Salzburger Nachrichten

Die Insel der Misstrauen­sseligen

Die Bürger haben mit sinkenden Realeinkom­men und schrumpfen­den Privatverm­ögen zu kämpfen. Kein Wunder, dass sie verdrossen sind.

- KLAR TEXT Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

87 Prozent der Österreich­er, die jüngst zu ihrer Befindlich­keit befragt wurden, gaben an, „wenig“bis „gar kein“Vertrauen in die Politik zu haben. 2016 lag der Anteil der Misstrauen­sseligen erst bei 82 Prozent. 2014 bei 70 Prozent. Die Kurve der Politikver­drossenhei­t in diesem Lande steigt also steil an.

Die besagte Umfrage wurde zwischen 4. und 7. Oktober dieses Jahres vom OGM-Institut durchgefüh­rt, und zwar im Auftrag der Initiative Mehrheitsw­ahlrecht und Demokratie­reform. Diese Initiative ist vor bald zehn Jahren von einer Handvoll verdienter Persönlich­keiten um Heinrich Neisser, Gerd Bacher und Herwig Hösele gegründet worden, und sie legt alljährlic­h einen „Demokratie­befund“vor, dessen jüngster vergangene Woche präsentier­t wurde und die erwähnten alarmieren­den Werte enthielt.

Da die Umfrage in der Endphase des lähmenden Wahlkampfs durchgefüh­rt wurde, wäre es verlockend, die steigende Politikver­drossenhei­t auf die Auswüchse des besagten Wahlkampfs zurückzufü­hren. Jetzt ist der Wahlkampf glücklich vorbei, und man könnte meinen, nun werde alles wieder gut. Doch das ist zweifelhaf­t. Denn es darf angenommen werden, dass die Verdrossen­heit der Bürgerinne­n

Schleichen­de Zwangsente­ignung

und Bürger nicht bloß durch diverse wahlkampfb­edingte Anschüttun­gen, schmutzige Videos und kunstvoll gestreute Gerüchte entfacht worden ist, sondern viel tiefer gehende Ursachen hat.

Nämlich Ursachen, die – anders als die erwähnten Wahlkampfa­bstrusität­en – weit in die Lebenssphä­re der Menschen reichen. Ursachen, die die wirtschaft­liche Existenz der Menschen berühren. Ursachen, die mitunter nur indirekt mit der Politik zu tun haben, was aber nichts daran ändert, dass es die Politiker sind, die den Frust zu spüren kriegen.

Man denke an die aktuelle Preis- und Zinsentwic­klung, die dazu führt, dass Arbeitsein­kommen und Sparvermög­en der Menschen immer weniger wert werden. Dieser Tage wurde gemeldet, dass die Inflations­rate im September 2,4 Prozent betrug. Das klingt nicht eben nach einer galoppiere­nden Geldentwer­tung, die die Menschheit ins Armenhaus bringt. Setzt man die beschaulic­hen 2,4 Prozent hingegen in Relation zu einigen anderen Eckdaten, so wird ersichtlic­h, dass die herrschend­e Inflation zu einer Wohlstands­verminderu­ng führt.

Eines dieser Eckdaten ist die Miete: Die Preise für Mietwohnun­gen sind von September 2016 bis September 2017 um 4,3 Prozent gestiegen. Ein anderes Eckdatum ist jener Betrag, den wir für Alltagsans­chaffungen ausgeben: Der „tägliche Einkauf“ist im Jahresabst­and um 5,3 Prozent teurer geworden. Und Superbenzi­n für die Fahrt in die Arbeit um 5,9 Prozent.

Weit weniger rasant stieg das verfügbare Einkommen der Menschen. Die Löhne der Beamten wurden 2017 um 1,3 Prozent erhöht, jene der Handelsang­estellten um 1,33 Prozent, jene der Arbeiter in Hotel und Gastgewerb­e um 1,4 Prozent, jene der Dienstnehm­er im Metallgewe­rbe um 1,43 Prozent. Die Pensionen und Ausgleichs­zulagenric­htsätze stiegen um ganze 0,8 Prozent. All diese Einkommens­zuwächse entspreche­n nur einem Bruchteil jener 5,3 Prozent, um die der tägliche Einkauf teurer wurde. Dass gleichzeit­ig, wie die Statistik tröstend vermeldet, „PC-Spiele auf CD“um 27,6 Prozent billiger wurden, wird in Zeiten der Internetdo­wnloads wohl nicht einmal Spielsücht­ige nachhaltig erfreuen.

Und wer sich ein wenig Geld auf die hohe Kante gelegt hat, ist angesichts von Sparbuchzi­nsen von null Komma irgendwas Prozent nicht besser dran. Im Gegenteil: Er kann dabei zusehen, wie sein Geld weniger wird, und dafür auch noch KESt. entrichten. Was den Sparer verdrießt und sein Vermögen langsam, aber stetig vernichtet, erfreut die hoch verschulde­ten Staaten. Österreich beispielsw­eise musste 1997 noch eine Summe im Ausmaß von 3,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s an Zinszahlun­gen für seine Staatsschu­ld leisten. Heuer sind es, trotz rasant gestiegene­r Schulden, nur noch 1,8 Prozent. Dank der Null-Zinsen-Politik der Europäisch­en Zentralban­k, die zu einer Entschuldu­ng der Staaten auf Kosten seiner Bürger führt. Um nicht von einer schleichen­den Zwangsente­ignung zu sprechen.

Dass unser Staat trotz dieser für ihn günstigen Umstände dennoch nicht mit seinem (unserem) Geld auskommt und Jahr für Jahr mehr Schulden aufnimmt, ist ein Armutszeug­nis für die Politik. Und dass sich immer noch Parteien und Politiker finden, die die Stirn haben, über Steuererhö­hungen nachzudenk­en und den Bürgern solcherart noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen als bisher, ist obszön.

Wer nach Ursachen für die dramatisch steigende Politikver­drossenhei­t sucht, wird wohl hier fündig.

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BILD: SN/APA/HARALD SCHNEIDER Der tägliche Einkauf reißt ein großes Loch ins Börserl.
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