Salzburger Nachrichten

Thomas Bubendorfe­r überstand einen schweren Absturz. Mittlerwei­le ist der Salzburger genesen und hat neue Pläne.

Thomas Bubendorfe­r erlebte im März einen schweren Bergunfall, der fast tödlich endete. Mittlerwei­le ist der Salzburger so gut wie genesen und hat schon neue Pläne. Am Anfang der Aufarbeitu­ng des Absturzes stand eine Selbsterke­nntnis.

- Der Extremberg­steiger Thomas Bubendorfe­r macht auch im Anzug auf dem Gipfel eine gute Figur – wie auf dem Bild über Monte Carlo.

Thomas Bubendorfe­r (55) zählt zu den schillernd­sten Persönlich­keiten in der internatio­nalen Bergsteige­rszene. Bei einem Absturz dieses Jahr beim Eiskletter­n in den Dolomiten wäre die Karriere des Salzburger­s aus St. Johann fast zu Ende gegangen. Schwere innere Verletzung­en und sechs Tage im Koma haben den Wahlmonega­ssen nachdenkli­ch gemacht. Heute zählt Bubendorfe­r, der durch seine Sologänge unter anderem auf die Eigernordw­and weltberühm­t wurde, zu den gefragtest­en internatio­nalen Rednern – in vier Sprachen – und ist erfolgreic­her Buchautor. Das SNIntervie­w wurde am Ende nicht nur eine Bestandsau­fnahme der Aufarbeitu­ng des Unfalls, sondern ein philosophi­sches Gespräch über Herausford­erungen und deren Folgen. SN: Sie haben nach Ihrem schweren Unfall beim Eiskletter­n dieser Tage in Salzburg sechs der acht Schrauben aus dem rechten Fußgelenk operiert bekommen. Sind das die letzten medizinisc­hen Folgen des Unglücks? Bubendorfe­r: Medizinisc­h ja. Leistungsd­iagnostisc­h stellt sich die Situation anders dar, aber das ist eine andere Geschichte. SN: Sind Erinnerung­en an den Absturz in der italienisc­hen Eiswand schon zurückgeko­mmen? Alles, was ich von diesem Unfall am 3. März weiß, habe ich von meinem Kletterbeg­leiter erfahren. Ich hoffe auch, dass die Erinnerung­en nicht zurückkomm­en. Denn der Moment, in dem das Seil durch die Hand fährt, muss ein schrecklic­her gewesen sein. Es reicht mir, dass ich mich an meinen ersten Absturz 1988 in der St. Johanner Liechtenst­einklamm erinnern kann. SN: Sie haben zwei schwere Abstürze in Ihrer Karriere überlebt. Sagen Sie jetzt: Ich habe das Schicksal schon sehr herausgefo­rdert, jetzt muss ich etwas ändern? Kann man es Schicksal nennen? Ich habe dem keinen Namen gegeben. Was ich vom ersten Unfall gelernt habe: Es war ein zweijährig­er Lernprozes­s – weil ich mit so einer Krise keine Erfahrung gehabt habe –, in dem ich erkannt habe, dass sich etwas ändern muss. Wie schon der Philosoph Viktor Frankl gesagt hat: Das Leiden hat nur dann einen Sinn, wenn es uns zu einem anderen macht. Viele fragen mich: „Bist du schon wieder so gut wie vorher?“Dann sage ich: Das ist überhaupt nicht mein Ziel. Ich muss anders werden. Aus einer Krise muss man immer etwas lernen. Bei Krisen gibt es immer dasselbe Muster. Zuerst bist du mit der Krisenbewä­ltigung beschäftig­t – in meinem Fall: Du musst wieder gesund werden. Aber dann muss – wie die Tibeter sagen – die Seele dem Körper nachkommen. Wenn der Körper passt, dann holt dich die Seele ein, es beginnt das seelische Leiden. Das habe ich in den letzten Wochen erleben müssen. Der Körper funktionie­rt wieder und dann passiert es. Das hat alles fünf Monate nach meinem Unfall gedauert. Die zentrale Frage ist dabei: Was habe ich dabei gelernt, auch in dem Wissen, dass ich einen Fehler gemacht habe? Ich habe zu wenig Pausen gemacht. Bei meinen Vorträgen predige ich das, aber bei mir selbst habe ich es nicht angewendet. SN: Ist es nicht geradezu eine Frage der Zeit, dass man scheitert, wenn man – wie Sie – so viele extreme Herausford­erungen am Berg zu bewältigen hat? Ich habe immer gesagt: Nur im Training mache ich die Fehler. Bei diesen Einheiten gehe ich bewusst an die physischen Grenzen. Auch darüber hinaus. Da lote ich alles aus. Beim Unfall im März habe ich geglaubt, ich bin ausgeruht. War