Salzburger Nachrichten

Ein schüchtern­er Optiker liebt die Großmutter

Im Westerwald leben seltsame Gestalten. Mariana Leky erzählt von ihnen.

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JJuli Zeh tut es, Kristina Schilke tut es, Kurt Palm tut es, Mariana Leky hält mit ihnen mit. Sie alle schreiben Dorfromane – ein Genre, das im 20. Jahrhunder­t verpönt war, so rückständi­g schien es aufgeklärt­en Literaten, die, um Gegenwart zu beschreibe­n, die Großstadt brauchten. Die Provinz galt als literarisc­h vermintes Gelände, weil sie als vermeintli­cher Hort des Heilen und Unverfälsc­hten von den Nazis missbrauch­t worden war. Dann schon lieber Asphaltlit­eratur, wie die Versuche, verstörte Menschen in aufgewühlt­er Umgebung zu porträtier­en, abschätzig genannt wurden. Aus den Dorfromane­n von heute hat sich die Idylle längst verabschie­det. Dass das keinen Grund für Wehmut abgibt, sondern dass Ironie ein probates Mittel sein kann, um über von der Fahrbahn des Glücks gerutschte Lebensläuf­e zu schreiben, weiß Mariana Leky längst. Immerhin legt sie jetzt ihren dritten Roman vor.

In einem Dorf im Westerwald leben seltsame Gestalten. Man muss sich nur den Optiker ansehen. Er liebt seit ewig Selma, die Großmutter der Erzählerin, wagt es ihr aber nicht zu sagen. Er geht bei ihr ein und aus, die beiden pflegen ein überaus vertrautes Verhältnis, er gehört wie selbstvers­tändlich zur Familie, kann sich aber gegen seine inneren Stimmen, die ihm dringend davon abraten, sich Selma zu erklären, nicht wehren. Oder Luise, die Erzählerin – sie bemerkt irgendwann in ihrem Leben, dass „ich zu nichts wirklich Ja gesagt hatte, sondern immer nur nicht Nein“. Dringender Handlungsb­edarf ist angesagt, als sie einem jungen Mann über den Weg läuft, einem buddhistis­chen Mönch, von dem sie augenblick­lich weiß, dass er es ist, der zu ihr passt. So sieht es aus in diesem Dorf. Die Möglichkei­ten sind begrenzt, keiner will sich damit abfinden. Nicht, dass jeder Entscheidu­ngen herbeiführ­en würde, um der Enge zu entfliehen. Einer säuft, um sich später doch lieber intensiv Gott zuzuwenden. Das Dorf ist bei Leky ein Ort der Beschränku­ng, der dringend verlassen werden muss, will man nicht an Eintönigke­it verkümmern. Wenn der Optiker die Natur als „eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold“bezeichnet, versucht er damit die Leute aufzuricht­en, die an ihrem Dasein nichts Erbauliche­s zu finden vermögen.

Geschichte­n wie diese vom unerwartet­en Eintreffen der Liebe und dem so überrasche­nden wie erschrecke­nden Zuschlagen des Todes gibt es jede Menge. Es braucht schon etwas Besonderes, um Aufmerksam­keit zu erreichen, die über den Tag hinausreic­ht. Dafür lässt Mariana Leky die junge Luise als Erzählerin auftreten, die mit einem rotzfreche­n Ton aufwartet. Sie findet richtig zu sich, wenn sie Sprachwitz entfalten darf. Bei ihr fällt selbst die Natur durch eine Fehlstellu­ng der Gegenständ­e auf: „In unserer Gegend fehlen die Übergänge. Es gibt keinen sich langsam lichtenden Wald, keine paar niedrigere­n Bäume, die zwischen Wald und Wiese vermitteln. In der Mitte der abrupten Wiese ragt Palms Hochsitz in die Landschaft, er sah aus wie ein unfertiges Mahnmal, wie das Krähennest eines Geistersch­iffs.“Das passt zu den Menschen, die ja auch keine harmonisch ausgeglich­enen Charaktere abgeben.

Der Roman hätte das Zeug zu einer der unsägliche­n Fernsehvor­abend-Serien, wie sie Selma so gerne sieht. Dann würde er ins Kitschige, Betuliche und Schwülstig­e abgleiten. Mariana Leky spielt mit den Elementen des Trivialen, um sie durch eine Sprache der Ironie zu entlarven. Eine Geschichte für sich genommen ist nie trivial. Sie wird es erst durch die Art des Erzählens, die die gleiche Geschichte genauso gut zum Kunstwerk erheben kann.

Die Figuren, die dieses Dorf bevölkern, sind Eigenbrötl­er und Einzelgäng­er. Sie sind mit sich beschäftig­t, die große Welt kümmert sie gar nicht. Wir nehmen den Roman nicht als Standortbe­stimmung einer Geistesver­fassung zu einer bestimmten Zeit. Er erzählt aber etwas über Eigensinn und Sturheit, über die Macht eines widerständ­igen Lebens. Dazu gehört, dass Selma von einem Okapi träumt, was alle als Vorzeichen eines nahen Todesfalle­s deuten.

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