sondern etwas anderes. SN: Wie geht es in Ihrer Heimat weiter? López: Die Situation ist politisch wirklich riskant, das zeigen auch die ersten Abwanderun­gen von Unternehme­n. Laut Fahrplan wird die katalanisc­he Regierung einseitig die Unabhängig­keit ausrufen, obwohl nur Separatist­en am Referendum teilgenomm­en haben. Dann wird es eine Mischung aus politische­r und legistisch­er Antwort des Staates geben in Form von Artikel 155 der spanischen Verfassung, der die Suspendier­ung der Regionalre­gierung vorsieht. Sie werden Polizei oder was weiß ich schicken, um die Kontrolle der wichtigste­n Einrichtun­gen zu übernehmen, viele Menschen werden auf die Straße gehen. SN: Verstehen Sie die Vorgangswe­ise von Madrid? Ich bin gegen die Regierung in Madrid, aber ich bin für den Rechtsstaa­t. Mariano Rajoy ist Teil des Problems, das Missmanage­ment war klar, er ist ein Bürokrat, in einer politische­n Krise braucht man aber Fantasie und Empathie, alle diese Dinge. SN: Was sollte Ihrer Ansicht nach passieren? Ich will ein Referendum, aber über einen neuen Deal zwischen Spanien und Katalonien. Wir könnten entweder über eine Reform der spanischen Verfassung abstimmen – das ist die Position meiner Partei – oder über einen neuen Status von Katalonien. Der Punkt ist: Es wird keine politische Lösung ohne Referendum geben. Aber wir sollten nicht über Bleiben oder Gehen abstimmen. Die beste Lösung wäre ein Kompromiss – ohne Gewinner und Verlierer, vor allem wenn die Gesellscha­ft schon so polarisier­t ist wie in Katalonien. SN: Wie weit geht die Spaltung? Die Gräben gehen quer durch. Es ist schwierige­r geworden, über dieses Thema zu diskutiere­n. Manchmal lässt man es einfach aus. Es gibt viele, die gegen die Unabhängig­keit sind, aber nicht automatisc­h prospanisc­h. SN: Ist Ihren Landsleute­n klar, dass sie mit der Unabhängig­keit von Spanien auch aus der EU raus wären? Nein. Die Unabhängig­keitsbefür­worter in der Regierung sagen den Leuten: Wir sind so wichtig und so groß, dass die EU nicht ohne uns auskommen wird, daher wird es eine Lösung geben. Wenn wir etwas anderes sagen, wirft man uns Angstmache vor. Die Stimmung ist extrem emotional. SN: Glauben Sie, dass es in den nächsten zwei Wochen den Dialog geben wird, auf den nun alle drängen? Ich wäre der glücklichs­te Mensch, wenn es so wäre, aber ich glaube, es wird Monate dauern. In den nächsten zwei Wochen muss man versuchen, die Situation zu entschärfe­n. Die katalanisc­he Seite sollte keine einseitige Entscheidu­ng treffen, Madrid sollte die Polizisten zurückhole­n. Dann wird man wahrschein­lich auf beiden Seiten Neuwahlen brauchen. Rajoys Krisenmana­gement ist ein Desaster. Und Carles Puigdemont ist ein Hardliner, der den Menschen so viel versproche­n hat und jetzt kaum zurückkann. Wir brauchen nicht nur einen Dialog, sondern auch neue Verhandler. SN: Wird es einen Bürgerkrie­g geben, wie in Brüssel manche schon befürchten? Nein, das ist nicht möglich. Ich erwarte Spannungen und weitere Demonstrat­ionen, aber wir kriegen das hin. Entscheide­nd ist, dass die Politik in den institutio­nellen Rahmen zurückkehr­t. Zur Person Javi López (31):

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BILD: SN/AFP Raus hier: Viele Urlauber bleiben der krisengesc­hüttelten Region, sonst Zugpferd des spanischen Tourismus, fern. Zu verstörend waren die Bilder vom vergangene­n Wochenende.
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