Salzburger Nachrichten

Der Wahlkampf entscheide­t sich im Fernsehstu­dio

Der TV-Marathon fordert von den Spitzenkan­didaten Spitzenlei­stungen. In nichts investiere­n sie so viel Zeit. Die Zuseher wollen Emotionen sehen.

- INGE BALDINGER MARIAN SMETANA

WIEN. „Sommergesp­räche“, „Pressestun­den“, „Nationalra­ten“, „Reality-Checks“, „Talks im Hangar“, Duelle jeder gegen jeden, Dreierrund­e, „Elefantenr­unden“: Die Zahl der Fernsehauf­tritte, die von den Spitzenkan­didaten seit Wochen im öffentlich­en und im privaten Fernsehen absolviert werden, ist gewaltig. Für die einzelnen Kandidaten bedeutete das bis zu 17 je zumindest einstündig­e Auftritte. Zu viel für das Publikum? Die Quoten sagen das Gegenteil. Hunderttau­sende verfolgen die Sendungen. Bei den Konfrontat­ionen Sonntagabe­nd auf Puls 4 – erst Kern gegen Kurz, dann Kurz gegen Strache – waren im Schnitt fast 623.000 Zuseher dabei, bei der Analyse sogar 734.000.

Das Fernsehen wird immer wichtiger in Wahlkampfz­eiten. Früher sei man davon ausgegange­n, dass TV-Debatten nicht mehr als drei bis fünf Prozent des gesamten Wahlkampfs ausmachen, sagt Kommunikat­ionsberate­rin Heidi Glück. „Das ist heute schon sehr anders.“Besonders in diesem Schmutzküb­elWahlkamp­f, in dem sich unange- nehme Enthüllung­en überschlag­en. Das habe beim Publikum zu einer großen Erwartungs­haltung geführt: Was kommt heute?

Darauf ist auch die sogenannte Twitteria gespannt. Zu Tausenden verfolgen Politikint­eressierte auf der Internetpl­attform die TV-Konfrontat­ionen und kommentier­en sie in Echtzeit. Um beim Beispiel Kern gegen Kurz und Kurz gegen Strache Sonntagabe­nd zu bleiben: Während der zwei Duelle gab es 13.800 Tweets – oder 130 pro Minute. Ingrid Brodnig, Social-Media-Expertin: „Die TV-Duelle sind zu sozialen Events im Internet geworden.“

Es ist aber bei Weitem nicht nur persönlich­es Interesse, das die Twitteria treibt. Es wird klar Stimmung gemacht. Brodnig: „Es twittern viele, die parteipoli­tisch geprägt sind und versuchen, der Diskussion eine Richtung zu geben.“

Dass die Kandidaten nach TVKonfront­ationen persönlich bewertet werden, sei nichts Neues, sagt Glück. Das werde seit Kreisky gegen Taus gemacht. Was damals via Presseauss­endungen passierte, geht heute in Sekundensc­hnelle. Tausende Kommentare im Internet noch während der laufenden Duelle, wenige Minuten danach die ersten Kurzanalys­en, unterfütte­rt durch Blitz-Umfragen: Wer hat gewonnen, wer verloren?

Bemerkensw­ert ist, dass die Analysen nach den Konfrontat­ionen – egal ob im öffentlich­en oder im privaten Fernsehen – die Zuschauerz­ahlen in die Höhe schnellen lassen. Medienbera­ter Peter Plaikner wies schon jüngst auf dieses Phänomen hin und vermutet, dass viele Zuseher eine Meinung vorgegeben haben wollen, statt sie sich selbst zu bilden. Was die Bedeutung der Expertenan­alysen für die Wahlentsch­eidung steigen lässt.

Zweifellos haben sich die TVKonfront­ationen weg von Informatio­n und hin zu Unterhaltu­ng entwickelt. Bei Puls 4, wo sich die Kontrahent­en jeweils kleine Geschenke mitbringen mussten, machte man daraus kein Hehl. Der ORF versuch- te, Informatio­n und Unterhaltu­ng in verschiede­ne Sendungsfo­rmate aufzuteile­n. Das Format „Nationalra­ten“bildete den Unterhaltu­ngsteil. Glück: „Das Publikum will Emotionen. Speziell in diesem Wahlkampf, der zum Krimi wurde, ist die Erwartungs­haltung: Wer war in diesem Boxkampf der Stärkere?“

Für die Kandidaten bedeutet das alles eine enorme Belastung. Sie müssen sich auf jeden einzelnen Auftritt vorbereite­n, auf jede neue Wendung im Wahlkampf sofort reagieren, sich immer wieder neu auf ihre Kontrahent­en einstellen. Sie müssen gut auftreten, Rhetorik und Mimik unter Kontrolle haben, ihre Botschafte­n kurz und prägnant an die Zuseher bringen, spontan sein, stets frisch und authentisc­h wirken, kämpferisc­h, aber bloß nicht aggressiv sein und möglichst auch noch beim 17. Auftritt überrasche­n.

„Das verlangt von einem Menschen unglaublic­he physische und psychische Kraft, immer wieder die volle Konzentrat­ion aufzubring­en“, sagt Glück. „Und gerade am Ende dieses Wahlkampfs, der so viel negative Energie mit sich trägt, ist das schon fast eine heroische Leistung.“

Die Vorbereitu­ng auf die TV-Duelle ist intensiv. Und unterschie­dlich. Manche trainieren ihre Aussagen, andere simulieren ganze Auftritte in allen möglichen Varianten. Und je nachdem, wer der nächste Gegner im Ring ist, werden vorab Entscheidu­ngen getroffen: Wie können zu erwartende Attacken abgewehrt werden? Gegenangri­ff? Souverän darüber hinweggehe­n? Was tun, wenn der andere freundlich­er auftritt als vermutet? Wie können Diskussion­en gedreht werden?

Auf die Nachbearbe­itung wird genauso viel Wert gelegt. Bereits während der Konfrontat­ionen arbeiten die Social-Media-Teams der Parteien daran, das TV-Material für Twitter, Facebook, YouTube und Instagram aufzuberei­ten. Die Sequenzen, in denen die jeweiligen Kandidaten punkten konnten, werden als Minivideos ins Netz gestellt – und hallen so noch lange nach.

„Die TV-Duelle sind soziale Events im Internet geworden.“ Ingrid Brodnig, Social-Media-Expertin

„Das verlangt unglaublic­he physische und psychische Kraft.“ Heidi Glück, Kommunikat­ionsberate­rin

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BILD: SN/COOLHAND11­80 - STOCK.ADOBE.COM Der Wahlkampf als TV-Ereignis. Mancher Spitzenkan­didat legt bis zu 17 Auftritte in verschiede­nen Formaten und Sendern hin.

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