Beim Brexit bewegt sich etwas
Die EU-Staats- und -Regierungschefs geben den Briten einen kleinen Vertrauensvorschuss und senden eine unmissverständliche Warnung an die Türkei.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben der politisch angeschlagenen britischen Premierministerin Theresa May beim Gipfeltreffen gestern, Freitag, einen Vertrauensvorschuss gegeben. Obwohl der Fortschritt bei den BrexitVerhandlungen in den zentralen Scheidungsfragen (Bürgerrechte, Finanzen, Nordirland) bisher „nicht ausreichend“ist, um über die künftigen Beziehungen zu reden, wurde in der Schlusserklärung festgehalten, dass EU-intern die Vorbereitungen auf Phase zwei bereits beginnen sollten. Dies schließt einen möglichen Übergangszeitraum nach dem Austritt im März 2019 ein, den May vorgeschlagen hatte. Sollten die EU-Chefs beim nächsten Treffen im Dezember grünes Licht geben, würden die Gespräche über ein künftiges Handelsabkommen rasch vorangetrieben werden.
Bundeskanzler Christian Kern, der den Gipfel vorzeitig verlassen hat, hält eine Einigung absolut für möglich. „An sich ist noch genug Zeit. Ich denke, die Briten werden beim Reflexionsprozess weiterkommen“, sagte Kern. Es gebe eine langsame Annäherung, vor allem was die Summen betrifft, aber nicht genug. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, die Zusage Mays, die finanziellen Verpflichtungen einzuhalten, müsse präzisiert werden: „Ich glaube, dass sehr klar ist, was da noch zu ergänzen ist.“
Die Chance, dass Österreich eine der beiden EU-Agenturen, die aus London absiedeln müssen, an Land ziehen wird, sieht Kern „intakt, überbordend allerdings nicht“. Entschieden wird über den neuen Sitz der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und der EU-Bankenaufsicht (EBA) am 20 November bei einem Treffen der Europaminister. Dazu wurde eigens ein kompliziertes Abstimmungsverfahren entwickelt.
Auf dem EU-Gipfel wurde im Hintergrund dementsprechend um Bündnispartner gebuhlt. Was nicht einfach ist, weil sich um den Sitz der EMA – eine der größten EU-Agenturen mit mehr als 900 Mitarbeitern – 19 Städte beworben haben und um die kleinere EBA acht. Wien kämpft um beide. „Ich würde behaupten, dass es noch keinem gelungen ist, eine stabile Allianz zu schmieden“, sagte Kern. Die großen Länder seien alle noch unentschieden. Entsprechend unklar ist, wohin die Agenturen übersiedeln werden.
Die EU-Kommission hat Ende September die Bewerbungen nach Kriterien bewertet, aber keine Reihung vorgenommen. Wien bekam Abzüge u. a. wegen nicht ausreichender internationaler Schulplätze. „Wir waren mit der Bewertung nicht zufrieden und haben auch unser Unverständnis bei der Kommission deponiert“, sagte Kern.
Ein Warnsignal haben die EUStaatsund Regierungschefs angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtslage an die Türkei gesandt: Beim Abendessen verständigten sie sich auf eine Kürzung der Vorbeitrittshilfen. Im EU-Budget sind für Ankara knapp 4,5 Mrd. Euro für die Jahre von 2014 bis 2020 vorgesehen. Vergeben sind 370 Mill. Euro, davon ausgezahlt 258 Mill. Euro. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn soll nun Vorschläge für Umschichtungen machen. Mittel zur Stärkung der Zivilgesellschaft sollen dabei nicht angetastet werden. Die EU-Gelder ganz zu streichen oder in Flüchtlingshilfen umzuwandeln, das ist rechtlich nicht möglich, solange die Beitrittsgespräche laufen. Für einen Stopp der Verhandlungen, den zuletzt auch Merkel gefordert hat, gibt es bisher keinen Konsens. Die Skepsis beim Thema Beitritt sei aber „sichtbar“gewesen, sagte Ratspräsident Donald Tusk.