„Miete ist eine Beleidigung“
Das Thema „günstiges Wohnen“wird überall anders angegangen. In Warschau beispielsweise spielt Eigentum eine viel größere Rolle als hierzulande.
Es gibt mehrere Pakte in der Millionenstadt Warschau, wenn es ums Thema Wohnen geht. Da ist zum einen der aktuelle Versuch der Stadtregierung, Menschen mit geringerem Einkommen adäquaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das passiert einerseits über kommunale Wohnungen, andererseits über „Vereine“, sogenannte TBS, die ebenfalls der Stadt gehören, aber auf privatrechtlicher Basis Wohnungen errichten.
Und da ist zum anderen ein ungeschriebener Pakt, mit dem die polnische Regierung vor Jahren ihren Bürgern Abertausende Wohnungen fast zum Nulltarif überlassen hat, und zwar im Eigentum. Mietern wurde das Angebot gemacht, ihre Wohnungen mit einem Preisabschlag von bis zu 90 Prozent zu erwerben. Ein Geschenk sozusagen und ganz vom Bestreben der meisten Polen geleitet, lieber im Eigentum zu wohnen. „In Miete zu leben ist bei uns fast eine Beleidigung“, sagt Szymon Rosiak vom polnischen Verband der Wohnungsgenossenschaften: „Eigentum wird geradezu angebetet.“ Rosiak berichtete bei einer Fachtagung in Warschau Journalisten und Vertretern des österreichischen „Vereins für Wohnbauförderung“von den aktuellen Gegebenheiten in Warschau. Laut dem Experten wurden in Polen seit 2007 zwischen 1,0 und 1,5 Millionen Wohnungen auf diese Weise verkauft. Das habe vielfach dazu geführt, dass die Käufer ihre Wohnungen um teils das Zehnfache weiterverkauft haben.
Das Problem, Wohnungen für Schlechtverdienende bereitzustellen, ist dadurch in keiner Weise gelöst. Das Warschauer Stadtamt hat dafür ein Programm für Sozialwohnungen entworfen. Allerdings ist deren Anteil gering, nur 0,7 Prozent aller 2016 fertiggestellten Wohnungen entfielen auf diesen Sektor. 2008 lag der Anteil bei 1,7 Prozent. Der Status quo: 49 Prozent der Wohnungen in Warschau gehören Privaten, 27 Prozent den Genossenschaften, 15 Prozent sind Einfamilienhäuser und neun Prozent gehören der Stadt. Während also ärmere Schichten nicht wissen, wo sie wohnen können, entstehen gleichzeitig sogenannte Gated Communities für Reiche, also eingezäunte und bewachte Stadtviertel wie die „Marina Mokotów“.