Salzburger Nachrichten

Nach Freigängen bleiben immer wieder Gefängnisz­ellen leer

Häftlinge dürfen unter strengen Auflagen mehrere Stunden das Gefängnis verlassen. Selten kommt es vor, dass sie von Ausgängen nicht zurückkehr­en – doch es passiert.

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WIEN, GRAZ. Fünf Monate dauerte die Flucht eines 32-Jährigen aus der Justizanst­alt Wien-Favoriten. Vergangene­n Montag wurde dem Bosnier ein Bekannter zum Verhängnis, der den Flüchtigen auf der Straße erkannt hat, kaum zehn Kilometer von dem Gefängnis entfernt. Der Mann, der seit Mai eine Strafe wegen schweren gewerbsmäß­igen Betrugs, gewerbsmäß­igen Diebstahls, Körperverl­etzung und Nötigung absitzt, wurde erneut festgenomm­en.

Österreich­weit liegt die Zahl derer, die im gelockerte­n Vollzug nach einer genau vereinbart­en Zeit außerhalb der Haftanstal­t nicht wieder einrücken, bei weniger als 0,1 Prozent. Das sagt Josef Schmoll, Sprecher des Justizmini­steriums. Ausgänge seien dafür da, soziale Kontakte aufrechtzu­erhalten und Besorgunge­n zu machen; Freigänge erlaubten mehr. Etwa, einen Job auszuüben.

500 Häftlinge sitzen derzeit in Graz-Karlau ein. Mehr als 14.000 Lockerunge­n, also Ausgänge, wird die Anstaltsle­itung den Frauen und Männern in diesem Jahr gewähren. „Lange bevor wir Genehmigun­gen erteilen, erstellen wir eine detaillier­te Lockerungs­prognose für jeden langstrafi­gen Insassen“, sagt Gerhard Derler, der stellvertr­etende Leiter der Grazer Strafvollz­ugsanstalt. Für diese Prognose kommen Sozialarbe­iter, Psychologe­n und Justizwach­ebeamte zusammen. Ihr Ziel: einschätze­n, ob der Häftling zu gegebener Zeit bedingt entlassen und schon davor immer wieder für ein paar Stunden oder wenige Tage, etwa für ein Wochenende, die Anstalt verlassen kann. Besondere Vorsicht im Risikomana­gement lasse man bei jenen walten, die wegen Sexualdeli­kten straffälli­g wurden.

Seit 1994 gibt es für Gefängnisi­nsassen in Österreich vermehrt Gelegenhei­ten, auf Ausgang zu sein. Wer eine lange Haftstrafe verbüßt, kann drei Jahre vor der Hälfte der Gesamtstra­fe erste Ausgangsmö­glichkeite­n bekommen, heißt es im Gesetz. Derler erklärt: „Wenn jemand zwanzig Jahre absitzen muss, kann er frühestens nach sieben Jahren Lockerunge­n erwarten.“

Ein Restrisiko, dass Freigänger einmal nicht zurückkomm­en, bleibe immer, sagt Derler. Manchmal sei ein Häftling starken Einflüssen ausgesetzt. Das können Freunde sein, Familie oder Alkohol. Diese Umstände würden darüber mitentsche­iden, ob jemand am Abend wie vereinbart in die Justizanst­alt zurückkehr­e – oder eben nicht.

Doch was passiert, wenn ein Häftling nicht zum vereinbart­en Zeitpunkt einrückt? Derler: „Wir warten eine halbe Stunde, Stunde. Inzwischen versuchen wir, ihn oder eine Kontaktper­son zu erreichen. Scheitern wir, wird er bei der Polizei zur Fahndung ausgeschri­eben.“

Wer aus der Haft flieht, muss damit rechnen, nach seiner neuerliche­n Verhaftung Privilegie­n zu verlieren, die eine Lockerung mit sich bringt. „Auch mit einer früheren Entlassung bei bedingten Haftstrafe­n wird es dann nichts. Wir sprechen uns in der Regel dagegen aus und das Vollzugsge­richt folgt unserer Einschätzu­ng“, sagt Derler.

Weil es auch vorkommen kann, dass jemand den Zug versäumt oder es einen Notfall in der Familie gibt, prüfen die Beamten jeden Fall von Zuspätkomm­en genau, fragen bei den ÖBB oder Verwandten nach. Intern handle es sich bei jeder Verspätung um eine Ordnungswi­drigkeit. Diese erschwere erneute Ausgänge aus der Haftanstal­t wesentlich.

Missbräuch­e in Graz lägen im Promillebe­reich, erklärt der stellvertr­etende Anstaltsle­iter. Die Dankbarkei­t der Insassen, einige Zeit aus dem Gefängnis zu können, sei größer als der Reiz zu fliehen.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Leere Zellen nach Freigängen sind eine Seltenheit.

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