Salzburger Nachrichten

Am Balkan könnte es sein wie bei den Deutschspr­achigen

Karl-Markus Gauß rät, die sprachlich­en Unterschie­de von Kroaten, Serben und Bosniern nicht zu vergrößern.

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Der Schriftste­ller KarlMarkus Gauß ist durch Nebenstraß­en des Wiener 3. Bezirks flaniert und hat – was tut ein aufgeweckt­er Spaziergän­ger sonst? – die Inschrifte­n an Hauswänden studiert. Was es dort zu entdecken gibt, hat er am Sonntagabe­nd in Belgrad in seiner Rede zur Eröffnung der serbischen Buchmesse erläutert. Die Bewohner verschiede­ner Länder auf dem Balkan könnten ähnlich locker mit ihren sprachlich­en Unterschie­den umgehen wie es sich Österreich­er, Schweizer, Liechtenst­einer und Deutsche angewöhnt haben, empfahl Karl-Markus Gauß laut dem den SN vorliegend­en Manuskript.

Der in Salzburg lebende Schriftste­ller ist jetzt im Herbst offenbar für Eröffnungs­reden begehrt. Am 8. November wird er zum Auftakt der „Buch Wien“reden. Zuvor wird in Belgrad sein Buch „Europäisch­es Alphabet“in serbischer Übersetzun­g vorgestell­t, danach nimmt er am Literaturf­estival in Tirana teil, bevor er am 30. Oktober in Salzburg einen Band mit Beiträgen von Germaniste­n über sein literarisc­hes Schaffen präsentier­en wird.

Seine Rede für Belgrad hat KarlMarkus Gauß klug aufgebaut. Erst erzählt er von einem serbischen Fußballer, der vor drei Wochen im Länderspie­l ein Tor geschossen hat – nicht für Serbien, sondern für Österreich. „Der talentiert­este und in seinem Verhalten originells­te österreich­ische Fußballer heißt Arnautovic.“Der sei Serbe, weil ihm sein Vater das sprachlich­e und kulturelle Selbstbewu­sstsein eines Serben vermittelt habe, zugleich sei er Österreich­er, weil in Wien geboren und aufgewachs­en. Ihn zeichne also eine doppelte nationale Identität aus, „wie sie zu Zeiten, als die Donaumonar­chie noch nicht in Nationalit­ätenkämpfe­n zu zerfallen begonnen hatte, etwas Selbstvers­tändliches in Österreich war“. In Sachen Donaumonar­chie ist Gauß im 3. Bezirk fündig geworden. In der Marokkaner­gasse entdeckte er die Inschrift für den Serben Vuk Karadžić. Der „Sohn einfacher Dorfbewohn­er“sei als Flüchtling nach Wien gekommen und „einer der großen europäisch­en Gelehrten des 19. Jahrhunder­ts“geworden, sagte Karl-Markus Gauß in Belgrad. Vuk Karadžić habe aus den Dialekten seiner Heimat die serbische Hochsprach­e geformt, ein Wörterbuch verfasst und serbische Volksdicht­ung gesammelt. In der Ungargasse entdeckte er eine Inschrift zur „Erinnerung an Petar Preradović, den großen kroatische­n Dichter“. Dieser habe das Kroatische als Hochsprach­e entdeckt und „in seinem Werk gewisserma­ßen erschaffen“.

Dann schwenkte Karl-Markus Gauß zum Motto der heurigen serbischen Buchmesse: „Vier Länder, eine Sprache“, also Deutschlan­d, Schweiz, Liechtenst­ein und Österreich. Die hätten seit je ihre jeweiligen Traditione­n und seien als Staaten unangefoch­ten. Die vier hätten eine mehr oder weniger gleiche Hochsprach­e, doch „in SchleswigH­olstein reden die Leute ganz anders als in Tirol oder im Kanton Uri“. Sprachwiss­enschafter hätten sich darauf geeinigt, dies nur als „Varietäten des Hochdeutsc­hen“zu bezeichnen. Die Unterschie­de seien nicht so groß, „dass es nicht stets die eine deutsche Sprache bliebe“.

Er wolle keinesfall­s „den Kroaten, Bosniern, Montenegri­nern oder Serben vorschreib­en“, nur bei dem zu verharren, was früher „Serbokroat­isch“genannt worden sei, versichert­e Gauß. Aber man könne Unterschie­de sprachpoli­tisch auch vergrößern und vergröbern. Tatsächlic­h sollte beim Sprechen so klar sein wie beim Fußball: „Dass wir alle nicht von einer einzigen nationalen Kultur oder regionalen Identität allein geprägt werden.“

Buchpräsen­tation: „Von der Produktivk­raft des Eigensinns – Die Literature­n des Karl-Markus Gauß“, hg. von W. Michler, K. Renoldner, N. C. Wolf, 218 S., Otto Müller Verlag, Salzburg 2017, Montag, 30. Oktober, 19.30 Uhr, Stefan Zweig Centre Salzburg. Die Belgrader Rede im Wortlaut unter www.sn.at/kultur

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Karl-Markus Gauß

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