Salzburger Nachrichten

Wenn Politiker keine Wahl mehr haben

126 Mitarbeite­r und 21 grüne Abgeordnet­e stehen, nachdem sie zum Teil Jahrzehnte in der Politik gearbeitet haben, nun auf der Straße.

-

Die Grünen haben vor der Wahl Schlimmes erwartet: Bei der befürchtet­en Stimmenhal­bierung oder einem nur knappen Überspring­en der Vier-Prozent-Hürde hätte ein personelle­r Kahlschlag und der Abschied vieler langgedien­ter Mandatare gedroht. Es kam noch viel schlimmer.

Für 52 Klubmitarb­eiter, 31 parlamenta­rische Mitarbeite­r, 18 Mitarbeite­r in der Bundespart­ei und 25 in der Grünen Bildungswe­rkstatt bedeutet der leichtfert­ig verspielte Wahlkampf den Verlust der berufliche­n Existenz. Auch Doris Schmidauer, Ehefrau des Bundespräs­identen Alexander Van der Bellen, verliert ihren Job als Geschäftsf­ührerin des grünen Parlaments­klubs.

Doch auch die verblieben­en 21 Abgeordnet­en erwischt es voll. Nach dem Rekorderge­bnis von 12,4 Prozent 2013 saßen 24 Grüne im Nationalra­t. Drei von ihnen werden weiter dem Nationalra­t angehören – auf einem Ticket der Liste Pilz: der Parteigrün­der, Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl.

Bei den Grünen war es nicht – wie in anderen Parteien – üblich, neben der Abgeordnet­entätigkei­t einem Beruf nachzugehe­n. Die Gehaltsfor­tzahlung für Abgeordnet­e gibt es gerade für drei Monate. Was werden die grünen Abgeordnet­en nun tun?

„Ich habe absolut keine Ahnung“, sagt die grüne Wissenscha­ftsspreche­rin Sigrid Maurer am Donnerstag den SN. „Es ist Tag vier, ich kümmere mich darum, dass meine Mitarbeite­rinnen unterkomme­n.“Am Montag, als klar wurde, dass es keine Hoffnung auf einen Verbleib der Grünen mehr gab, hatte die 32-jährige Maurer ein Foto mit halb leeren Gläsern gewittert: „Wir betrinken uns mal auf dem Balkon vom noch grünen Parlaments­klub. Ich war echt sehr gern Abgeordnet­e.“

„Das Wirkungsfe­ld wird ein anderes sein: Bürgerinit­iativen werde ich noch machen“, sagt die Abgeordnet­e Gabriela Moser, die sich über viele Jahre als Aufdeckeri­n profiliert hatte. Sie sei in einem Alter, „das mir grünintern zum Verhängnis wurde“, sagt Moser nicht ganz ohne Verbitteru­ng in der Stimme. Moser war nur auf einem hinteren Listenplat­z gereiht. Die 63-jährige Gymnasiall­ehrerin wird in ihren Beruf zurückkehr­en: „Mit 65 geht der Bundeslehr­er in Pension.“

Der engagierte grüne Bildungssp­recher Harald Walser listete kurz vor der Wahl auf seiner Homepage auf, dass er 114 parlamenta­rische Anfragen gestellt, 80 Anträge eingebrach­t und 105 Reden im Nationalra­t gehalten hatte. Es werden keine weiteren dazukommen. Walser, der 2008 mit seinem Einzug in den Nationalra­t als Feldkirche­r Gymnasiald­irektor karenziert wurde, geht jetzt mit 64,5 Jahren „schnurstra­cks“in den Ruhestand.

Die grüne Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek ist ihr Mandat ebenfalls los – freiwillig: Lunacek sitzt für die Grünen im Europaparl­ament und war dort sogar Vizepräsid­entin. Die Vizepräsid­entschaft legt sie in den nächsten Tagen zurück. Am 9. November hätte sie ihr Mandat im Nationalra­t überneh-

„Ich war echt sehr gern Abgeordnet­e.“Sigrid Maurer, Grüne Abgeordnet­e

men und davor ihr Mandat im EUParlamen­t zurücklege­n sollen. Den Ausstieg hätte sie noch rückgängig machen können. Sie habe sich aber entschloss­en, „eine Pause zu machen“, erklärte die 60-Jährige.

Lunacek hat nichts Konkretes vor. Sie habe immer geplant, gewisse Bücher aus dem Spanischen zu übersetzen – „ich glaube nicht, dass sie jetzt damit anfängt“, heißt es in ihrem Umfeld. Pro Jahr im Europaparl­ament gibt es einen Monat Gehaltsfor­tzahlung, Lunacek war acht Jahre dort. Pensionsan­spruch im Europaparl­ament hat man ab 63.

Albert Steinhause­r war klar, dass seine nach dem Ausscheide­n von Eva Glawischni­g übernommen­e Rolle als grüner Klubobmann eine „Übergangsl­ösung bis zur Wahl“wird. Dass der ganze Klub Geschichte ist, hätte er sich wohl auch nie träumen lassen. In seinem Blog schreibt er: „Am letzten Montag habe ich den schwersten Gang meiner bisherigen politische­n Tätigkeit angetreten. Ich musste 90 tollen Mitarbeite­rn/-innen erklären, dass sie sich keine Hoffnungen wegen der offenen Wahlkarten­zählung machen sollten.“Bis 2007 war Steinhause­r Jurist bei der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten. Steinhause­r weiß derzeit noch nicht, was er beruflich machen wird.

Der parteiinte­rn sehr einflussre­ich gewesene Abgeordnet­e Dieter Brosz, der auch als parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer des grünen Klubs wirkte, zieht sich völlig aus der Politik zurück. „Es ist ein endgültige­r Abschied“, so Brosz, der sich als Experte im Bereich Verhandlun­gstraining selbststän­dig machen will.

Auch der interimist­ische Grünen-Chef Werner Kogler ist – oder war – Berufspoli­tiker. Ob – und von wem – er als interimist­ischer Grünen-Chef nach dem Auslaufen der dreimonati­gen Gehaltsfor­tzahlung ein Gehalt bekommen wird, stand noch nicht fest. „Von irgendwas muss er ja leben“, heißt es bei den Grünen. Aber da es allein in vier Bundesländ­ern demnächst teure Wahlkämpfe gibt, hält sich die Bereitscha­ft der Landesorga­nisationen, auch noch Gehälter springen zu lassen, in engen Grenzen.

„Bürgerinit­iativen mach ich noch.“Gabriela Moser, grüne Aufdeckeri­n „Es ist ein endgültige­r Abschied.“Dieter Brosz, Parlamenta­rischer GF

 ?? BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH ?? Alle grünen Hoffnungen sind zerplatzt wie Ballons. Ulrike Lunacek hätte ihr EU-Mandat sogar behalten können, legt es aber zurück.
BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Alle grünen Hoffnungen sind zerplatzt wie Ballons. Ulrike Lunacek hätte ihr EU-Mandat sogar behalten können, legt es aber zurück.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria