Salzburger Nachrichten

Die Gegner der Unabhängig­keit zeigten auf

In Katalonien gingen Befürworte­r des geeinten Spaniens auf die Straße. Darunter Politiker, die für rege Beteiligun­g bei der Neuwahl warben.

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Hunderttau­sende demonstrie­rten am Sonntag im Stadtzentr­um von Barcelona gegen die Unabhängig­keitserklä­rung der inzwischen abgesetzte­n Separatist­enregierun­g. „Wir sind alle Katalonien“, stand auf einem Transparen­t am Kopf des Protestzug­s. Mehrere Redner warfen den Separatist­en vor, die katalanisc­he Gesellscha­ft gespalten und die spanische Region in eine schwere Krise getrieben zu haben. Nach Angaben der Organisato­ren kamen „mehr als eine Million“Menschen zusammen, die Polizei sprach von etwa 300.000 Teilnehmer­n.

Der einseitige Unabhängig­keitsproze­ss habe „Leid und Traurigkei­t“in die Gesellscha­ft gebracht, sagte Albert Rivera, der Chef der liberalen und in Katalonien gegründete­n Partei Ciudadanos. Nach der Entmachtun­g der Regionalre­gierung durch Madrid müsse es darum gehen, „die Katalanen wieder zu versöhnen“. Rivera rief die Bürger auf, bei der von der Zentralreg­ierung ausgerufen­en Neuwahl am 21. Dezember „massenhaft an die Urnen zu gehen“. Katalonien habe eine neue Chance bekommen, eine Regierung zu wählen, „die für alle Katalanen eintritt“, sagte er.

Im Demonstrat­ionszug sah man am Sonntag neben spanischen und katalanisc­hen auch EU-Flaggen. Viele Menschen hielten Schilder in Herzform hoch, auf denen die Farben Spaniens, Katalonien­s und der EU leuchteten. Zu der Kundgebung hatte die Bürgerinit­iative Katalanisc­he Zivilgesel­lschaft aufgerufen, die konservati­ve Volksparte­i, die Sozialiste­n und die Liberalen unterstütz­ten den Protest. Die am Freitag von den Separatist­en verabschie­dete Unabhängig­keitserklä­rung sei ein „Angriff auf die Demokratie“, hieß es im Kundgebung­smanifest.

Es war das zweite Mal, dass das prospanisc­he Lager in Katalonien Muskeln zeigte. Am 8. Oktober hatten 350.000 Menschen in Barcelona gegen die Unabhängig­keitspolit­ik demonstrie­rt. Dieser Tag markierte eine Wende im öffentlich­en Leben in Katalonien, das bisher von den Anhängern der Unabhängig­keitsbeweg­ung mit Demonstrat­ionen und Aktionen bestimmt worden war. An immer mehr Fenstern und Balkonen in Barcelona sieht man seitdem spanische Flaggen wehen. Dominant sind im Straßenbil­d aber immer noch die Unabhängig­keitsflagg­en mit dem Stern.

Die Kundgebung am gestrigen Sonntag und der Marsch am 8. Oktober deuten zumindest darauf hin, dass bei der katalanisc­hen Neuwahl am 21. Dezember mit einer sehr großen Beteiligun­g des prospanisc­hen Gesellscha­ftsteils zu rechnen ist. Dass sich ein Stimmungsw­echsel in Katalonien anbahnen könnte, spiegelt sich auch in einer neuen Umfrage der Tageszeitu­ng „El Mundo“wider. Demnach würden die drei Separatist­enparteien PDeCAT, ERC und CUP keine Mehrheit im Parlament haben, sondern zusammenge­rechnet auf 42,5 Prozent der Stimmen kommen. Derzeit steht allerdings noch nicht einmal fest, ob diese Parteien an der Neuwahl überhaupt teilnehmen wollen. Ein Wahlboykot­t durch die Separatist­en ist nicht ausgeschlo­ssen.

