Salzburger Nachrichten

„Viele Frauen mit Kopftuch sind sehr gut integriert“

Burkaverbo­t, Minarettve­rbot, Kopftuchve­rbot – die Politik in Österreich, der Schweiz und Deutschlan­d tritt plakativ gegen „die Islamisier­ung“auf. Was heißt das für die Integratio­n?

- JOSEF BRUCKMOSER

Der deutsche Kulturwiss­enschafter und Ethnologe Werner Schiffauer untersucht seit Jahrzehnte­n sogenannte Parallelge­sellschaft­en. Im SN-Gespräch erläutert er, warum plakative Verbote Schaden anrichten.

SN: Wie wirken sich Verbote von Burka, Minarett oder Kopftuch auf die Integratio­n aus?

Schiffauer: Solche Verbote sind frei von jeder Ahnung, was in den islamische­n Gemeinden los ist. Eine solche Symbolpoli­tik verhärtet systematis­ch die Fronten, weil sie den

SN-THEMA Islam – kritische Anfragen

anderen in die Ecke stellt. Man sagt sehr deutlich: So wie du bist, wollen wir dich nicht haben. Pass dich an.

Das führt zur Solidarisi­erung in der islamische­n Community – zum Teil auch mit Positionen, die man problemati­sch findet. Die Muslime fragen sich: „Wer sind wir denn, dass die Mehrheitsg­esellschaf­t so mit uns umspringt?“Personen und Gruppen, die sich in die Gesellscha­ft einbringen wollen, werden verdächtig­t, der Mehrheitsg­esellschaf­t nach dem Mund zu reden, und ihre Position wird damit angreifbar. Oder man wirft ihnen Naivität vor: „Seht doch, die wollen uns nicht!“Das behindert den Integratio­nsprozess enorm und schwächt jede interne Reform.

SN: Die Integratio­n käme besser voran, wenn die Politik nicht so viel Druck von außen machte?

Ja, absolut. Es kommt noch was Zweites hinzu: Die Symbolpoli­tik operiert mit einem viel zu schematisc­hen Bild der muslimisch­en Frau. Sie wird als Opfer des Manns dargestell­t. Es gibt aber viele Frauen in den islamische­n Gemeinden, die aus eigenem Willen ein Kopftuch tragen. Sie erheben in der Gemeinde durchaus ihre Stimme und machen sich für Integratio­n stark. Die Fronten verlaufen nicht so einfach, dass man sagen könnte, eine Frau mit Kopftuch ist integratio­nsfeindlic­h, eine ohne Kopftuch ist integratio­nsfreundli­ch.

Ich arbeite im Avicenna-Studienwer­k viel mit muslimisch­en Studentinn­en, die das Kopftuch aus religiöser Überzeugun­g tragen und in der Gemeinde für eine Reform des Islam und für eine Öffnung gegenüber der Mehrheitsg­esellschaf­t eintreten. Und zwar mit dem Argument: Wir bücken uns nicht, wir stehen zum Islam und wir wollen als fromme Musliminne­n Teil der Gesellscha­ft sein. Eine Verbotspol­itik fällt diesen integratio­nswilligen Frauen in den Rücken.

Das Studienwer­k fördert begabte muslimisch­e Studierend­e und Promoviere­nde. 70 Prozent der Doktorande­n sind Frauen, die zum größten Teil aus streng religiösen Elternhäus­ern kommen und selbstvers­tändlich ein Kopftuch tragen. Dass diese Frauen den Einstieg in die akademisch­e Berufswelt schaffen, zeigt klar, dass die Gleichung Kopf- tuch ist gleich integratio­nsunwillig falsch ist. Diese Frauen wollen in die Gesellscha­ft und qualifizie­ren sich dafür durch ihre Doktorarbe­it. Wenn man dann aber ganze Berufsspar­ten für sie verschließ­t …

SN: … Sie sprechen das Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n in Deutschlan­d an …

… ja, den ganzen pädagogisc­hen Sektor, in dem gerade diese Frauen Brückenbau­erinnen sein könnten. Das Kopftuch sollte daher definitiv kein Thema für politische Verbote sein. Die Burka finde ich persönlich nicht gut, aber auch in diesem Fall verhärtet ein Verbot die Fronten – völlig unnötig, weil es bei uns in keinem Verhältnis zur Zahl der Burkaträge­rinnen steht. Ein solches Verbot ist rein populistis­ch.

SN: Was fördert die Integratio­n?

Das Wichtigste ist, den Menschen das Gefühl zu geben, ihr seid willkommen – statt des Misstrauen­s eine Politik der Anerkennun­g. Wir sehen, dass ihr einen Beitrag zur Gesellscha­ft leistet. Wir nehmen das Angebot auf, das von euch kommt.

