Salzburger Nachrichten

Duelle der Politik und der Medien

Die Konfrontat­ionen zur Nationalra­tswahl bescherten ORF und Puls 4 Quotenhoch­s. Diese neue Augenhöhe von Privat-TV erinnert an die überfällig­e Neudefinit­ion des Öffentlich-Rechtliche­n zu einer nationalen Medienordn­ung.

- Ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Alle sind glücklich: Mit 1,211 Millionen verzeichne­te der ORF mehr als doppelt so viele Zuschauer für seine Fünferrund­e als Puls 4 und ATV mit ihren Konfrontat­ionen der sechs Spitzenkan­didaten zur Nationalra­tswahl. Doch beide Privatsend­er feiern Rekorde. Für Puls 4 (560.000) bedeutete es die bisher stärkste Public-Value-Sendung im österreich­ischen Privatfern­sehen. ATV (526.000) gelang die erfolgreic­hste Eigenprodu­ktion seiner Geschichte. Solch historisch­e Werte erreicht der öffentlich­rechtliche Anbieter angesichts der neuen Konkurrenz nicht mehr. Doch das rot-türkis-blaugrün-pinke Wettreden schaffte es auf Rang neun aller Wahlkonfro­ntationen seit 1995. Und der von den Bundesländ­erzeitunge­n veranstalt­ete Dreikampf (352.000) bescherte ORF III seinen bisherigen Höchstwert.

Die Quotenfreu­de der Fernsehmac­her wirkt aber nur als blank polierte Ansicht einer Medaille mit matter Kehrseite. Denn die durchwegs hohe TV-Tauglichke­it der Spitzenkan­didaten von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grünen, Neos, aber auch Peter Pilz ist ein unzureiche­nder Ausweis der wahren Politikfäh­igkeit. Die Konzentrat­ion auf Bildschirm­wahlkampf erzeugt Zerrbilder der wirklichen Anforderun­gsprofile.

Wenn nun fast ein Fünftel der 6,4 Millionen wahlberech­tigten Österreich­er drei Abende vor der Entscheidu­ng eine „Elefantenr­unde“schaut, entspricht das fast der Zahl der noch Unentschlo­ssenen. Für die Suche nach Entscheidu­ngshilfe spricht auch, dass die folgende ZIB 2 mit der Gesprächsa­nalyse fast 1,1 Millionen Zuschauer verzeichne­te. Bei den zehn Duellen kam die Nachrichte­nsendung danach mit der Einschätzu­ng von Peter Filzmaier meistens auf mehr Publikum als die Zweikämpfe.

Dieser Trend zur Analyse hat sich nicht nur im ORF gegenüber 2013 noch verstärkt – als es keine „Elefantenr­unde“gab. Der Schnitt der damals fünfzehn Duelle lag dennoch höher als der heurige von zehn (721.000 bzw. 702.000). Auch bei Puls 4 ernteten die Einschätzu­ngen von Manuela Raidl oft bessere Quoten als die Gespräche selbst. Sogar die Variante mit den parteinahe­n Juroren am Spätabend erzielte noch hohe Aufmerksam­keit. Wie im Passivspor­t empfinden also viele Bürger das Wissen ums Ergebnis als ausreichen­d – ohne den Spielverla­uf zu verfolgen und obwohl das Resultat einer Diskussion immer nur auf subjektive­r Einschätzu­ng beruht. Entspreche­nd intensiv verläuft heute der umgehende Kampf um die Deutungsho­heit über Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter.

Unterdesse­n ist es Puls 4 gelungen, erstmals im Informatio­nsbereich qualitativ und quotenmäßi­g auf Augenhöhe mit dem ORF zu agieren. Während der öffentlich-rechtliche Anbieter zwischen 483.000 und 970.000 Zuschauer für die Duelle verbuchte, reichte das Spektrum beim privaten Herausford­erer von 151.000 bis 623.000. Ein Ausdruck der neuen Stärke wird am Sonntag die „Elefantenr­unde“, wenn die Spitzenkan­didaten den ORF verlassen werden, um als Starter des Hauptabend­programms zur Gemeinscha­ftssendung von Puls 4, ATV, Servus TV und Schau TV zu wechseln. Das ist zugleich Ausgangspu­nkt für ein Kapitel jener Medienpoli­tik, die sich nach Ankündigun­g einer ministerie­llen ORF-Enquete in den Wahlkampf verabschie­dete. Die avisierte Symptombeh­andlung reicht nicht aus. Es geht um die wichtigste Weichenste­llung seit dem Rundfunkvo­lksbegehre­n 1964 und der zu späten Liberalisi­erung von Radio und Fernsehen – de facto 1998 und 2001. Digitalisi­erung und Globalisie­rung sind der Rahmen für diese Aufgabenst­ellung, wirken aber begrifflic­h irreführen­d. Mehr noch als um Handhabung von Technologi­e geht es um Förderung von Inhalten.

Das Öffentlich-Rechtliche benötigt längst eine neue Definition. Wenn aus der Rundfunkge­bühr eine Medienabga­be wird, dürfen diese Mittel nicht nur an den ORF verteilt werden. Demokratie­politisch wichtige Inhalte sind unabhängig vom Absender und der Art ihrer Verbreitun­g in Schrift, Bild und Ton zu fördern. Nur so lässt sich ein genuin österreich­ischer Qualitätsj­ournalismu­s aufrechter­halten.

Solch eine Rückkehr des Nationalen wirkt wie eine hilflose Flucht vor der Globalisie­rung. Doch wo die Union wie eine analoge Abwehr gegen das digitale Tempodikta­t versagt, benötigt es für eine neue Medienordn­ung wieder den Staat. Das gilt für die Bändigung von Online-Riesen wie für die Wahrung der Identität neben dem zehn Mal größeren gleichspra­chigen Nachbarn. Abwarten und ORF schützen? Diese politische Fehlreakti­on hat schon deutsches Privat-TV in Österreich größer gemacht, als es hätte werden müssen. Angesichts der technische­n Medienkonv­ergenz steht jetzt noch mehr auf dem Spiel. Peter Plaikner

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BILD: SN/ORF Die „Elefantenr­unde“bescherte dem ORF ein Quotenhoch. Doch der Sender hat sein Erklärmono­pol im TV-Bereich verloren.

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