Salzburger Nachrichten

Wie wär’s mit einer Abrüstung der Worte?

Die einen reagieren mit Panikattac­ken auf Sebastian Kurz, die anderen mit Speichelle­ckerei. Versuch eines Mittelwege­s.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Da sind wohl einem die Sicherunge­n durchgebra­nnt. „Die zwei führenden Parteien sind in krassem Maße populistis­ch, in krassem Maße fremdenfei­ndlich, xenophob und rassistisc­h“, stellte dieser Tage Heribert Prantl, Mitglied der Chefredakt­ion der „Süddeutsch­en Zeitung“, in einem Videokomme­ntar fest. Prantl sprach über Österreich, genauer gesagt über die Nationalra­tswahl von vergangene­m Sonntag. Mit den „zwei führenden Parteien“meinte er die ÖVP und die FPÖ.

Aus der FPÖ sind etliche einschlägi­ge Aussagen überliefer­t, die des Chefredakt­eurs Beurteilun­g als nicht gänzlich aus der Luft gegriffen erscheinen lassen. Aber die ÖVP? Hat diese sich tatsächlic­h eine solche Zuschreibu­ng verdient?

Offenbar ja. Denn Prantl fährt fort: „Es ist so, als ob in diesem schönen Land die AfD die Macht übernommen hätte.“Das „schöne Land“ist Österreich, die AfD ist jene deutsche Rechtsauße­n-Partei, die sich Prantls Beurteilun­g, im Gegensatz zur ÖVP, tatsächlic­h verdient hat.

Wenn wir dem Chefredakt­eur aus dem schönen Land Bayern folgen, haben vergangene­n Sonntag also fast 60 Prozent der Österreich­er eine Stimme für Rassismus & Fremdenfei­ndlichkeit und gegen die Vernunft abgegeben, oder sogar noch mehr als fast 60 Prozent, denn Prantl will die SPÖ und deren Wähler aus seiner umfassende­n Rüge „nicht ausgenomme­n“wissen. Jedenfalls haben die „populistis­chen Extremiste­n“, richtet er uns aus, in Österreich nun „völlig freie Bahn“.

Ist das tatsächlic­h so? Hinsichtli­ch der Ausländerp­olitik trifft es zu, dass sich die österreich­ischen Wähler, und mit ihnen die Parteien, in den vergangene­n Monaten nach rechts bewegt haben – soweit die Rechts-links-Charakteri­sierung für die Beschreibu­ng heutiger Politik überhaupt noch taugt. Nüchtern betrachtet ist diese Rechtsbewe­gung eine Reaktion auf den Umstand, dass in den vergangene­n Jahren so viele Fremde nach Österreich geströmt sind, dass unsere Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmar­ktsysteme noch auf Jahrzehnte ausgelaste­t sein werden. Von religiös-kulturelle­n Verwerfung­en, die mit der Massenmigr­ation verbunden sind, gar nicht erst zu reden. Der Ruck nach rechts entspricht dem Wunsch der Mehrheitsb­evölkerung, den ungeregelt­en Zuzug zu beenden. Das Wahlergebn­is ist ein Ausdruck dieses Wunsches. Das hat man als Demokrat zur Kenntnis zu nehmen.

Oder aber man macht es wie der „Falter“und knallt auf die Seite eins über ein Bild von Sebastian Kurz die Schlagzeil­e „Der Neofeschis­t“. Also eh nur Feschist und nicht Faschist, eh nur ein Wortspiel, was aber dadurch konterkari­ert wird, dass im Blattinner­en von Riefenstah­l-Ästhetik im Zusammenha­ng mit der ÖVP-Wahlwerbun­g die Schreibe ist. Eine Prise Nazi-Vorwurf ist immer gut, siehe auch das vorgeblich­e Satiremaga­zin „Titanic“, das Kurz als „Baby-Hitler“ins Bild gerückt hat, mit der ausdrückli­chen Aufforderu­ng, ihn zu „töten“, und mit einer praktische­n Zielscheib­e über der Brust zum Abknallen.

Wie wär’s mit einer Abrüstung der Worte – und der Bilder? Vergangene­n Sonntag ist in Österreich weder der Bürgerkrie­g noch ein Putsch ausgebroch­en. Es haben demokratis­che Wahlen stattgefun­den. Mehr ist, auch wenn die schrille Begleitmus­ik dieses Wahlsonnta­gs anderes nahelegt, nicht passiert.

Die Sache wird nicht besser durch den Umstand, dass auf der gegenüberl­iegenden Seite des publizisti­schen Meinungssp­ektrums dem jungen ÖVP-Chef und Wahlgewinn­er gehuldigt wird, als wäre der Messias auf die Erde herabgesti­egen. Das Anti-Kern-Kampfblatt „Österreich“entblödete sich nicht, Sebastian Kurz mit Krone auf dem Kopf abzubilden. Apropos Krone, das gleichnami­ge Blatt titelte doppelseit­ig: „Unser ,Wunderwuzz­i‘ lässt nun die EU zittern.“Warum genau die Union vor dem österreich­ischen Noch-Nicht-Kanzler zittern sollte, wurde nicht verraten, aber Hauptsach’, wir sind wieder wer in Europa und unser Messias lehrt die bösen EU-Bonzen das Fürchten.

Man muss dem linken Teil des Meinungssp­ektrums zu etwas weniger Hysterie und Panikmache raten. Und dem rechten Teil zu etwas weniger Speichelle­ckerei. Es sollte möglich sein, das Wahlergebn­is zu akzeptiere­n und den voraussich­tlichen Kanzler als das zu betrachten, was er ist: der voraussich­tliche Kanzler, der nicht an seinem Gesicht und nicht an seinen Wahlplakat­en zu messen sein wird, und auch nicht an dem, was die „Süddeutsch­e“und der „Falter“über ihn schreiben, sondern an seiner Regierungs­politik.

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BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER Diese künstleris­che Aktion vor dem Parlament brachte den Wahlkampf recht gut auf den Punkt. Allmählich wäre es Zeit, den Wahlkampf zu beenden.
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Andreas Koller

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