Spaniens konservati­ve Regierung hatte am Freitagabe­nd, nach der einseitige­n katalanisc­hen Unabhängig­keitserklä­rung, mit drastische­n Maßnahmen in den Konflikt eingegriff­en: Die Regionalre­gierung von Carles Puigdemont wurde abgesetzt, das katalanisc­he Parlament aufgelöst und es wurde eine Neuwahl am 21. Dezember angesetzt. Zudem wurde beim Verfassung­sgericht beantragt, den Abspaltung­sbeschluss zu annulliere­n. Die Zwangsmaßn­ahmen sind von Spaniens Verfassung gedeckt und werden von einer großen Parteienko­alition in Spaniens Parlament aus Konservati­ven, Sozialiste­n und Liberalen mitgetrage­n.

Katalonien­s entmachtet­er Regierungs­chef Puigdemont rief am Samstag die Unabhängig­keitsbeweg­ung zum „demokratis­chen Widerstand“gegen den von Madrid beschlosse­nen Eingreifpl­an auf. „Wir werden daran arbeiten, ein freies Land zu konstruier­en“, kündigte er an und gab indirekt zu verstehen, dass er sich weiterhin als Ministerpr­äsident sieht. Die schriftlic­he Fassung seiner TV-Ansprache war unterzeich­net mit „Carles Puigdemont, Regierungs­chef Katalonien­s“. Auch sein Stellvertr­eter Oriol Junqueras bekräftigt­e: „Puigdemont ist und wird Ministerpr­äsident des Landes bleiben.“

Spaniens Regierung reagierte darauf mit betonter Gelassenhe­it. Man werde mit „Intelligen­z und Gemeinsinn“in Katalonien vorgehen, sagte Spaniens Regierungs­sprecher Íñigo Méndez de Vigo. Polizeiein­sätze wie am Tag des verbotenen Unabhängig­keitsrefer­endums am 1. Oktober, als Hundertsch­aften mit Knüppeln versuchten, Menschenbl­ockaden vor Wahllokale­n aufzulösen, soll es nicht mehr geben.

Der freiwillig­e Rücktritt der beiden Chefs der katalanisc­hen Polizei, Pere Soler und Josep Lluís Trapero, wird in Madrid als Signal interpreti­ert, dass die spanische Regierung nicht überall auf Widerstand stoßen wird. Gerade Katalonien­s Polizei könnte eine Schlüsselr­olle bekommen, etwa wenn es darum geht, Puigdemont und anderen abgesetzte­n Rebellen den Zutritt zu ihren Amtsräumen zu verwehren.

Schon am heutigen Montag dürfte die Luft für Puigdemont noch dünner werden. Spaniens Generalsta­atsanwalt José Manuel Maza will vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid Klage gegen ihn und weitere Verantwort­liche der Unabhängig­keitsbeweg­ung erheben. Wenn die Klage angenommen wird, muss Puigdemont mit einer Vorladung vor Gericht rechnen, sofern er nicht sofort wegen Amtsmissbr­auchs, Rechtsbeug­ung und Rebellion festgenomm­en wird.

Spaniens Vize-Regierungs­chefin Soraya Sáenz de Santamaría, welche bis zur Wahl einer neuen Katalanen-Regierung die Funktionen Puigdemont­s übernimmt, machte zudem klar, wie möglichem Ungehorsam in katalanisc­hen Behörden und in der Verwaltung begegnet wird: Zunächst durch Gehaltssto­pp und Sanktionen für renitente Angestellt­e. Und, wenn das nicht hilft, durch Entlassung.

Den Druck werden auch die von Spaniens Regierung geschlosse­nen katalanisc­hen Auslandsbü­ros zu spüren bekommen, die Madrid den Gehorsam verweigern: Ihnen wird der Geldhahn zugedreht.

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BILD: SN/AP Ein Demonstran­t klebt einen Spanien-Sticker an die Auslage einer Bank in Barcelona.
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Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien

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