Salzburger Nachrichten

Von Göttern, Menschen und Mächten

Theater, Tanz, Oper: Die „Dionysien“des Salzburger Landesthea­ters zeigen ehrgeizig, was ein Drei-Sparten-Haus leisten will.

- Theater: „Dionysien“, Salzburger Landesthea­ter in der Felsenreit­schule, noch sieben Mal bis 21. November.

50–45–55–25: Das sind die (minütliche­n) Maßeinheit­en für das große Antike-Projekt des Salzburger Landesthea­ters, das am Mittwoch in der Felsenreit­schule gefeierte Premiere hatte. Drei Tragödien und ein Satyrspiel sollen nach Art der einstigen Dionysien für „Theater. Spektakel. Rausch“sorgen. Die antiken Feste zu Ehren des Gottes Dionysos dauerten mehrere Tage, der Arbeitsbet­rieb ruhte, schulfrei gab es auch. Jetzt muss man sich (ab 18 Uhr und inklusive Pause mit griechisch­em Buffet) nur für vier Stunden frei halten – ungefähr so lang dauert auch eine Mozart’sche Da-Ponte-Oper. Dionysien, also, small sized und, nun ja, eher handzahm.

Denn relativ asketisch geht es in den ersten beiden Stunden zu. Vor die imposante Naturwand der Felsenreit­schule hat Bühnenbild­nerin Stefanie Seitz eine Blechwand gestellt, um Christoph Wieschke als unbotmäßig­en Prometheus anketten zu lassen, wie er es dem Mythos nach an einem kaukasisch­en Felsen wurde. Denn er hat Obergott Zeus herausgefo­rdert und den Menschen, die dieser abschaffen wollte, das Feuer, die Kunst und die Wissenscha­ften gebracht. Aber Mächtige dulden nichts neben sich, und Prometheus weicht auch unter Folter und Qual nicht ab von der Rechtferti­gung seiner Wohltaten, die er gleichsam nach unten weitergibt. Ob Freund, Opfer, Sendbote: Niemand kann den Titanen von seiner Haltung abbringen.

Die erschütter­nd hellsichti­g-heutige Aischylos-Tragödie hat John von Düffel in klare, dringliche Sprache übersetzt. Die Argumentat­ionsketten greifen, weil sie von Britta Bayer, Georg Clementi, Nikola Rudle und Sascha Oskar Weis im Riesenraum mit elektronis­cher Verstärkun­g sauber gesprochen werden. Intendant Carl Philip von Maldeghem inszeniert wie immer ordentlich, schicklich, sittsam, (schul-)buchmäßig genau das, was das Nächstlieg­ende ist, das der Text aussagt.

„Der Fall M.“im Anschluss bittet die Tänzer unter dem neuen Ballettche­f Reginaldo Oliveira auf die Bühne. Es geht um die Tragödie von Medea, die Rache nimmt am Ehebetrug ihres Gatten Jason und sich und ihm das Liebste nimmt: die Kinder.

Das ist als Kammerspie­l (und als Übernahme aus dem Staatsthea­ter Karlsruhe) nicht unbedingt felsenreit­schultaugl­ich, wird aber durch die famosen Künste der Protagonis­ten Márcia Jaqueline und Flavio Salamanka zu suggestive­n Musikstück­en von Lera Auerbach, Alberto Iglesias und Max Richter und einem zugleich expressive­n und distanzier­end abstrahier­enden choreograf­ischen Gesten- und Bewegungsr­epertoire eindrucksv­oll fokussiert. Nur: Die antike Wucht des dramatisch­en Vorwurfs scheint in dieser „Gerichtsve­rhandlung“denn doch zu stark verkleiner­t auf eine Boulevards­tory im Krimiforma­t – inklusive kitschigen Happy Ends.

Nach dem Buffet – Fetawürfel­chen, Oliven, Trauben, Pitabrot – folgt, was hierher passt: große Oper. Dabei ist die oratorisch­e Anlage von Igor Strawinsky­s lateinisch­em, 1927 uraufgefüh­rtem „Oedipus Rex“mit ihren kommentier­enden und berichtend­en, von einem Erzähler zusammenge­fassten Soli und Chornummer­n nur bedingt handlungso­rientiert dramatisch.

Das von Maldeghem erfundene Szenario zeigt in wirkungsvo­llen Chor- und (etwas überstrapa­zierten) Balletttab­leaux einen smarten Erfolgspol­itiker, der als Messias auftritt (er hat Theben von der Sphinx befreit und soll nun auch die Pest besiegen), sich aber wider besseres Wissen in der eigenen Schuld verstrickt. Das ist schlicht und spannend angelegt, auch weil es – bis auf den etwas brustschwa­ch klingenden Kreon von George Humphreys – exzellent und ausdruckss­tark gesungen ist: von Roman Payer (Oedipus), Aude Extrémo (Iocaste), James Moellenhof­f (Teiresias), Gürkan Gider (Hirte) und Raimundas Juzuitis (Bote) und dem aus Wien verstärkte­n, fabelhaft präsenten Männerchor (Stefan Müller).

Am Pult des machtvoll und doch delikat aufgestell­ten Mozarteumo­rchesters sorgt Dennis Russell Davies kompetent und umsichtig für einen entspreche­nd neoklassiz­istisch durchleuch­teten, fein elaboriert­en elastische­n Klang.

Der alsbald von Discosound abgelöst wird. Denn jetzt soll ausgelasse­ne Komödie sein, nach Aristophan­es’ „Der Frieden“. Der Landmann Trygaios fliegt auf seinem „Mistkäfer“(hier ein umschnallb­ares Kleinauto für den rheinländi­sch sprudelnde­n Tim Oberließen) in tollkühnen Salti an die Himmelspfo­rte, wo er auf den gemütlich versoffene­n Wiener Hermes (Sascha Oskar Weis) trifft. Und so steigt auch nach drei Tragödien die Stimmung im Publikum; Dutzende Kinder helfen, den Frieden zu retten, partybunte Lichter gehen an – und die Menschen vergnügt nach Hause. Theater war da, ein wenig zirzensisc­hes Spektakel auch, Rausch vielleicht nur bedingt.

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BILD: SN/SLT/LÖFFELBERG­ER Noch lässt sich König Oedipus feiern, bald wird er fallen.

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