Tschechien verspielt das Erbe von Václav Havel
Am Ende eines schwierigen Wahljahres bedeutet der Ausgang der politischen Abstimmung in Tschechien einen Dämpfer für die EU.
In der Tschechischen Republik haben die proeuropäischen Parteien der Mitte jetzt massiv verloren. Dagegen spüren Europaskeptiker und Rechtspopulisten viel Aufwind. Anderswo haben Wirtschaftskrise und soziale Misere die populistischen Parteien stark gemacht. Davon kann in Tschechien nicht die Rede sein. Die Wirtschaft des Landes läuft gut, auch dank der Impulse des deutschen Nachbarn. Tschechien hat mit knapp drei Prozent die niedrigste Arbeitslosenrate aller EU-Länder. Viele Unternehmen suchen verzweifelt Fachkräfte. Die Löhne steigen kräftig.
Dass fast zwei Drittel der Wähler gegen die politische Elite und ihren Europakurs gestimmt haben, muss andere Gründe haben. Zum einen sind die Bürger der Korruptionsskandale überdrüssig, in die Konservative wie Sozialdemokraten verstrickt waren. Zum anderen gibt es in Tschechien großes Misstrauen gegen die europäische Politik. Präsidenten wie Václav Klaus oder Miloš Zeman haben mit Agitation gegen Brüssel diese Antistimmung geschürt. Mit der Flüchtlingskrise hat sie einen Höhepunkt erreicht.
Tschechiens Wahlsieger Andrej Babiš hat als Populist par excellence von dieser Gefühlslage profitiert. Darüber, dass ein Antipolitiker wie er derart triumphiert, darf man sich dennoch wundern. Als Bollwerk gegen das herrschende System präsentiert Babiš seine Partei ANO, obwohl diese „Aktion unzufriedener Bürger“jetzt selbst fast vier Jahre lang Regierungsverantwortung getragen hat. Als Barrikadenkämpfer gegen das „Establishment“stilisiert sich Babiš mit seiner simplen Parole „Wir sind keine Politiker“, obschon der Ex-Finanzminister und Unternehmer selbst seit Langem zu den Privilegierten zählt.
Über diese und noch viel größere Widersprüche sieht eine in Wut geratene Wählerschaft hinweg. Dass Babiš kein konsistentes Programm hat, sondern sein Fähnchen nach dem Wind hängt, erscheint als Kleinigkeit. Dass er die Rolle des Parlaments abwertet und dem kaum demokratiekompatiblen Grundsatz folgt, den Staat wie eine Firma zu führen, schadet ihm nicht. Nicht einmal Ermittlungen wegen Steuer- und Subventionsbetrugs vermögen ihn zu stoppen. Ebenso wenig die Tatsache, dass er wie Silvio Berlusconi politische, wirtschaftliche und mediale Macht ballt und so Interessenkonflikte erzeugt.
Puren Eigennutz predigt mit Mitteln der Propaganda einer wie Babiš. Verkommen ist das Erbe von Václav Havel, der auf die Wahrheit gepocht, Europa propagiert und eine moralische Politik jenseits von Parteiinteressen und Marktideologie verfochten hat.