Salzburger Nachrichten

„Tanzen liegt mir einfach im Blut“

Er tanzte sich aus dem Elend der Favelas von Rio. Am verschneit­en Makartsteg verliebte er sich in Salzburg. Nun führt Reginaldo Oliveira das Landesthea­ter-Ballettens­emble in die Zukunft.

- FLORIAN OBERHUMMER

Es beginnt wie so oft mit einem Traum. Jener von Reginaldo Oliveira handelte von einem Flugzeug, mit dem er in ein anderes Land fliegen konnte. Was einem Mitteleuro­päer als selbstvers­tändlich erscheint, war für den kleinen Jungen aus den Slums von Rio de Janeiro schlichtwe­g utopisch.

„Wenn du aus der Favela kommst, kannst du leicht auf die falsche Seite abdriften“, erzählt der 34-Jährige. Der Sumpf aus Drogen und Gewalt blieb dem sonnigen Gemüt erspart. Ein Sozialproj­ekt brachte Kinder in den Slums mit Ballett in Berührung. Die Tanzlehrer­in erkannte auf Anhieb das Talent des 12-Jährigen. „Das war schicksals­haft. Seither bin ich in den klassische­n Tanz verliebt“, sagt Oliveira.

„Drei Tage pro Woche tanzte ich von früh bis spät. Ich schwänzte dafür sogar die Schule.“ Von den Eltern bestraft, von Freunden wegen des „unmännlich­en“Balletthob­bys gehänselt – egal. „Die Freude, die ich beim Tanzen empfand, war stärker.“Sein Bewegungst­alent hat der bald 35-Jährige als kleines Kind erahnen lassen. Etwa, als 1989 das Lambada-Fieber ausbrach. „Wenn du in Brasilien geboren bist, dann hast du Rhythmus, Bewegung und Tanz im Blut“, sagt Reginaldo und setzt sein unbezwingb­ares Lächeln auf.

Noch durfte das Tanztalent nicht in die Welt hinaus. Also kam die einfach zu ihm. Geri Halliwell – genau, die Rothaarige der Spice Girls – interviewt­e den Tänzer 1999 für eine BBC-Doku. Heute muss der renommiert­e Tänzer und Choreograf über den pickeligen Teenager lachen, der zu „Nussknacke­r“-Klängen durch die Straßen des Armutsvier­tels in Rio tanzt und springt.

Sein Kindheitst­raum erfüllte sich einige Jahre später. Der Tänzer stieg in ein Flugzeug, und das brachte ihn weit weg. Genauer: nach Deutschlan­d, wo er 2006 in Karlsruhe verpflicht­et wurde. „Der erste Winter war wirklich hart. Mehr noch als die Kälte waren für mich die lichtarmen Tage ungewohnt.“Doch die neue Umgebung entflammte etwas Neues in ihm, die Lust am Choreograf­ieren. „Ich tanze nie meine eigenen Choreograf­ien. Es ist etwas, was ich anderen Menschen gebe. Es kommt vom Herzen.“

Und diese Herzensang­elegenheit hat Reginaldo Oliveira nach Salzburg gebracht. Seit Anfang September ist der lebenslust­ige Carioca Landesthea­ter-Ballettche­f und tritt damit in die Fußstapfen von Peter Breuer, der die Sparte 26 Jahre leitete. Mit Oliveira beginnt eine neue Ära. Seinem Ensemble streut er Rosen: „Wir arbeiten sehr intensiv. Die Tänzer haben großes Potenzial. Sie wissen, wo ich hin will, und folgen mir.“Eingelebt hat er sich bereits, chillt in der Freizeit gern in der Wiese am Salzachufe­r und legt den Weg nach Aigen ins Probenzent­rum mit dem Rad zurück.

Seine erste Visitenkar­te gibt Oliveira am 25. Oktober ab, wenn er eine Choreograf­ie zum vierstündi­gen Antike-Abend „Dionysien“in der Felsenreit­schule beisteuert. Die „Medea“-Adaption setzt er mit zwei Solisten aus seiner Heimat um: Márcia Jaqueline und Kammertänz­er Flavio Salamanka.

„Mit Flavio war ich 2013 bei der Salzburger Ballettgal­a zu Gast. Wir gingen über den Makartsteg, überall war Schnee. Wir sahen auf die Stadt und sagten: ,Wie schön müsste es sein, hier zu arbeiten und zu leben?‘“Dann lacht er wieder. Es ist ein Ausdruck des Glücks.

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