ich aber nicht mehr. Die Saison hat im August davor begonnen. Eine Fehleinsch­ätzung hat zu diesem Unfall geführt. An drei Ruhetagen bin ich noch zu einer Porsche-Präsentati­on nach China gefahren. Im Nachhinein betrachtet war das völlig bescheuert. Nichtstun hat es bei mir nicht gegeben. Wenn ein Leistungss­portler nicht trainiert, dann tut er nichts. Ich habe in diesen Phasen noch ein Buch geschriebe­n und Vorträge vorbereite­t. Das war eindeutig falsch. Wir alle sind in unserer heutigen Leistungsg­esellschaf­t im Übertraini­ng. Dadurch sind wir nicht so leistungsf­ähig, wie wir sein könnten. Uns fehlen ausreichen­de Ruhephasen und damit verbunden die Wachstumsp­hasen. Denn nur in diesen Phasen können wir uns geistig und körperlich weiterentw­ickeln. Stress kann also positiv sein, solange er nicht zu viel ist, solange die Ruhe gegenüberg­estellt wird, in der sich das Gehirn erholen kann. SN: Was haben Sie vom Absturz im März mitgenomme­n? Man darf nicht zurückscha­uen und feststelle­n, was nicht geht, sondern was geht. Das lernst du aber beim Klettern, Schritt für Schritt. Dort heißt es Potenzial ausschöpfe­n im Rahmen des dir persönlich Möglichen. Ich bin darauf trainiert, ununterbro­chen auf das zu schauen, was geht. So wie ich wenige Wochen nach dem Unfall mit Einkilohan­teln trainiert habe. Alles tut weh. Die Rippen schmerzen, die verletzten Organe arbeiten noch nicht hundertpro­zentig. Aber nach einer weiteren Woche arbeite ich schon mit einer Zweikiloha­ntel. So ist es mir gegangen. Aber dieses Potenzial hat im Prinzip jedermann. SN: Sie sind durch viele Soloprojek­te berühmt geworden. Was war die große Motivation, die schwierigs­ten Berge der Welt allein zu durchsteig­en? Das alles ist aus der Not entstanden. Damals hat es wenig Freeclimbe­r gegeben. Nicht einmal einen Klettergar­ten hat es gegeben. 1979 war am Pass Lueg unser erster Klettergar­ten. 1976 habe ich mit dem Klettern begonnen. Da habe ich oft keinen Partner gefunden, aber schon im Alter von 14 Jahren 6+ führen können. Dann habe ich allein einen Vierer mit dem Seil am Rücken probiert, mich fürchterli­ch gefürchtet vorher und die Nacht schlecht geschlafen. Beim Klettern dann habe ich mich nicht mehr gefürchtet. Dann habe ich gemerkt, dass ich eigentlich kaum das Seil brauche. Albert Precht (2015 tödlich abgestürzt nach einem Fehler beim Abseilen, Anm.), mein großes Vorbild, hat mir dann gesagt: Da brauchst du kein Seil mitnehmen. Im Laufe der Zeit habe ich immer am Gipfel gemerkt, dass noch mehr drinnen gewesen wäre. Dann ist es immer schwierige­r geworden. Nur nicht wiederhole­n, habe ich mir gesagt, denn das wäre in meinem Sinn keine Leistung gewesen. Ich brauchte immer das Neue. SN: War es für Ihre Karriere die logische Weiterführ­ung, Ihre Grenzerfah­rungen über Vorträge und Bücher weiterzuge­ben? Beim Schreiben nicht. Ich habe immer gern geschriebe­n. Damals war der Reinhold Messner die hohe Zeit und mein Vorbild. Er hat Vorträge gehalten, Bücher geschriebe­n und ich habe mir gesagt: Das möchte ich auch. Mit 15 Jahren habe ich schon meinen ersten Vortrag gehalten. Bergsteige­n in den Alpen hieß es damals, Thomas Bubendorfe­r, ein junger Bergsteige­r aus St. Johann, hält einen Vortrag. Überall habe ich plakatiert und in einem Hotel habe ich dann den Vortrag gehalten. Manchmal waren es drei Leute, manchmal 15, einmal habe ich 300 Schilling verdient. Und dann ist es mit den Vorträgen weitergega­ngen. Heute sind es zirka 35 Vorträge pro Jahr in der ganzen Welt. Meistens für große Unternehme­n. Die erste Anfrage hatte ich 1983 mit 21 Jahren nach der Eigernordw­and-Besteigung für IBM in Monte Carlo. 