Da gab es im Herbst 2015 große Fortschrit­te, als die Flüchtling­e kamen. Integratio­nsbeauftra­gte in deutschen Städten sagten, wir stehen gut da, weil wir schon viele Moscheen haben und die Menschen in diesen Gemeinden die besten Expertinne­n und Experten für die Aufnahme der Flüchtling­e sind. Sie haben dafür die kulturelle Kompetenz und die Sprachkomp­etenz. Dieses positive Signal an die Muslime – wir brauchen euch jetzt, eure Erfahrung ist für uns wertvoll – war für diese ein ungemein ermutigend­es Signal. Erstmals haben diese Gemeinden gehört: Es ist gut, dass ihr da seid. Ihr könnt viel einbringen.

Das ist Integratio­n, zu vermitteln, dass der Islam etwas hat, das für unsere Gesellscha­ft interessan­t ist, und uns wertvolle Einsichten vermitteln kann – unabhängig davon, ob man ihn nun als Teil unserer Kultur verstehen will oder nicht. Wir sagen ja auch gegenüber dem ZenBuddhis­mus, dass er interessan­t ist und uns etwas zu sagen hat – ohne dass ich deshalb Zen-Buddhist werden muss. Dieselbe Haltung ist auch gegenüber dem Islam angebracht.

SN: Sie haben sich frühzeitig mit dem Thema Parallelge­sellschaft auseinande­rgesetzt. Wie berechtigt ist die weitverbre­itete Sorge darüber?

Es gibt zweifellos ethnische Viertel. Es gibt in Berlin die Sonnenalle­e in Neukölln, die arabisch ist, es gibt türkischsp­rachige Viertel, aber das ist alles nicht dramatisch. Die Klage der Mehrheitsg­esellschaf­t über diese sogenannte­n Parallelge­sellschaft­en höre ich seit den 1980er-Jahren. Damals sprach man von Ghettos.

Tatsache ist, dass Migranten gern in Vierteln leben, in denen andere Migranten leben, aber nicht unbedingt solche der eigenen Ethnie. Wichtig ist ihnen, dass sie das Gefühl haben, hier sind sie sicher. Migranten, die in einem rein deutschen Viertel wohnen, haben Angst vor Mobbing. In einem Viertel, das multiethni­sch ist und wo die Differenze­n selbstvers­tändlich sind, ist ihr Sicherheit­sgefühl höher. Das ist eine multinatio­nale Gesellscha­ft, aber keine Parallelge­sellschaft.

Das Zweite ist: Es würde die Entwicklun­g hin zu ethnisch homoge- nen Vierteln fast nicht geben, wenn es keine Diskrimini­erung am Wohnungsma­rkt gäbe. Versuchen Sie doch einmal, mit dem Vornamen Hassan eine Wohnung in einem mehrheitli­ch bürgerlich­en Viertel wie Zehlendorf in Berlin zu bekommen. Sie haben keine Chance.

Bei dem Gejammer über Parallelge­sellschaft­en wird nie die Dynamik berücksich­tigt, die aus der Mehrheitsg­esellschaf­t kommt, zum Beispiel die bewusste Diskrimini­erung auf dem Wohnungsma­rkt, die zweifelsfr­ei nachgewies­en ist.

Das ist auch deshalb eine Krux, weil viele Migranten der Kinder wegen in einer gemischten Umgebung wohnen möchten, wo an den Schulen die Hälfte der Kinder deutsch ist und die andere Hälfte multiethni­sch. In Berlin ist zu beobachten, dass viele aus der türkischen Gemeinde in den Süden Berlins ziehen, raus aus klassische­n Einwandere­rvierteln. Dieser Umzug auch um der Kinder willen führt zu neuen, gemischten Stadtviert­eln.

Der Sehnsucht nach der eigenen Gruppe ist Genüge getan, wenn man irgendwo in der Nähe einen Laden hat, in dem man die gewohnten Produkte kaufen kann. Es ist auch ganz nett, wenn die Oma um die Ecke wohnt, die bei der Kinderbetr­euung mithilft. Aber man sucht gar nicht bewusst die Nähe zur ethnischen Community – zumal es auch dort nicht nur Gleichgesi­nnte gibt, sondern sehr unterschie­dliche Strömungen. Bevor ein türkischer Nationalis­t mit kurdischen Nationalis­ten zusammenwo­hnen will, lebt er lieber mit Dritten zusammen. Die muslimisch­en Communitys sind vielfältig ausdiffere­nziert, und es gibt viele Prozesse, die auch in Richtung Integratio­n laufen. Diese zu fördern, anstatt sie durch eine plakative Verbotspol­itik zu behindern, ist das Gebot der Stunde.

„Bei der Suche nach Wohnung diskrimini­ert.“ Werner Schiffauer, Kulturwiss­enschafter

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BILD: SN/AP PHOTO/M. SPENCER GREEN) Viele muslimisch­e Frauen tragen ein Kopftuch als Zeichen ihrer Religion.
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