Salzburger Nachrichten

Die Stunde der Spindoktor­en

Wer warum welches Gerücht streut. Und wie stark Umfragen und Gerüchte das Wahlergebn­is beeinfluss­en.

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WIEN. Vom 20. Stockwerk des Wiener Ringturms hat man eine atemberaub­ende Aussicht über die Stadt und den angrenzend­en Wienerwald. Doch Peter Hajek hatte keinen Sinn für diese Schönheite­n, als er kürzlich an einem der letzten Abende in diesem Wahlkampf an einer Podiumsdis­kussion teilnahm, die die Agentur Unique Relations in besagtem Obergescho­ß veranstalt­et hatte. Es ging um Sinn und Unsinn von Umfragen, und Hajek, vielbeschä­ftigter Markt- und Meinungsfo­rscher, verlor hörbar die Geduld, als er zum x-ten Mal auf die vermeintli­che Ungenauigk­eit von Wahltagsum­fragen angesproch­en wurde. Derlei Umfragen seien, mit Verlaub, keine Ergebnispr­ognosen, gab Hajek nicht ohne Emotionen zu Protokoll. Vielmehr gäben sie Schwankung­sbreiten wieder, wie sie zum Erhebungsz­eitpunkt bestünden. Dass manche Medien aus derlei Umfragemat­erial reißerisch­e Schlagzeil­en und kommagenau­e Wahltagspr­ognosen ableiteten, könne man, sagte Hajek, nicht den Meinungsfo­rschern anlasten.

Exakt dies geschah auch im laufenden Wahlkampf, und zwar bis zum letzten Tag. „Österreich“etwa prognostiz­ierte am Freitag auf Basis mehrerer Umfragen einen klaren Sieg Sebastian Kurz’. Der laut Expertenme­inung am Sonntag eintreten kann – oder auch nicht. Der erfahrene Politikbeo­bachter ist in Vorwahlzei­ten gut beraten, Umfragen nur mit spitzen Fingern anzufassen. Und vor allem: den aus den Parteizent­ralen dringenden Gerüchten noch weniger Glauben zu schenken als sonst. Denn jedes gestreute Gerücht verfolgt einen Zweck. Aus ÖVP-Kreisen konnte man zuletzt erfahren, dass der Vorsprung Sebastian Kurz’ deutlich geschmolze­n sei. Zielgruppe dieses nicht ohne Hintergeda­nken in die Welt gesetzten Gerüchts sind schwankend­e Bürgerlich­e. Diese könnten ja versucht sein, im Glauben, dass der Sieg Kurz’ ohnehin bereits fix sei, mit ihrer Stimme die Neos zu retten. Diesem für die ÖVP gefährlich­en Trend soll mit dem Verweis auf eine vermeintli­che (oder tatsächlic­he?) Aufholjagd Christian Kerns entgegenge­wirkt werden. Der ÖVP-„Spin“schaffte es in den Freitags-„Kurier“(„Wahltag könnte Überraschu­ng bringen“).

Spiegelgle­iches verbreitet­en SPÖ-Gesprächsp­artner: Der Sieg Sebastian Kurz’ sei unausweich­lich, für die SPÖ gehe es nur noch um Platz zwei oder drei. Auch der Zweck dieses Gerüchts liegt auf der Hand: Schwankend­e Linke sollen veranlasst werden, weder Grün noch Pilz, sondern die SPÖ zu wählen, um Christian Kern wenigstens den zweiten Platz zu sichern. Gleichzeit­ig sollen mithilfe dieses Gerüchts bürgerlich­e Wähler demobilisi­ert, sprich: zum Zuhauseble­iben bzw. Neos-Wählen animiert werden.

Nicht nur Gerüchte, auch Umfragen können das Wahlverhal­ten beeinfluss­en. Und zwar deshalb, weil Wähler veranlasst werden könnten, aufgrund von Umfragen „taktisch“zu wählen. Darauf wies der Politologe Fritz Plasser am Freitag in der APA hin.

In der Tat könnte beispielsw­eise ein SPÖ-Sympathisa­nt ausnahmswe­ise die Grünen wählen, um diese im Parlament zu halten und dadurch den linken Parteien insgesamt einen größeren Mandatssta­nd zu verschaffe­n. Freilich auf Kosten der SPÖ. Umgekehrt könnte ein Neos-Sympathisa­nt aufgrund von Umfragen überzeugt sein, dass seine Partei aus dem Nationalra­t fliegt, woraufhin er – um seine Stimme nicht zu verschleud­ern – die ÖVP wählt. Und damit den Neos erst recht das Grab schaufelt.

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