Schweigsame Männer in der Fremde
Valeska Grisebach, bei der Viennale mit einem „Special Program“geehrt, legt mit ihrem neuen Film „Western“ein Meisterwerk vor.
Da steht ein weißes Pferd im sonnenflirrenden Dickicht, schnaubt sanft. Er (gespielt von Meinhard Neumann) wird das Tier zähmen, der Film heißt schließlich „Western“. Die Regisseurin ist Valeska Grisebach, geboren 1968 in Bremen. Es ist ihr dritter Langfilm, und es ist ein Meisterwerk: Eine Gruppe deutscher Bauarbeiter soll im Süden Bulgariens ein Wasserkraftwerk bauen, doch es gibt kaum Wasser, der Kies wird nicht geliefert, die Leute aus der Gegend sind feindselig. Die Etablierung einer Hierarchie, das Ausbrechen des Protagonisten Meinhard, der Kontakt mit den bulgarischen Dorfbewohnern, all das folgt einer Westerndramaturgie zwischen „Siedlern“und „Indianern“, und Grisebach transponiert diese Motive mit Klarsicht in die europäische Gegenwart. Bei der Viennale ist der Film Herzstück eines „Special Program“zu Ehren der Regisseurin, das ihr bisheriges Gesamtwerk im Kontext wichtiger Bezugsfilme zeigt, darunter „The Gunfighter“von Henry King (1950). „Western“ist nominiert für den LUX-Filmpreis des Europäischen Parlaments. SN: Warum heißt dieser Film denn „Western“, wenn diese Männer doch aus Deutschland nach Bulgarien reisen? Valeska Grisebach: Am Anfang stand meine Faszination für das Westerngenre, die schon in meiner Kindheit begonnen hat, und die ich wahrscheinlich mit einer ganzen Generation teile. Ich wollte dem einmal auf die Schliche kommen, diesen einsamen männlichen Helden, die auf der Suche nach etwas sind, ob das Freiheit und Unabhängigkeit ist oder dann doch vielleicht ein Zuhause, wo sie ankommen können. Es gibt da ja auch das melancholische Moment der Sehnsucht nach dem Dorf und einer Türschwelle, an der eine Frau wartet. Aber welches Gesetz gilt in dieser Dorfgesellschaft, das des Mitgefühls oder doch das Recht des Stärkeren? Obwohl der Western per se ein amerikanisches Genre ist, tragen wir das als Europäer doch auch in uns, und deswegen fand ich es gut, diesen Titel als Assoziationspunkt vorn hinzusetzen.
„Deutsche und Bulgaren sind sich ähnlich.“
SN: Ein wesentlicher Teil des Westernhaften, das Ihren Film kennzeichnet, ist die Physis Ihres Hauptdarstellers Meinhard Neumann. Ja, es war fast wie ein Schock, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hab, auf einem Pferdemarkt in der Nähe von Hafeberg. Er sieht aus wie so eine Filmikone, als wär er aus einem alten Western rausspaziert und könnte in unseren Film reinspazieren, mit diesem Gesicht, und das passt auch alles zu seiner persönlichen Geschichte. SN: Wie haben Sie Ihre Laiendarsteller gefunden? Ich hab auf der Straße Männer nach dem Westernmoment in ihrem Leben gefragt, und da bekam ich ziemlichen Zuspruch. Das Duell ist vielen etwas sehr Vertrautes, dieser Moment, an dem es kein Zurück gibt, an dem man weiß, jetzt geht’s gleich zur Sache. Ein Duell oder ein Konflikt hat natürlich auch immer etwas mit Beziehung und Intimität zu tun und ist auch ein sehr lebendiger Moment. Es gibt Leute, die können nur mit anderen in Kontakt treten über Konflikt und nur darüber Nähe herstellen. SN: Wie haben Sie das Drehbuch entwickelt? Ich hab seit längerer Zeit darüber nachgedacht, einen Film über eine diffuse Angst vor der Fremde zu machen, aus der dann eine Feindlichkeit entsteht – aber eben nicht so: „Oh, die Neonazis!“, sondern eher zwischen den Zeilen. Aber mir fehlte die Idee, wie ich etwas in Deutschland darüber machen könnte, ohne gleich im Neonazigenre zu landen. Als ich dann auf den Gedanken kam, mich mit dem Western auseinanderzusetzen, hab ich gemerkt, so krieg ich einen Fuß in die Tür. Ich fand die Situation der Deutschen interessant, die im Ausland Fremde sind, und einerseits mit ihrer Sehnsucht nach der Fremde zu tun haben, auf der anderen Seite aber auch mit ihren Vorurteilen. SN: Was hat Sie auf deutsche Bauarbeiter in Bulgarien gebracht? Es kommen ja nicht nur Leute aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland zum Arbeiten, sondern die Reiserichtung existiert auch umgekehrt. Gerade die größeren EU-Projekte, wenn es um Auto- bahnen, Wasserkraftwerke, Brücken geht, werden oft von Deutschen, Italienern und Österreichern gemacht. Das hat zum einen mit dem Know-how zu tun, andererseits aber auch damit, dass diese EU-Anträge so kompliziert sind, dass kleinere oder mittelständische Unternehmen vor Ort das gar nicht packen.
Wobei es interessant ist, die Männer in meiner Geschichte sind in Wahrheit den Leuten in Bulgarien, die sie in dem Dorf da treffen, sehr ähnlich. Das sind ja letztlich Jungs aus dem deutschen Osten, die die Erfahrung des Kommunismus mit den Leuten in Bulgarien teilen. Einerseits gibt es diese große Fremdheit, aber es gibt auch eine große Nähe darüber, dass man eine Erfahrungswelt teilt.
Viennale: „Western“. Deutschland/Österreich/Bulgarien 2017. Regie: Valeska Grisebach. Mit Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov. Filmstart: 3. 11.