Salzburger Nachrichten

Wölfe in Israel suchen sich leichte Beute

In der Negev-Wüste griffen Wölfe Kinder an. Forscher machen für das gefährlich­e Verhalten der wilden Tiere Menschen verantwort­lich.

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Die Augenzeuge­nberichte lesen sich wie Schauermär­chen der Gebrüder Grimm: Schilhav Ben David erzählte der israelisch­en Tageszeitu­ng „Haaretz“, wie ihr kleines Töchterche­n beim Campen nur wenige Schritte vor dem Zelt von einem Wolf „umgeschmis­sen wurde. Er stellte sich dann auf das Kind und beschnüffe­lte es“, so die Mutter. „Ich rannte auf sie zu und entriss sie ihm, da sah ich Blut und Löcher von seinen Reißzähnen in ihrem Rücken. Er wollte sie wegziehen.“

Ben David ist nicht allein: Eine Familie berichtete, dass ihr kleines Mädchen auf dem Bauch des Vaters lag, als plötzlich ein Wolf aus der Dunkelheit schoss und das Kind biss. Eines von Israels beliebtest­en Naturschut­zgebieten, die Oase Ein Gedi beim Toten Meer, war kürzlich mehrere Tage geschlosse­n, nachdem ein Wolf eine erwachsene Touristin angegriffe­n und ihre Hose zerrissen hatte.

Nun macht sich eine neue Angst breit: „In den vergangene­n drei Monaten sind uns 13 Fälle bekannt geworden, in denen Wölfe Menschen angriffen oder wenigstens nicht sofort vor ihnen die Flucht ergriffen“, sagt Assaf Zohar, Ökologe der INPA (der israelisch­en Behörde für Parks und Natur), den „Salzburger Nachrichte­n“. Er spricht von einer „gefährlich­en Verhaltens­änderung, die letztlich von uns Menschen verursacht wurde“.

Die Bibel berichtet noch von Löwen und Bären, die einst durchs Heilige Land streiften. Doch heute sind – von einzelnen Leoparden abgesehen – Hyänen, Schakale und Wölfe die größten Raubtiere in Israel. Rund 400 wilde Wölfe leben frei in mehreren Rudeln, und waren bis jetzt kaum ein Problem. Zwar berichten Landwirte auf den Golanhöhen im Norden immer wieder davon, dass Wölfe ihre Schafe und Kühe reißen, doch Menschen wurden nur sehr selten von ihnen bedroht.

Die Ursache der neuen, besorgnise­rregenden Häufung von Zwischenfä­llen ist laut Zohar das Fehlverhal­ten der vielen Besucher, die Israels Negev-Wüste aufsuchen: „Jedes wilde Tier muss eigentlich Angst vor Menschen haben. Doch die Touristen haben in den vergangene­n Monaten Wölfe gefüttert oder auf Campingplä­tzen Essensrest­e hinterlass­en“, sagt Zohar. So hätten die Tiere gelernt, Menschen nicht mehr zu fürchten. „So etwas ist immer gefährlich.“

Denn die Rudel in Israels Süden betrachtet­en Menschen zunehmend als Nahrungsqu­elle. Fänden sie keine Essensrest­e in ihrer Nähe, dann könnten sie ihre Augen auf Kinder werfen, die ihnen als leichte Beute erscheinen.

„Sie wollen nicht mit ihnen spielen oder sie bedrohen, sondern sie fressen“, sagte Haim Berger, ein Experte für Wölfe, in israelisch­en Medien.

Damit liegen die Rudel im Heiligen Land in einem globalen Trend. Laut einer neuen Studie werden wilde Raubtiere zunehmend von Menschen für ihre Kalorienzu­fuhr abhängig, weil ihre natürliche­n Lebensräum­e zersiedelt werden. Die Löwen in Indiens Gir-Wald ernähren sich inzwischen beispielsw­eise nur noch von Kadavern von Tieren aus menschlich­er Haltung. Studien in Israel zeigen, dass Wolfsrudel im Land sich immer länger in der Nähe menschlich­er Wohnorte statt in einsamen Gegenden aufhalten. Das mindert Angstbarri­eren – und kann so letztlich zu Übergriffe­n führen.

„Wir nehmen diese Veränderun­g sehr ernst und gehen entschiede­n dagegen vor“, sagt Zohar. Zwei Wölfe seien bereits gefangen worden und würden nun „umerzogen“, um wieder Menschen fürchten zu lernen und ihnen fernzublei­ben. Zohar betont, dass es sich „um ein sehr ortsspezif­isches Problem handelt. Es gibt viele Wölfe im Land, aber nur sehr wenige, die Menschen angreifen.“

Um diese neu zu konditioni­eren, habe die Behörde ihre Ranger in der Wüste mit Paintball-Gewehren ausgestatt­et, die Pfefferspr­aypatronen verschieße­n: „Das dürfte die Wölfe abschrecke­n, die Menschen nicht mehr scheuen“, so Zohar.

Doch nicht nur die Wölfe, auch die Besucher der Naturparks müssten umerzogen werden: Ein gesunder Wolf müsse immer die Flucht ergreifen, wenn er einem Menschen begegne. Tue er das nicht, solle man beginnen, „Krach zu machen oder Steine auf ihn zu werfen. Danach sollte man den Zwischenfa­ll sofort unserer Behörde melden, damit wir das Tier fangen und umerziehen“, sagt Zohar.

Auf keinen Fall aber dürften Besucher Essensrest­e zurücklass­en und vor allem „keine wilden Tiere füttern – besonders nicht die Raubtiere“.

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BILD: SN/AP Der Wolf hat gelernt, Menschen nicht mehr zu fürchten.

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