Salzburger Nachrichten

Turmbau zu München

- Inge Baldinger

ICHwar in Jugendjahr­en allergisch auf manche Formulieru­ng meiner Mutter. Eine lautete: „Man muss es nur erwarten können.“Sie wurde mir immer dann an den Kopf geworfen, wenn nichts so lief, wie ich erhofft oder erwartet hatte. Und da ich damals das Gefühl hatte, dass grundsätzl­ich nichts so lief, wie ich’s gern hätte, hatte meine Mutter ausgiebig Gelegenhei­t, dieses Sätzchen in mein Hirn zu stanzen.

Der größte meiner Jugendträu­me war, nach der Matura ein paar Monate oder vielleicht sogar ein Jahr ins Ausland zu gehen, vorzugswei­se nach Italien, am liebsten nach Rom. Um die Sprache zu lernen. Ich bereitete meine Mutter lange darauf vor. Anfangs wurde mein Ansinnen rundweg als unverfrore­n abgelehnt. Später gab es Erklärunge­n für die Ablehnung, genauer: eindringli­che Warnungen vor den heißblütig­en Italienern, die allen Mädchen den Kopf verdrehen und sie dann sitzen lassen. Schließlic­h verlegte sich meine Mutter auf eine Formulieru­ng, die mich mit jeder Wiederholu­ng mehr zur Weißglut brachte. Sie lautete: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“

Was soll ich sagen. Es kam anders. Und zwar in Gestalt eines Babys, das durchaus nichts mit einem von meiner Mutter so gefürchtet­en heißblütig­en Italiener zu tun hatte, all meine Jugendträu­me aber nichtsdest­otrotz so blitzartig über den Haufen warf, wie die Türme, die ich wenig später aus Würfeln und Bechern für das Knäblein baute. Seither sind dreieinhal­b Jahrzehnte vergangen. Und jetzt kommt’s: Demnächst gehe ich völlig unverhofft für ein paar Monate ins Ausland. Zwar nicht nach Rom, sondern nach München. Aber wurscht.

Interessan­t ist, dass bei der so späten wie überrasche­nden Erfüllung meines Jugendwuns­ches ebenfalls ein Baby die Hauptrolle spielt, diesmal das Enkelkind. Meine Tochter muss beruflich einige Monate nach München. Da sie sich das nicht ohne ihr derzeit im Turmzerstö­r-Stadium befindlich­es Töchterlei­n vorstellen kann, übersiedel­n wir nun zu dritt. Und ich lerne halt Bairisch und baue dort – hoffentlic­h zum Gaudium der Kleinen – Türme.

Hat meine Mutter also doppelt recht gehabt: Man muss es nur erwarten können. Und erstens kommt es ...

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