Salzburger Nachrichten

Bub starb nach Fensterstu­rz

Ein Fünfjährig­er verunglück­te beim Spielen im Stiegenhau­s. Es war der zweite Fensterstu­rz mit Todesfolge in einer Woche. Und immer stellt sich danach die Frage: Wer ist schuld?

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WIEN. Innerhalb weniger Tage sind in Österreich zwei kleine Kinder aus dem Fenster gestürzt und gestorben. Am Donnerstag verunglück­te ein fünfjährig­er Bub in Wien-Ottakring tödlich, als er beim Spielen im Stiegenhau­s aus noch ungeklärte­r Ursache aus dem vierten Stock fiel. Sein zwei Jahre älterer Bruder musste das Unglück mit ansehen.

Am vergangene­n Sonntag war in Klagenfurt ein ebenfalls Fünfjährig­er aus dem Küchenfens­ter einer Wohnung im fünften Stock gestürzt. Beide Opfer erlagen ihren schweren Verletzung­en – und in beiden Fällen waren die Eltern nicht anwesend. Sind sie nun auch schuld am Tod ihrer Kinder?

„Alle Eltern sind natürlich völlig fertig und am Boden zerstört. Da wäre es total falsch, hinzugehen und zu sagen: ,Seid ihr wahnsinnig, wie konntet ihr das nur zulassen?‘“, sagt Herta Staffa vom Wiener Jugendamt (MA 11). Aus welchem sozialen Milieu die Eltern auch stammten und wie groß die Ablenkungs­faktoren (Computer, Hausarbeit, schreiende Geschwiste­r, Alkohol) seien: „Niemand lässt sein Kind absichtlic­h unbeaufsic­htigt.“

Vor allem, wenn Überforder­ung und Übermüdung hinzukämen, könne es gefährlich werden. Staffa: „Eine alleinerzi­ehende Mutter mit zwei Kindern kann nicht ständig hinter ihnen stehen.“Doch dann müsse man eben für ein Höchstmaß an Sicherheit in der Wohnung sorgen. „Die Fenster geschlosse­n oder gekippt halten. Oder – was wir auch schon gesehen haben – das Sofa eben nicht direkt unter das Fenster stellen.“Laut Kuratorium für Verkehrssi­cherheit (KfV) ereignen sich in Österreich rund 20 Fensterstü­rze jährlich – mindestens zwei bis fünf Kinder sterben dabei.

Vor allem für die Kleinsten zwischen zwei und vier Jahren bestehe ein erhöhtes Risiko. Deshalb wird die Ausstattun­g von Fenstern und Balkontüre­n mit versperrba­ren Sicherunge­n mit Nachdruck empfohlen. Für Eltern, deren Kinder bei Unfällen schwer verletzt worden oder gar gestorben sind, beginnt nach der Katastroph­e meist nicht nur ein öffentlich­er Spießruten­lauf. Zusätzlich zu all dem Schmerz werden sie auch noch gerichtlic­h belangt – von der Verletzung der Aufsichtsp­flicht bis hin zur fahrlässig­en Tötung.

Für die Mitarbeite­r des psychologi­schen Dienstes im Jugendamt ist es vorrangig, die Betroffene­n zuerst emotional zu stabilisie­ren. „Wir schauen, wie es den Eltern und Geschwiste­rn geht, was sie brauchen, wie sich die Wohnsituat­ion darstellt und wie sie miteinande­r umgehen“, erklärt Staffa. Eindeutige Fälle seien selten: „Es gibt immer ein Bündel an Ursachen.“

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