Die Insel der Misstrauensseligen
Die Bürger haben mit sinkenden Realeinkommen und schrumpfenden Privatvermögen zu kämpfen. Kein Wunder, dass sie verdrossen sind.
87 Prozent der Österreicher, die jüngst zu ihrer Befindlichkeit befragt wurden, gaben an, „wenig“bis „gar kein“Vertrauen in die Politik zu haben. 2016 lag der Anteil der Misstrauensseligen erst bei 82 Prozent. 2014 bei 70 Prozent. Die Kurve der Politikverdrossenheit in diesem Lande steigt also steil an.
Die besagte Umfrage wurde zwischen 4. und 7. Oktober dieses Jahres vom OGM-Institut durchgeführt, und zwar im Auftrag der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform. Diese Initiative ist vor bald zehn Jahren von einer Handvoll verdienter Persönlichkeiten um Heinrich Neisser, Gerd Bacher und Herwig Hösele gegründet worden, und sie legt alljährlich einen „Demokratiebefund“vor, dessen jüngster vergangene Woche präsentiert wurde und die erwähnten alarmierenden Werte enthielt.
Da die Umfrage in der Endphase des lähmenden Wahlkampfs durchgeführt wurde, wäre es verlockend, die steigende Politikverdrossenheit auf die Auswüchse des besagten Wahlkampfs zurückzuführen. Jetzt ist der Wahlkampf glücklich vorbei, und man könnte meinen, nun werde alles wieder gut. Doch das ist zweifelhaft. Denn es darf angenommen werden, dass die Verdrossenheit der Bürgerinnen
Schleichende Zwangsenteignung
und Bürger nicht bloß durch diverse wahlkampfbedingte Anschüttungen, schmutzige Videos und kunstvoll gestreute Gerüchte entfacht worden ist, sondern viel tiefer gehende Ursachen hat.
Nämlich Ursachen, die – anders als die erwähnten Wahlkampfabstrusitäten – weit in die Lebenssphäre der Menschen reichen. Ursachen, die die wirtschaftliche Existenz der Menschen berühren. Ursachen, die mitunter nur indirekt mit der Politik zu tun haben, was aber nichts daran ändert, dass es die Politiker sind, die den Frust zu spüren kriegen.
Man denke an die aktuelle Preis- und Zinsentwicklung, die dazu führt, dass Arbeitseinkommen und Sparvermögen der Menschen immer weniger wert werden. Dieser Tage wurde gemeldet, dass die Inflationsrate im September 2,4 Prozent betrug. Das klingt nicht eben nach einer galoppierenden Geldentwertung, die die Menschheit ins Armenhaus bringt. Setzt man die beschaulichen 2,4 Prozent hingegen in Relation zu einigen anderen Eckdaten, so wird ersichtlich, dass die herrschende Inflation zu einer Wohlstandsverminderung führt.
Eines dieser Eckdaten ist die Miete: Die Preise für Mietwohnungen sind von September 2016 bis September 2017 um 4,3 Prozent gestiegen. Ein anderes Eckdatum ist jener Betrag, den wir für Alltagsanschaffungen ausgeben: Der „tägliche Einkauf“ist im Jahresabstand um 5,3 Prozent teurer geworden. Und Superbenzin für die Fahrt in die Arbeit um 5,9 Prozent.
Weit weniger rasant stieg das verfügbare Einkommen der Menschen. Die Löhne der Beamten wurden 2017 um 1,3 Prozent erhöht, jene der Handelsangestellten um 1,33 Prozent, jene der Arbeiter in Hotel und Gastgewerbe um 1,4 Prozent, jene der Dienstnehmer im Metallgewerbe um 1,43 Prozent. Die Pensionen und Ausgleichszulagenrichtsätze stiegen um ganze 0,8 Prozent. All diese Einkommenszuwächse entsprechen nur einem Bruchteil jener 5,3 Prozent, um die der tägliche Einkauf teurer wurde. Dass gleichzeitig, wie die Statistik tröstend vermeldet, „PC-Spiele auf CD“um 27,6 Prozent billiger wurden, wird in Zeiten der Internetdownloads wohl nicht einmal Spielsüchtige nachhaltig erfreuen.
Und wer sich ein wenig Geld auf die hohe Kante gelegt hat, ist angesichts von Sparbuchzinsen von null Komma irgendwas Prozent nicht besser dran. Im Gegenteil: Er kann dabei zusehen, wie sein Geld weniger wird, und dafür auch noch KESt. entrichten. Was den Sparer verdrießt und sein Vermögen langsam, aber stetig vernichtet, erfreut die hoch verschuldeten Staaten. Österreich beispielsweise musste 1997 noch eine Summe im Ausmaß von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Zinszahlungen für seine Staatsschuld leisten. Heuer sind es, trotz rasant gestiegener Schulden, nur noch 1,8 Prozent. Dank der Null-Zinsen-Politik der Europäischen Zentralbank, die zu einer Entschuldung der Staaten auf Kosten seiner Bürger führt. Um nicht von einer schleichenden Zwangsenteignung zu sprechen.
Dass unser Staat trotz dieser für ihn günstigen Umstände dennoch nicht mit seinem (unserem) Geld auskommt und Jahr für Jahr mehr Schulden aufnimmt, ist ein Armutszeugnis für die Politik. Und dass sich immer noch Parteien und Politiker finden, die die Stirn haben, über Steuererhöhungen nachzudenken und den Bürgern solcherart noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen als bisher, ist obszön.
Wer nach Ursachen für die dramatisch steigende Politikverdrossenheit sucht, wird wohl hier fündig.