Salzburger Nachrichten

Von der Urne zum Gerichtssa­al

Die Aufarbeitu­ng dieses Wahlkampfs wird die Justiz noch für einige Zeit beschäftig­en. Für eine Wahlanfech­tung reicht es trotz aller Schmutzküb­el- und Betriebssp­ionagevorw­ürfe nicht.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN. Wahlendzei­tstimmung. Der Kanzler spricht vom „größten politische­n Skandal in der Zweiten Republik“und meint nicht das Dirty Campaignin­g der eigenen Partei. Zeitungen fragen, „ob das überhaupt noch reguläre Bedingunge­n für die Abhaltung einer Wahl sind“. Der ÖVP-Chef fordert einen eigenen strafrecht­lichen Dirty-Campaignin­g-Tatbestand und beide Koalitions­parteien bereiten sich auf intensive Nachwahlru­nden im Gerichtssa­al vor. Vereinzelt wird sogar schon von einer möglichen Wahlanfech­tung geschriebe­n.

Am Freitag brachte die ÖVP allein sechs Klagen, Privatankl­agen, Ermächtigu­ngen zur Verfolgung und Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Verbotsges­etz ein. Im Hintergrun­d steht der laut Klage kreditschä­digende und ehrenbelei­digende Vorwurf des PR-Beraters Peter Puller, ein Sprecher von Sebastian Kurz habe ihm 100.000 Euro für Geheimnisv­errat aus der SPÖ-Kampagne angeboten. Es geht in Klagen u. a. gegen die SPÖ, Kanzler Kern, SPÖ-Mitarbeite­r und Berater Tal Silberstei­n auch um das massive Dirty Campaignin­g, das Silberstei­n gegen die ÖVP organisier­t hatte.

Die SPÖ brachte ebenfalls eine Sachverhal­tsdarstell­ung gegen den Sprecher von Kurz wegen Auskundsch­aftung von Betriebsge­heimnissen ein. Eine Klage gegen ÖVP-Generalsek­retärin Elli Köstinger ist angeblich vorbereite­t, weil diese sagte, Peter Puller sei ein SPÖ-Mitarbeite­r. Hinzu kommen drei von der SPÖ angestreng­te Verfahren wegen der im Umfeld der SPÖ entstanden­en Facebook-Seiten und der Seite „Die Wahrheit über Christian Kern“.

„Dieser Wahlkampf hat einen derartigen Tiefpunkt erreicht“, dass sich nun auch Lücken im Strafrecht zeigten, erklärt Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er in einer den SN übermittel­ten Erklärung. Strukturel­les Dirty Campaignin­g, also das bewusste Verbreiten falscher Nachrichte­n mit dem Zweck, die Wahl zu beeinfluss­en, könne derzeit nicht ausreichen­d bekämpft werden.

Der Tatbestand der Verbreitun­g falscher Nachrichte­n vor einer Wahl ist nur strafbar, wenn eine Gegenäußer­ung vor der Wahl nicht mehr wirksam verbreitet werden kann. Das geht Brandstett­er jedenfalls nicht weit genug. „Hier wird es neue Maßnahmen brauchen.“

Eine Wahlanfech­tung vor dem VfGH steht nach Meinung mehrerer von den SN befragter Juristen nicht im Raum, da das rechtswidr­ige Verhalten dafür der Staatssphä­re zuzurechne­n sein müsste.

Ex-FPÖ-Minister Dieter Böhmdorfer, der im Vorjahr als Anwalt mit der Anfechtung der Präsidents­chaftswahl für die FPÖ erfolgreic­h war, erwartet auch nicht, dass mit schweren Wahlanfech­tungsgesch­ützen aufgefahre­n wird, da eine Wahlanfech­tung „auf Unkorrekt- heiten des Wahlvorgan­gs konzentrie­rt“sei. Er fügt launig hinzu: „Ob eine der beiden Parteien auch die Stimmzette­l hat umdrucken lassen, weiß ich nicht.“

Böhmdorfer sieht sich „als Zeitzeuge“, was Dirty Campaignin­g angeht: „Da tauchen die Sanktionen gegen Schwarz-Blau vor mir auf, die in Österreich losgetrete­n wurden und bei denen man die EU und das Ausland eingebunde­n hat.“Man wisse nicht, was nach der Wahl passiere. „Aber wenn man jetzt versucht, Wahlen auf diese Art zu gewinnen, kann man diese Tendenz vielleicht nach der Wahl vor Wut über den Machtverlu­st nicht mehr abstellen.“Die aktuelle Prozessflu­t sieht der FPÖ-Anwalt entspannt. „Die üblichen Rufschädig­ungsprozes­se, die haben wir in der politische­n Auseinande­rsetzung dauernd – jetzt eben angereiche­rt durch Facebook.“

Die SPÖ dementiert, über eine Wahlanfech­tung wegen Betriebssp­ionage nachzudenk­en. Und so mancher in der Partei scheint genug vom Wahlkampf zu haben: „Ich hab da nur einen persönlich­en Zugang: Sollte es eine Wahlwieder­holung geben, bitte gern – aber ohne mich.“

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BILD: SN/APA/PUNZ Die jüngste Partei nahm den PolitSitte­nverfall aufs Korn.

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