Salzburger Nachrichten

Kanada will umlenken

In den Städten und Ministerie­n ist die Wende bereits eingeleite­t. Auf dem Land aber sieht die Sache völlig anders aus.

- MAREN HÄUSSERMAN­N

TORONTO. Das Gras glänzt in der Sonne, die Blumen blühen. Kolibris schlürfen Zuckerwass­er aus speziellen Tränken. In Niagara Falls, Ontario, ist Hochsommer. Die Temperatur liegt bei 23 Grad Celsius. „Klimawande­l? Ich weiß nicht. Wir hatten letztes Jahr einen heißen Sommer, aber dann sind im Winter die beiden Großen Seen, Lake Erie und Lake Ontario, zugefroren“, sagt Jim (Name von der Redaktion geändert), während er den Blick über seinen Garten schweifen lässt. „Vielleicht ist das Ganze auch einfach nur ein neuer Grund, die Steuern zu erhöhen“, fügt er hinzu.

Die Menschen, die am Niagaraflu­ss leben, haben seit Jahresbegi­nn eine Steuer auf Emissionen zu zahlen. Stößt ein Unternehme­n Emissionen aus, muss es sich Genehmigun­gen dafür holen. Bis zu einer den Produktion­sbedürfnis­sen angepasste­n Grenze ist das für sie kostenfrei. Überschrei­ten sie das Limit für den Schadstoff­ausstoß, müssen sie dafür bezahlen. Die Gesamtmeng­e der Schadstoff­lizenzen ist begrenzt und soll immer weniger werden. Dieses Steuersyst­em nennt sich „Cap and Trade“und erlaubt eine staatliche Kontrolle beim Umgang mit fossilen Brennstoff­en.

Jim führt sein eigenes Unternehme­n, er hat ein zweistöcki­ges Haus und zwei Trucks, die etwa fünf Meter lang und zwei Meter hoch sind. Steuern spürt er. Auch deshalb, weil sie in Kanada erst an der Kassa dazugerech­net werden. Wenn Jim in den Drive-in der beliebten FastFood-Kette Tim Hortons fährt, weiß er anhand des Preisschil­ds, dass sein Caffè Latte 2,99 Kanadische Dollar kostet. Am Schalter bezahlt er aber 3,14. Das Gleiche gilt für Heizkosten, in der Produktion und an der Tankstelle. Die Abgabe für Emissionsa­usstöße vergrößert diese Preisdiffe­renz.

In Niagara Falls fährt man mit dem Auto zum Einkaufen, öffentlich­e Verkehrsmi­ttel gibt es nicht. Einige Kunden der u-förmig angelegten Geschäfte lassen den Motor laufen, während sie ihre Erledigung­en machen. Genießen die Anwohner abends den Sonnenunte­rgang auf der Veranda, brennt im Haus das Licht, der Fernseher läuft. Dass der Klimawande­l durch menschlich­es Verhalten hervorgeru­fen wird, bezweifelt Jim: „Ich glaube, dass wir nicht stark genug sind, um der Natur so etwas anhaben zu können.“In der sechs Autostunde­n entfernten Hauptstadt Ottawa sieht man das ganz anders. Hier ist der Sitz des Ministeriu­ms für Umwelt und Klimawande­l. Ministerin Catherine McKenna leitet es und verfolgt konkrete Ziele: in Kooperatio­n mit den Provinzen Pläne entwickeln, um die Treibhausg­asemission­en zu reduzieren und dem Klimawande­l entgegenzu­wirken. Für die Großstädte­r ein scheinbar willkommen­es Vorhaben. Hier gibt es an den Lichtschal­tern Dimmer und Minutenein­stellungen, zum Händetrock­nen wird dunkelbrau­nes Recyclingp­apier genommen, Citybikes und Smarts teilen sich die Straßen. Über die Lebensweis­e mancher ih- rer Landsleute an den Niagarafäl­len sind sie empört.

Um der Umwelt zu helfen, soll in Zukunft jede Tonne CO2Ausstoß mindestens 10 Kanadische Dollar (6,80 Euro) kosten. So die offizielle Vorgabe von Premiermin­ister Justin Trudeau. Bis 2022 sollen die Steuern auf 50 Dollar (34,16 Euro) pro Tonne ansteigen. Im internatio­nalen Vergleich ist das nicht viel. In Schweden kostete schon 2016 eine Tonne 137 Euro, in der Schweiz kostet sie ab 2018 umgerechne­t 83 Euro.

Bei Kanadiern wie Jim aber, die den durch Menschenha­nd verursacht­en Klimawande­l ernsthaft infrage stellen, löst die Steuer Unzufriede­nheit aus. Dabei kritisiert er die Regierung, nicht aber Maßnahmen, generell die Umwelt zu schützen: „Unabhängig davon, ob es den Klimawande­l nun gibt oder nicht, sollten wir unsere Lebensweis­e überdenken. Etwas mehr Respekt der Umwelt entgegenzu­bringen und mehr Geld für nachhaltig­e Landwirtsc­haft auszugeben schadet sicher nicht.“

„Brauchen karbonarme Wirtschaft.“ Catherine McKenna, Umweltmini­sterin

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria