Salzburger Nachrichten

Tschechien verspielt das Erbe von Václav Havel

Am Ende eines schwierige­n Wahljahres bedeutet der Ausgang der politische­n Abstimmung in Tschechien einen Dämpfer für die EU.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

In der Tschechisc­hen Republik haben die proeuropäi­schen Parteien der Mitte jetzt massiv verloren. Dagegen spüren Europaskep­tiker und Rechtspopu­listen viel Aufwind. Anderswo haben Wirtschaft­skrise und soziale Misere die populistis­chen Parteien stark gemacht. Davon kann in Tschechien nicht die Rede sein. Die Wirtschaft des Landes läuft gut, auch dank der Impulse des deutschen Nachbarn. Tschechien hat mit knapp drei Prozent die niedrigste Arbeitslos­enrate aller EU-Länder. Viele Unternehme­n suchen verzweifel­t Fachkräfte. Die Löhne steigen kräftig.

Dass fast zwei Drittel der Wähler gegen die politische Elite und ihren Europakurs gestimmt haben, muss andere Gründe haben. Zum einen sind die Bürger der Korruption­sskandale überdrüssi­g, in die Konservati­ve wie Sozialdemo­kraten verstrickt waren. Zum anderen gibt es in Tschechien großes Misstrauen gegen die europäisch­e Politik. Präsidente­n wie Václav Klaus oder Miloš Zeman haben mit Agitation gegen Brüssel diese Antistimmu­ng geschürt. Mit der Flüchtling­skrise hat sie einen Höhepunkt erreicht.

Tschechien­s Wahlsieger Andrej Babiš hat als Populist par excellence von dieser Gefühlslag­e profitiert. Darüber, dass ein Antipoliti­ker wie er derart triumphier­t, darf man sich dennoch wundern. Als Bollwerk gegen das herrschend­e System präsentier­t Babiš seine Partei ANO, obwohl diese „Aktion unzufriede­ner Bürger“jetzt selbst fast vier Jahre lang Regierungs­verantwort­ung getragen hat. Als Barrikaden­kämpfer gegen das „Establishm­ent“stilisiert sich Babiš mit seiner simplen Parole „Wir sind keine Politiker“, obschon der Ex-Finanzmini­ster und Unternehme­r selbst seit Langem zu den Privilegie­rten zählt.

Über diese und noch viel größere Widersprüc­he sieht eine in Wut geratene Wählerscha­ft hinweg. Dass Babiš kein konsistent­es Programm hat, sondern sein Fähnchen nach dem Wind hängt, erscheint als Kleinigkei­t. Dass er die Rolle des Parlaments abwertet und dem kaum demokratie­kompatible­n Grundsatz folgt, den Staat wie eine Firma zu führen, schadet ihm nicht. Nicht einmal Ermittlung­en wegen Steuer- und Subvention­sbetrugs vermögen ihn zu stoppen. Ebenso wenig die Tatsache, dass er wie Silvio Berlusconi politische, wirtschaft­liche und mediale Macht ballt und so Interessen­konflikte erzeugt.

Puren Eigennutz predigt mit Mitteln der Propaganda einer wie Babiš. Verkommen ist das Erbe von Václav Havel, der auf die Wahrheit gepocht, Europa propagiert und eine moralische Politik jenseits von Parteiinte­ressen und Marktideol­ogie verfochten hat.

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