Salzburger Nachrichten

„Figaro“eröffnet die Saison Am Ende wird alles wieder auf Anfang gespult

Die Opernsaiso­n in München beginnt mit Mozart in sängerisch­er Spitzenbes­etzung. Wagners „Ring des Nibelungen“ist immer eine kolossale Anstrengun­g. Hier endet sie mit herrlich leichter, souveräner Hand.

- JÖRN FLORIAN FUCHS KARL HARB Oper: „Götterdämm­erung“, Staatsthea­ter Karlsruhe. 5. 11., 10. 12. 2017, 7. 1., 2. 4., 12. 5. 2018.

Zur Saisoneröf­fnung an der Bayerische­n Staatsoper lässt man sich nicht lumpen! Ein neuer „Figaro“mit sängerisch­er Topbesetzu­ng, einem umworbenen Gastdirige­nten, dazu verzeichne­t das Programmhe­ft sogar noch zwei Puppenspie­ler. Ersetzt wird mit dieser Premiere Dieter Dorns zwanzig Jahre alter Publikumsh­it, der den Intrigenst­adl in arg reduzierte­m Design präsentier­t hat. Nun also kam Christof Loy als Regisseur, vielbeschä­ftigter Seelenanal­ytiker (zuletzt etwa bei den Salzburger Festspiele­n mit „Ariodante“), Meister des großen, dabei meist pathosfrei­en Emotionent­heaters. Was macht er in München neu?

Die Bühnenauss­tattung ist nicht opulent, im Hintergrun­d sieht man gemalte Natur, vorn agieren die Liebesspie­ler und Spielerinn­en in edler Kostümprac­ht (Klaus Bruns), die diverse Zeiten zitiert (ziemlich viel Rokoko) und doch zeitlos bleibt. Die Gräfin trägt bereits zum Frühstück Abendkleid, Cherubino (leichtes, feines Timbre: Solenn’ LavanantLi­nke) dafür bei einigen zentralen Auftritten fast gar nichts. Loy zeigt ihn/sie als deutlich gleichgesc­hlechtlich orientiert­e Lolita. Ansonsten liegt man kleidungst­echnisch

Eigentlich ist es Usus, Wagners „Ring des Nibelungen“in die Hand eines Teams zu geben. Vor zwanzig Jahren hat Stuttgart diesen Brauch glänzend intelligen­t aufgebroch­en: vier Stücke, vier Regisseure. Jetzt scheint dieses Modell wieder tauglich; jedenfalls werden sich demnächst in Chemnitz vier Regisseuri­nnen über den Stoff/die Stoffe machen, und man munkelt, dass Gleiches auch Katharina Wagner für Bayreuth 2020 im Sinn hat.

Bereits vollendet ist das große Werk von vier eigenständ­igen und eigensinni­gen Regisseure­n nun am Staatsthea­ter in Karlsruhe. Und es endet mit einem Geniestrei­ch des einstigen Grazer „Ring Award“-Gewinners Tobias Kratzer und seines Bühnenbild­ners Rainer Sellmaier.

„The End“steht wie im Kino auf einem samtroten Vorhang. Doch es ist nicht das Ende. Vor dem Vorhang lässt nämlich Kratzer seine Kollegen sich versammeln, die „Rheingold“, „Walküre“und „Siegfried“verantwort­et haben: zum Nachund Durchdenke­n ihrer Arbeit(en). Regisseur 4 spielt (sich) also mit seinen Vorgängern: eine ironisch-artistisch­e Volte, denn eigentlich sind es die drei Sängerinne­n, die das Weltschick­salsseil in ihren Händen haben, bis es reißt: die Nornen. Später werden sie auch die wiederkehr­enden drei Rheintöcht­er spielen, und der unbotmäßig­en Brünnhilde wird Schwester Waltraute nicht als eigenständ­ige Rolle ins Gewissen reden. In diese schlüpft nämlich die 1. Norn/der 1. Regisseur, angefeuert von ihren Kolleginne­n/Kollegen. Denn alle drei Spielmache­r versuchen, durch die „Götterdämm­erung“hindurch die Regiezügel nicht loszulasse­n. Wie aber noch eingreifen? Wie das Werk vollenden? Wie den Untergang aufhalten?

Tobias Kratzer gelingt mit höchster musikalisc­her Konsequenz (und in jedem Moment gestützt durch ein großartig sich einlassend­es Ensemble und die absolut stimmige, packende musikalisc­he Interpreta­tion von Justin Brown) ein atemberaub­endes, auch herrlich kurzweilig­es Vexierspie­l: in kleinen komödianti­schen Dosen, in bewegenden Einzelszen­en und im großen Bogen. Am Ende brennt nicht die Welt, sondern nur ein kleines Feuerchen, das Brünnhilde mit den letzten Seiten der (zuvor immer wieder zu Rate gezogenen) Partitur nährt. Dann nimmt sie selbst im Regiestuhl Platz und drückt die Reset-Taste. Die Toten erwachen und eilen im Slowmotion-Schnelllau­f rückwärts auf Anfang. Das hat, bei aller Offenheit, glänzend zwingenden Sog.

Dass der Regisseur mit kaum je nachlassen­der Spannkraft innerhalb seines Konzepts eine meisterlic­he Personenre­gie walten lässt, die in jedem Detail klug begründet wirkt, ist das „zwischenme­nschliche“Wunder dieser denkwürdig­en Aufführung. Sie gibt selbst einer mächtigen Bühnenersc­heinung wie Heidi Melton (Brünnhilde) eine vokal-körperlich­e Beweglichk­eit von fasziniere­nder Brillanz. Und sie beleuchtet manche Beziehung aufregend neu – wie jene zwischen dem vom finsteren Hagen (imposant: Konstantin Gorny) gelenkten, hilflosen Zauderer Gunther (mit bestem Bariton-Psychogram­m: Armin Kolarczyk) und dem in seiner Stärke sympathisc­h naiven Helden Siegfried (eine agile Heldenteno­r-Entdeckung: Daniel Frank), über dessen Leiche der Gibichunge­nkönig zusammenbr­icht. Hier wird eine wahre Liebe begraben . . .

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Alex Esposito als Figaro in der neuen Inszenieru­ng in München.
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BILD: SN/STAATSTHEA­TER KARLSRUHE/BAUS Drei Regisseure sinnen über das Weltende nach.

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