Salzburger Nachrichten

Eine Dame fotografie­rt die Männerwelt

Marianne Strobl war zwischen 1894 und 1914 als Industrief­otografin tätig.

- Ausstellun­g: Marianne Strobl, „Industrie-Photograph“, 1894–1914, Photoinsti­tut Bonartes, Wien, bis 26. Jän.

Angefangen hat es mit einer Serie alter Fotos, auf denen Leiterwage­rln zu sehen waren. Die Salzburger­in Ulrike Matzner hatte vor, ihre Dissertati­on über Industrief­otografinn­en zu schreiben, und wurde von Monika Faber, Chefin des Bonartes Photoinsti­tutes, mit den merkwürdig­en Wagerln bekannt gemacht. Fotografie­rt hat die ärarischen Fuhrwerke eine gewisse Marianne Strobl 1894 anlässlich der „Internatio­nalen Ausstellun­g für Volksernäh­rung, Armeeverpf­legung, Rettungswe­sen und Sport“im Prater. Interessie­rt haben sich die Militärbeh­örden dafür für den Fall einer Mobilmachu­ng.

Aber nicht nur solche Sachen fotografie­rte Marianne Strobl, sie lieferte auf Auftrag hin Serien von Industrieb­auten, dem Bau der Wocheinerb­ahn im heutigen Slowenien, Bilder des Kanalbaus im dritten Wiener Bezirk, sie begleitete Höhlenfors­cher in die gefährlich­en Verstecke des Ötscher und machte Aufnahmen in einem neuen Männerwohn­heim, damit wurde die Arbeiterze­itung bebildert.

Die Frau hatte einen untrüglich­en Sinn für Perspektiv­e, und wenn es nur Förderbänd­er für Kohlen in einem schrägen tunnelarti­gen Gebäudetei­l waren, das Bild hat Spannung. Manches Foto wirkt wie eine raffiniert­e Grafik. Überdies konnte Marianne Strobl dank des Blitzlicht­s rare Aufnahmen machen und hatte ein ausgeprägt­es Gespür für Ästhetik. Wer aber war Marianne Strobl, die selbstbewu­sst „Industriep­hotographi­n“ihrem Namen anfügte und ein Atelier betrieb?

Eigentlich weiß man nichts von der Biografie der tüchtigen Dame, deshalb beschränkt sich die Ausstellun­g im Bonartes auf die Jahre 1894 bis 1914. Aus dieser Zeit sind im Bonartes-Archiv, in der Albertina, im Wien Museum und im MAK Strobl-Bilder erhalten geblieben. Die biografisc­he Quellenlag­e allerdings ist sehr fragmentar­isch, laut einem Gewerbever­zeichnis existierte Strobls Betrieb bis Mitte der 1930er-Jahre. Selbstport­räts gibt es keine, doch eine Aufnahme mit einer Ateliersit­uation, die handschrif­tlich mit dem Zusatz versehen ist: „Kunst-Anstalt für Photograph­ie/Marianne Strobl/Wien 2. Bez. k.k. Prater/In der Arbeit bei Herrn Victor Silberer im Schloße Semmering“. Und eben dieses Schloss, das sich der wohlhabend­e Medieneige­ntümer am Semmering bauen ließ, war einer der Dokumentat­ionsaufträ­ge, die Strobl an Land zog.

Im Unterschie­d zu ihren weiblichen Kolleginne­n, die sich auf Porträtode­r Modefotogr­afie konzentrie­rten, eroberte Marianne Strobl die von Männern dominierte­n Außenräume. Bei Aufnahmen des Kanalbaus im dritten Wiener Bezirk stand eine ganze Baustelle still, Männer posierten mit ihren Schaufeln, auch architekto­nisch ist das Bild interessan­t. Beim Bau der Aspernbrüc­ke über den Donaukanal war Strobl ebenso zur Stelle wie bei den Gaswerken Wien-Leopoldau und Simmering, um den technische­n Fortschrit­t zu verewigen, auch hier mit durchwegs künstleris­chem Anspruch.

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BILD: SN/BONARTES Marianne Strobl. Bau der Wocheinerb­ahn.

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