Turmbau zu München
ICHwar in Jugendjahren allergisch auf manche Formulierung meiner Mutter. Eine lautete: „Man muss es nur erwarten können.“Sie wurde mir immer dann an den Kopf geworfen, wenn nichts so lief, wie ich erhofft oder erwartet hatte. Und da ich damals das Gefühl hatte, dass grundsätzlich nichts so lief, wie ich’s gern hätte, hatte meine Mutter ausgiebig Gelegenheit, dieses Sätzchen in mein Hirn zu stanzen.
Der größte meiner Jugendträume war, nach der Matura ein paar Monate oder vielleicht sogar ein Jahr ins Ausland zu gehen, vorzugsweise nach Italien, am liebsten nach Rom. Um die Sprache zu lernen. Ich bereitete meine Mutter lange darauf vor. Anfangs wurde mein Ansinnen rundweg als unverfroren abgelehnt. Später gab es Erklärungen für die Ablehnung, genauer: eindringliche Warnungen vor den heißblütigen Italienern, die allen Mädchen den Kopf verdrehen und sie dann sitzen lassen. Schließlich verlegte sich meine Mutter auf eine Formulierung, die mich mit jeder Wiederholung mehr zur Weißglut brachte. Sie lautete: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“
Was soll ich sagen. Es kam anders. Und zwar in Gestalt eines Babys, das durchaus nichts mit einem von meiner Mutter so gefürchteten heißblütigen Italiener zu tun hatte, all meine Jugendträume aber nichtsdestotrotz so blitzartig über den Haufen warf, wie die Türme, die ich wenig später aus Würfeln und Bechern für das Knäblein baute. Seither sind dreieinhalb Jahrzehnte vergangen. Und jetzt kommt’s: Demnächst gehe ich völlig unverhofft für ein paar Monate ins Ausland. Zwar nicht nach Rom, sondern nach München. Aber wurscht.
Interessant ist, dass bei der so späten wie überraschenden Erfüllung meines Jugendwunsches ebenfalls ein Baby die Hauptrolle spielt, diesmal das Enkelkind. Meine Tochter muss beruflich einige Monate nach München. Da sie sich das nicht ohne ihr derzeit im Turmzerstör-Stadium befindliches Töchterlein vorstellen kann, übersiedeln wir nun zu dritt. Und ich lerne halt Bairisch und baue dort – hoffentlich zum Gaudium der Kleinen – Türme.
Hat meine Mutter also doppelt recht gehabt: Man muss es nur erwarten können. Und erstens kommt es ...