Kataloniens Abspaltungsgegner werden laut
Bei Demonstrationen für die Einheit des Landes gingen Hunderttausende auf die Straße. Spaniens Premier Mariano Rajoy stellt der Regionalregierung indes die Rute ins Fenster.
Hunderttausende Menschen sind am Wochenende in Barcelona auf die Straße gegangen – diesmal gegen die Unabhängigkeit Kataloniens und für die Einheit Spaniens. „Wir sind Katalanen und Spanier“, skandierten die Bürger, die sich als bislang „schweigende Mehrheit“bezeichneten. Bereits am Samstag hatten Demonstranten einen Dialog der Regierungen in Barcelona und Madrid gefordert. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy blieb aber hart. Er schließt die Aufhebung der Autonomie Kataloniens nicht aus.
Lang hüllte sich Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy darüber in Schweigen, wie er die einseitige Abspaltung der Region Katalonien aufhalten wolle. Kurz vor der am Dienstag erwarteten Unabhängigkeitserklärung ließ der Ministerpräsident nun die Katze aus dem Sack: Er drohte der Regionalregierung in Barcelona mit der zwangsweisen Entmachtung, wenn sie nicht ihren rechtswidrigen Sezessionskurs aufgebe.
„Wir werden alle Mittel nutzen, die uns die Gesetzgebung gibt“, sagte Rajoy in einem Gespräch mit Spaniens größter Tageszeitung „El País“. Zu diesen Mitteln zähle der Artikel 155 der spanischen Verfassung, mit welchem die spanische Zentralregierung in Madrid die Kontrolle über die Region und die Funktionen der katalanischen Regierung übernehmen könne. Auch die Ausrufung des Notstands, mit dem die Befugnisse von Regierung, Polizei und Militär ausgeweitet würden, sei möglich.
„Ich schließe nichts aus“, sagte Rajoy. Er machte klar, dass die Suspendierung der katalanischen Autonomie und die Einschränkung der Bürgerrechte das letzte Mittel seien, um die illegale Abspaltung Kataloniens zu stoppen. „Es wäre wünschenswert, wenn wir keine drastischen Entscheidungen treffen müssen.“Aber damit dies nicht geschehe, müsse die katalanische Regionalregierung umschwenken und ihrem gegen die Verfassung verstoßenden Unabhängigkeitsplan abschwören.
Verhandlungen mit der katalanischen Führung lehnt Rajoy weiterhin ab: „Glaubt wirklich jemand, dass irgendeine Staatsregierung, angesichts einer angedrohten Abspaltung, verhandeln wird?“Zumal die katalanische Regierung nur das Ziel der Unabhängigkeit vor Augen habe und sich „keinen Zentimeter“bewege. Rajoy warnte, dass bei diesem Konflikt auch „europäische Werte auf dem Spiel stehen“, weil eine einseitige Abspaltung eine Kettenreaktion in anderen Regionen auf dem Kontinent auslösen könne.
Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont hat angekündigt, dass er am Dienstag um 18 Uhr im katalanischen Parlament erscheinen will, um die Abgeordneten „über die aktuelle politische Lage“zu informieren. Eine Sitzung der Kammer am heutigen Montag war vom spanischen Verfassungsgericht suspendiert worden.
Spaniens Regierung befürchtet, dass Puigdemonts Auftritt nur als Vorwand dazu dienen könnte, um die unilaterale Unabhängigkeitserklärung zu präsentieren und zu verabschieden. Bisher haben Puigdemont und seine Anhänger nicht signalisiert, dass sie von ihrem Versuch, Katalonien in die Unabhängigkeit zu führen, abrücken wollen. Die separatistischen Parteien erhielten vor zwei Jahren zwar nur 47,8 Prozent der Wählerstimmen, errangen damit aber die knappe absolute Mehrheit in der katalanischen Kammer.
Wie gespalten Spanien in diesem Konflikt ist, zeigt sich auch auf der Straße: Nachdem in der vergangenen Woche Katalanen für die Unabhängig demonstrierten, waren am Wochenende Demonstranten in vielen Städten Spaniens für die Einheit der Nation auf der Straße. Auf Kundgebungen mit dem Motto „Lasst uns miteinander sprechen“wurden die spanische wie die katalanische Regierung dazu aufgerufen, per Dialog einen Ausweg aus der immer gespannteren Situation zu suchen.
Die größte Demonstration fand gestern, Sonntag, in der katalanischen Hauptstadt Barcelona statt. Hinter einem Transparent mit dem Appell „Schluss jetzt, lasst uns zur Besonnenheit zurückkehren!“zogen Zehntausende Menschen durch die Innenstadt. „Wir haben vielleicht zu lange geschwiegen“, sagte Alejandro Marcos, einer der Demonstranten. Julia, eine 25-jährige Studentin, hatte sich das Gesicht mit einer spanischen Flagge bemalt. Ihr Freund Jaime trug ein Plakat mit der Aufschrift „Ich bin stolz, Katalane und Spanier zu sein“.
Hinter den beiden sah man jede Menger spanischer und katalanischer Flaggen. Darunter waren aber keine Esteladas, Kataloniens Unabhängigkeitsflaggen mit dem blauen Dreieck und dem weißen Stern, wie sie hier Anfang letzter Woche auf derselben Hauptstraße noch Zigtausende trugen. Es waren Senyeras, die offiziellen Flaggen eines in Spanien integrierten Kataloniens.
Die Demonstration gestern, Sonntag, in Barcelona war der größte pro-spanische Protestmarsch in der Geschichte der katalanischen Hauptstadt. Sie war von der Plattform Katalanische Zivilgesellschaft organisiert worden und sollte dazu dienen, „der schweigenden Mehrheit“in der gespaltenen Region eine Stimme zu verleihen.
Bei dem katalanischen Referendum am 1. Oktober hatten 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit gestimmt, allerdings hatten nur 43 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen.
„Wir haben vielleicht zu lange geschwiegen.“ Alejandro Marcos, Teilnehmer am pro-spanischen Protestmarsch