Von Göttern, Menschen und Mächten
Theater, Tanz, Oper: Die „Dionysien“des Salzburger Landestheaters zeigen ehrgeizig, was ein Drei-Sparten-Haus leisten will.
50–45–55–25: Das sind die (minütlichen) Maßeinheiten für das große Antike-Projekt des Salzburger Landestheaters, das am Mittwoch in der Felsenreitschule gefeierte Premiere hatte. Drei Tragödien und ein Satyrspiel sollen nach Art der einstigen Dionysien für „Theater. Spektakel. Rausch“sorgen. Die antiken Feste zu Ehren des Gottes Dionysos dauerten mehrere Tage, der Arbeitsbetrieb ruhte, schulfrei gab es auch. Jetzt muss man sich (ab 18 Uhr und inklusive Pause mit griechischem Buffet) nur für vier Stunden frei halten – ungefähr so lang dauert auch eine Mozart’sche Da-Ponte-Oper. Dionysien, also, small sized und, nun ja, eher handzahm.
Denn relativ asketisch geht es in den ersten beiden Stunden zu. Vor die imposante Naturwand der Felsenreitschule hat Bühnenbildnerin Stefanie Seitz eine Blechwand gestellt, um Christoph Wieschke als unbotmäßigen Prometheus anketten zu lassen, wie er es dem Mythos nach an einem kaukasischen Felsen wurde. Denn er hat Obergott Zeus herausgefordert und den Menschen, die dieser abschaffen wollte, das Feuer, die Kunst und die Wissenschaften gebracht. Aber Mächtige dulden nichts neben sich, und Prometheus weicht auch unter Folter und Qual nicht ab von der Rechtfertigung seiner Wohltaten, die er gleichsam nach unten weitergibt. Ob Freund, Opfer, Sendbote: Niemand kann den Titanen von seiner Haltung abbringen.
Die erschütternd hellsichtig-heutige Aischylos-Tragödie hat John von Düffel in klare, dringliche Sprache übersetzt. Die Argumentationsketten greifen, weil sie von Britta Bayer, Georg Clementi, Nikola Rudle und Sascha Oskar Weis im Riesenraum mit elektronischer Verstärkung sauber gesprochen werden. Intendant Carl Philip von Maldeghem inszeniert wie immer ordentlich, schicklich, sittsam, (schul-)buchmäßig genau das, was das Nächstliegende ist, das der Text aussagt.
„Der Fall M.“im Anschluss bittet die Tänzer unter dem neuen Ballettchef Reginaldo Oliveira auf die Bühne. Es geht um die Tragödie von Medea, die Rache nimmt am Ehebetrug ihres Gatten Jason und sich und ihm das Liebste nimmt: die Kinder.
Das ist als Kammerspiel (und als Übernahme aus dem Staatstheater Karlsruhe) nicht unbedingt felsenreitschultauglich, wird aber durch die famosen Künste der Protagonisten Márcia Jaqueline und Flavio Salamanka zu suggestiven Musikstücken von Lera Auerbach, Alberto Iglesias und Max Richter und einem zugleich expressiven und distanzierend abstrahierenden choreografischen Gesten- und Bewegungsrepertoire eindrucksvoll fokussiert. Nur: Die antike Wucht des dramatischen Vorwurfs scheint in dieser „Gerichtsverhandlung“denn doch zu stark verkleinert auf eine Boulevardstory im Krimiformat – inklusive kitschigen Happy Ends.
Nach dem Buffet – Fetawürfelchen, Oliven, Trauben, Pitabrot – folgt, was hierher passt: große Oper. Dabei ist die oratorische Anlage von Igor Strawinskys lateinischem, 1927 uraufgeführtem „Oedipus Rex“mit ihren kommentierenden und berichtenden, von einem Erzähler zusammengefassten Soli und Chornummern nur bedingt handlungsorientiert dramatisch.
Das von Maldeghem erfundene Szenario zeigt in wirkungsvollen Chor- und (etwas überstrapazierten) Balletttableaux einen smarten Erfolgspolitiker, der als Messias auftritt (er hat Theben von der Sphinx befreit und soll nun auch die Pest besiegen), sich aber wider besseres Wissen in der eigenen Schuld verstrickt. Das ist schlicht und spannend angelegt, auch weil es – bis auf den etwas brustschwach klingenden Kreon von George Humphreys – exzellent und ausdrucksstark gesungen ist: von Roman Payer (Oedipus), Aude Extrémo (Iocaste), James Moellenhoff (Teiresias), Gürkan Gider (Hirte) und Raimundas Juzuitis (Bote) und dem aus Wien verstärkten, fabelhaft präsenten Männerchor (Stefan Müller).
Am Pult des machtvoll und doch delikat aufgestellten Mozarteumorchesters sorgt Dennis Russell Davies kompetent und umsichtig für einen entsprechend neoklassizistisch durchleuchteten, fein elaborierten elastischen Klang.
Der alsbald von Discosound abgelöst wird. Denn jetzt soll ausgelassene Komödie sein, nach Aristophanes’ „Der Frieden“. Der Landmann Trygaios fliegt auf seinem „Mistkäfer“(hier ein umschnallbares Kleinauto für den rheinländisch sprudelnden Tim Oberließen) in tollkühnen Salti an die Himmelspforte, wo er auf den gemütlich versoffenen Wiener Hermes (Sascha Oskar Weis) trifft. Und so steigt auch nach drei Tragödien die Stimmung im Publikum; Dutzende Kinder helfen, den Frieden zu retten, partybunte Lichter gehen an – und die Menschen vergnügt nach Hause. Theater war da, ein wenig zirzensisches Spektakel auch, Rausch vielleicht nur bedingt.