Von der Urne zum Gerichtssaal
Die Aufarbeitung dieses Wahlkampfs wird die Justiz noch für einige Zeit beschäftigen. Für eine Wahlanfechtung reicht es trotz aller Schmutzkübel- und Betriebsspionagevorwürfe nicht.
WIEN. Wahlendzeitstimmung. Der Kanzler spricht vom „größten politischen Skandal in der Zweiten Republik“und meint nicht das Dirty Campaigning der eigenen Partei. Zeitungen fragen, „ob das überhaupt noch reguläre Bedingungen für die Abhaltung einer Wahl sind“. Der ÖVP-Chef fordert einen eigenen strafrechtlichen Dirty-Campaigning-Tatbestand und beide Koalitionsparteien bereiten sich auf intensive Nachwahlrunden im Gerichtssaal vor. Vereinzelt wird sogar schon von einer möglichen Wahlanfechtung geschrieben.
Am Freitag brachte die ÖVP allein sechs Klagen, Privatanklagen, Ermächtigungen zur Verfolgung und Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz ein. Im Hintergrund steht der laut Klage kreditschädigende und ehrenbeleidigende Vorwurf des PR-Beraters Peter Puller, ein Sprecher von Sebastian Kurz habe ihm 100.000 Euro für Geheimnisverrat aus der SPÖ-Kampagne angeboten. Es geht in Klagen u. a. gegen die SPÖ, Kanzler Kern, SPÖ-Mitarbeiter und Berater Tal Silberstein auch um das massive Dirty Campaigning, das Silberstein gegen die ÖVP organisiert hatte.
Die SPÖ brachte ebenfalls eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Sprecher von Kurz wegen Auskundschaftung von Betriebsgeheimnissen ein. Eine Klage gegen ÖVP-Generalsekretärin Elli Köstinger ist angeblich vorbereitet, weil diese sagte, Peter Puller sei ein SPÖ-Mitarbeiter. Hinzu kommen drei von der SPÖ angestrengte Verfahren wegen der im Umfeld der SPÖ entstandenen Facebook-Seiten und der Seite „Die Wahrheit über Christian Kern“.
„Dieser Wahlkampf hat einen derartigen Tiefpunkt erreicht“, dass sich nun auch Lücken im Strafrecht zeigten, erklärt Justizminister Wolfgang Brandstetter in einer den SN übermittelten Erklärung. Strukturelles Dirty Campaigning, also das bewusste Verbreiten falscher Nachrichten mit dem Zweck, die Wahl zu beeinflussen, könne derzeit nicht ausreichend bekämpft werden.
Der Tatbestand der Verbreitung falscher Nachrichten vor einer Wahl ist nur strafbar, wenn eine Gegenäußerung vor der Wahl nicht mehr wirksam verbreitet werden kann. Das geht Brandstetter jedenfalls nicht weit genug. „Hier wird es neue Maßnahmen brauchen.“
Eine Wahlanfechtung vor dem VfGH steht nach Meinung mehrerer von den SN befragter Juristen nicht im Raum, da das rechtswidrige Verhalten dafür der Staatssphäre zuzurechnen sein müsste.
Ex-FPÖ-Minister Dieter Böhmdorfer, der im Vorjahr als Anwalt mit der Anfechtung der Präsidentschaftswahl für die FPÖ erfolgreich war, erwartet auch nicht, dass mit schweren Wahlanfechtungsgeschützen aufgefahren wird, da eine Wahlanfechtung „auf Unkorrekt- heiten des Wahlvorgangs konzentriert“sei. Er fügt launig hinzu: „Ob eine der beiden Parteien auch die Stimmzettel hat umdrucken lassen, weiß ich nicht.“
Böhmdorfer sieht sich „als Zeitzeuge“, was Dirty Campaigning angeht: „Da tauchen die Sanktionen gegen Schwarz-Blau vor mir auf, die in Österreich losgetreten wurden und bei denen man die EU und das Ausland eingebunden hat.“Man wisse nicht, was nach der Wahl passiere. „Aber wenn man jetzt versucht, Wahlen auf diese Art zu gewinnen, kann man diese Tendenz vielleicht nach der Wahl vor Wut über den Machtverlust nicht mehr abstellen.“Die aktuelle Prozessflut sieht der FPÖ-Anwalt entspannt. „Die üblichen Rufschädigungsprozesse, die haben wir in der politischen Auseinandersetzung dauernd – jetzt eben angereichert durch Facebook.“
Die SPÖ dementiert, über eine Wahlanfechtung wegen Betriebsspionage nachzudenken. Und so mancher in der Partei scheint genug vom Wahlkampf zu haben: „Ich hab da nur einen persönlichen Zugang: Sollte es eine Wahlwiederholung geben, bitte gern – aber ohne mich.“