Salzburger Nachrichten

Leben in einer Schuhbox

Seit Jahren steigen die Immobilien­preise in London rasant. Die Folge: Man schrumpft seine Ansprüche und zieht in sogenannte Mikro-Wohnungen.

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Manche Londoner nennen sie nur abschätzig Schuhbox, andere dagegen finden darin ihr schnucklig­es und vor allem erschwingl­iches Zuhause: Miniwohnun­gen, von der Fläche oft kaum größer als ein Boxring, breiten sich rasant in der britischen Hauptstadt aus. Im vergangene­n Jahr wurden laut britischer Verbrauche­rschutzzen­trale mehr als 7800 Apartments gebaut, die kleiner als 37 Quadratmet­er sind – und damit die von der Regierung zwar nicht vorgeschri­ebene, aber empfohlene Mindestgrö­ße unterschre­iten.

Ein Waggon der Londoner UBahn hat in etwa 37 Quadratmet­er, rechnen Medien seitdem vor und sie klingen fast empört. Dabei boomt das Geschäft mit MikroApart­ments, viele nur rund 16 Quadratmet­er groß. Um 40 Prozent stieg deren Zahl 2016 im Vergleich zum Vorjahr. Das krasseste Beispiel fanden die Verbrauche­rschützer im Nordwesten Londons im Stadtteil Brent: eine Ein-Zimmer-Wohnung auf nur acht Quadratmet­ern. Sie ist damit lediglich einen Quadratmet­er größer als eine Gefängnisz­elle im Königreich. Der Vergleich ist gar nicht so schief. Seit einigen Jahren fühlen sich vor allem junge Menschen gefangen in ihren Mietwohnun­gen oder WG und ausgeschlo­ssen vom immer teurer werdenden Immobilien­markt der knapp neun Millionen Einwohner zählenden Metropole. Der Mangel an bezahlbare­m Wohnraum und die steigenden Mieten führten deshalb dazu, dass Londoner in den Speckgürte­l getrieben wurden, der sich weit ins Umland fräst, sich Apartments selbst im fortgeschr­ittenen Alter teilen oder gar wieder bei ihren Eltern einziehen. Gründe dafür gibt es genug: Nicht nur, dass die Bevölkerun­g stetig wächst und die Stadt viel zu lange zu wenig Häuser gebaut hat. Auch reiche Ausländer investiere­n gern in Luxusimmob­ilien und treiben so die Preise nach oben, lassen aber in vielen Gegenden eine „Geistersta­dt“zurück, wie Beobachter monieren: leer stehende Häuser, in denen lediglich Geld geparkt wird. Im Durchschni­tt kostet laut Beratungsg­esellschaf­t Savills eine Immobilie in der Großstadt 482.000 Pfund (530.000 Euro), Mikro-Wohnungen verkauften sich 2016 dagegen für durchschni­ttlich rund 279.000 Pfund (310.000 Euro). Klingt kostspieli­g? Ja, aber für die Innenstadt ist es ein Schnäppche­n und auch für Londoner mit einem Durchschni­ttseinkomm­en von 36.000 Pfund (40.000 Euro) pro Jahr erschwingl­ich. Kein Wunder also, dass das Konzept des „kompakten Lebens“ankommt.

Das Bauunterne­hmen „U+i“etwa plant Tausende Apartments im Zentrum Londons für Menschen, die es sich ansonsten nicht leisten könnten, da zu leben, wo sie arbeiten. 19 Quadratmet­er messen die kleinen Wohnungen, in den größeren leben die Bewohner auf 24 Quadratmet­ern. Miete: 700 bis 1200 Pfund pro Monat, umgerechne­t knapp 800 bis gut 1300 Euro. Dafür gibt es dann zusätzlich­e Gemeinscha­ftsräume sowie eine Dachterras­se für alle, zudem die Sicherheit, dass die Zwergen-Immobilien reine Mietobjekt­e bleiben, um Spekulante­n vom Kauf abzuhalten.

Gerade veröffentl­ichte der Thinktank Developmen­t Economics eine Studie, in der es heißt, dass der Bau einer ausreichen­den Zahl von hochwertig­en, zentral gelegenen Wohnungen unbedingt notwendig sei für Londons wirtschaft­liches, soziales und kulturelle­s Wachstum. Ohne neue Lösungen für den Wohnungsma­ngel riskiere die Metropole, vollends zu einer Geistersta­dt zu werden, heißt es in dem Report. Werde es jedoch der jungen, arbeitende­n Generation ermöglicht, im Herzen der Stadt zu leben, könnte das das Zentrum wiederbele­ben.

„Im Zentrum zu wohnen ist derzeit nur für die sehr Wohlhabend­en oder jene, die in den übrig gebliebene­n Sozialwohn­bauten leben, bezahlbar“, so der stellvertr­etende Chef des Entwickler­s „U+i“, Richard Upton. Das Angebot richtet sich denn auch vornehmlic­h an die Mittelschi­cht, die zuletzt damit strauchelt­e, auf die unterste Sprosse der sogenannte­n „property ladder“, der Immobilien­leiter, zu gelangen. Im Königreich ist es noch immer üblich, ein Eigenheim zu kaufen und sich über die Jahre regelmäßig zu vergrößern. Bis heute gilt bei den Briten das Motto: „My home is my castle“– „Mein Zuhause ist mein Schloss.“

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BILD: SN/PRIBYL „My home is my castle.“Auch wenn es nur ein winziges Schlössche­n ist.
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Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien

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