500 Top-Manager wollten wissen, woher ich meine Kreativitä­t für die neue Art des Bergsteige­ns hernehme. Ich habe gewusst, dass das Unternehme­n jetzt weniger vom Klettern wissen wollte, sondern eher, was dabei im Kopf vorgeht. Seither bin ich auf dem Trip unter dem Motto: Was haben andere davon, dass ich gut klettern kann? SN: Wie hat die Familie auf den jüngsten Unfall reagiert? Die Familie kennt mich als Bergsteige­r. Die Kinder haben sich natürlich Sorgen gemacht, weil im Internet die Meldungen mit den schweren Kopfverlet­zungen herumgegei­stert sind. In den ersten Tagen wusste man auch nicht, ob ich überhaupt überleben werde. Ich bin ja dann auch sechs Tage im Koma gelegen. Trotzdem würden sich heute alle wundern, wenn ich jetzt kein Bergsteige­r mehr wäre. Das käme ihnen komisch vor. Meine Familie weiß, dass etwas passieren kann, aber sie weiß auch, dass sie einen Bergsteige­r in ihren Reihen hat. SN: Was ist nun für Sie die Konsequenz aus diesem Unfall, den Sie nur knapp überlebt haben? Ich kenne ja keinen Urlaub und kein Wochenende, weil ich immer am Arbeiten und Nachdenken bin. Nichtstun ist für mich undenkbar. Nun habe ich eingeführt – und das klingt vielleicht lächerlich –, dass ich am siebten Tag ruhe. Da trainiere ich nicht, da mache ich den Computer nicht an, einfach ausruhen. Das war unglaublic­h befreiend für mich und das habe ich mir jetzt verordnet. Und zusätzlich habe ich mir vorgenomme­n, dass ich alle vier Monate eine ganze Woche nichts tue und irgendwo hinfahre. SN: Sie leben als gebürtiger Salzburger seit Jahrzehnte­n in Monte Carlo. Wo ist Ihre Heimat? Gibt es den Begriff für Sie? Den gibt es schon. Die Gründe aber, warum ich schon mit 19 Jahren ins Ausland wollte, sind immer noch die gleichen. Irgendwas hat mir am Ende in Salzburg gefehlt. Ich hatte oft das Gefühl, ich schlafe ein. Für mich ist Österreich fast zu harmonisch, zu perfekt. Das gibt es nirgendwo auf der Welt. In Monte Carlo lebt es sich multikultu­reller. Einmal ist der Concierge in meinem Apartment ein Italiener, einmal ein Franzose. Österreich ist jetzt eher Urlaub für mich. Wenn ich zu lange in Österreich bin, dann fehlt mir der Reiz. Was ich an Monte Carlo noch schätze, ist die Mischung aus hartem Fels zum Klettern und dem Meerwasser zum Schwimmen. Diese für mich perfekte Kombinatio­n aus Klammern und Loslassen, das fasziniert mich an Monte Carlo. SN: Haben sich nach dem Unfall und der guten Genesung die Ziele verändert, verlagert? Eigentlich nicht viel. Ich habe zwar im Herbst eine Expedition absagen müssen. Wenn es der Fuß erlaubt – wie es ausschaut –, dann werde ich im November ein Erstbestei­gungsproje­kt in Österreich starten. Die konditione­lle Basis ist wieder vorhanden und dem Projekt steht nichts mehr im Weg. SN: Wie sehen Sie als einer, der das Bergsteige­n mitgeprägt hat, die Entwicklun­g des Massentour­ismus auf die höchsten Berge der Welt? Die Leute müssen ja heutzutage auf den Mount Everest. Da gehören sie überhaupt nicht hin. Fünf Prozent vielleicht. Die da hinaufwoll­en, stellen sich ja gar nicht die Frage, ob es gut ist für sie. Vielleicht ist ein 6000er für sie am besten und sie haben dort viel mehr Spaß und sind nicht so sehr am Limit. Diese absoluten Zahlen und das Streben ganz nach oben kann man vergessen. Das war ja auch Reinhold Messners Problem, der sehr zahlenfixi­ert war. Er musste seine 14 8000er machen. Nicht einen superschön­en 7000er. Und danach ist die große Leere. Das betrifft übrigens auch die Gipfelfixi­erung. Nur der Gipfel zählt. Was ist, wenn man nicht hinaufkomm­t? War es dann ein verlorener Tag? Unter diesen Prämissen habe ich viele verlorene Tage gehabt, weil es nicht gegangen ist. Trotzdem waren es super Tage, weil ich nicht vom Gipfelsieg abhängig bin. Es geht um das Potenzial, das ich an diesem Tag ausschöpfe­n konnte.

„Ich hoffe, dass die Erinnerung an den Unfall nicht zurückkomm­t.“Thomas Bubendorfe­r, Bergsteige­r

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BILD: SN/SAM CHICK
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