„Figaro“eröffnet die Saison Am Ende wird alles wieder auf Anfang gespult
Die Opernsaison in München beginnt mit Mozart in sängerischer Spitzenbesetzung. Wagners „Ring des Nibelungen“ist immer eine kolossale Anstrengung. Hier endet sie mit herrlich leichter, souveräner Hand.
Zur Saisoneröffnung an der Bayerischen Staatsoper lässt man sich nicht lumpen! Ein neuer „Figaro“mit sängerischer Topbesetzung, einem umworbenen Gastdirigenten, dazu verzeichnet das Programmheft sogar noch zwei Puppenspieler. Ersetzt wird mit dieser Premiere Dieter Dorns zwanzig Jahre alter Publikumshit, der den Intrigenstadl in arg reduziertem Design präsentiert hat. Nun also kam Christof Loy als Regisseur, vielbeschäftigter Seelenanalytiker (zuletzt etwa bei den Salzburger Festspielen mit „Ariodante“), Meister des großen, dabei meist pathosfreien Emotionentheaters. Was macht er in München neu?
Die Bühnenausstattung ist nicht opulent, im Hintergrund sieht man gemalte Natur, vorn agieren die Liebesspieler und Spielerinnen in edler Kostümpracht (Klaus Bruns), die diverse Zeiten zitiert (ziemlich viel Rokoko) und doch zeitlos bleibt. Die Gräfin trägt bereits zum Frühstück Abendkleid, Cherubino (leichtes, feines Timbre: Solenn’ LavanantLinke) dafür bei einigen zentralen Auftritten fast gar nichts. Loy zeigt ihn/sie als deutlich gleichgeschlechtlich orientierte Lolita. Ansonsten liegt man kleidungstechnisch
Eigentlich ist es Usus, Wagners „Ring des Nibelungen“in die Hand eines Teams zu geben. Vor zwanzig Jahren hat Stuttgart diesen Brauch glänzend intelligent aufgebrochen: vier Stücke, vier Regisseure. Jetzt scheint dieses Modell wieder tauglich; jedenfalls werden sich demnächst in Chemnitz vier Regisseurinnen über den Stoff/die Stoffe machen, und man munkelt, dass Gleiches auch Katharina Wagner für Bayreuth 2020 im Sinn hat.
Bereits vollendet ist das große Werk von vier eigenständigen und eigensinnigen Regisseuren nun am Staatstheater in Karlsruhe. Und es endet mit einem Geniestreich des einstigen Grazer „Ring Award“-Gewinners Tobias Kratzer und seines Bühnenbildners Rainer Sellmaier.
„The End“steht wie im Kino auf einem samtroten Vorhang. Doch es ist nicht das Ende. Vor dem Vorhang lässt nämlich Kratzer seine Kollegen sich versammeln, die „Rheingold“, „Walküre“und „Siegfried“verantwortet haben: zum Nachund Durchdenken ihrer Arbeit(en). Regisseur 4 spielt (sich) also mit seinen Vorgängern: eine ironisch-artistische Volte, denn eigentlich sind es die drei Sängerinnen, die das Weltschicksalsseil in ihren Händen haben, bis es reißt: die Nornen. Später werden sie auch die wiederkehrenden drei Rheintöchter spielen, und der unbotmäßigen Brünnhilde wird Schwester Waltraute nicht als eigenständige Rolle ins Gewissen reden. In diese schlüpft nämlich die 1. Norn/der 1. Regisseur, angefeuert von ihren Kolleginnen/Kollegen. Denn alle drei Spielmacher versuchen, durch die „Götterdämmerung“hindurch die Regiezügel nicht loszulassen. Wie aber noch eingreifen? Wie das Werk vollenden? Wie den Untergang aufhalten?
Tobias Kratzer gelingt mit höchster musikalischer Konsequenz (und in jedem Moment gestützt durch ein großartig sich einlassendes Ensemble und die absolut stimmige, packende musikalische Interpretation von Justin Brown) ein atemberaubendes, auch herrlich kurzweiliges Vexierspiel: in kleinen komödiantischen Dosen, in bewegenden Einzelszenen und im großen Bogen. Am Ende brennt nicht die Welt, sondern nur ein kleines Feuerchen, das Brünnhilde mit den letzten Seiten der (zuvor immer wieder zu Rate gezogenen) Partitur nährt. Dann nimmt sie selbst im Regiestuhl Platz und drückt die Reset-Taste. Die Toten erwachen und eilen im Slowmotion-Schnelllauf rückwärts auf Anfang. Das hat, bei aller Offenheit, glänzend zwingenden Sog.
Dass der Regisseur mit kaum je nachlassender Spannkraft innerhalb seines Konzepts eine meisterliche Personenregie walten lässt, die in jedem Detail klug begründet wirkt, ist das „zwischenmenschliche“Wunder dieser denkwürdigen Aufführung. Sie gibt selbst einer mächtigen Bühnenerscheinung wie Heidi Melton (Brünnhilde) eine vokal-körperliche Beweglichkeit von faszinierender Brillanz. Und sie beleuchtet manche Beziehung aufregend neu – wie jene zwischen dem vom finsteren Hagen (imposant: Konstantin Gorny) gelenkten, hilflosen Zauderer Gunther (mit bestem Bariton-Psychogramm: Armin Kolarczyk) und dem in seiner Stärke sympathisch naiven Helden Siegfried (eine agile Heldentenor-Entdeckung: Daniel Frank), über dessen Leiche der Gibichungenkönig zusammenbricht. Hier wird eine wahre Liebe begraben . . .